Allerdings durfte das gesuchte Tier das Leben des Paares nicht zu sehr dominieren; wuselige Welpen kamen nicht in Frage. Also googelte Kociper im Internet nach "fauler Hund". Und fand den auf Greyhounds spezialisierten Verein in Bensheim.
Von Beginn an hatte der heute 36-Jährige vor, seinen Hund für die Schule auszubilden. So fragte er gezielt nach einem ruhigen, in sich gekehrten Vertreter dieser Windhund-Rasse. Und bekam "Judas Jack" empfohlen. Nach dem ersten Probegassi war es um Kociper und seine Frau geschehen. Das Paar nahm ihn mit und taufte ihn auf "Charlie" um.
Der schwarze Greyhound durchlief eine einjährige zeitaufwendige Ausbildung, die für das Tier sehr anstrengend ausfiel. Da ging es vor allem um einen gewissen Grundgehorsam; der Hund darf in der Öffentlichkeit keine Gefahr darstellen (was Greyhounds vom Wesen her sehr selten tun). Nach einer ersten Prüfung durfte Charlie, quasi als "Pilotprojekt" einen Monat mit in die Anton-Kliegl-Mittelschule, Kocipers früheren Arbeitsort, mitkommen.
Es folgte ein abschließender zweiter Test und der 36-Jährige startete mit dem Windhund und der 7b in Bad Brückenau einen "Langzeitversuch". Charlie soll die Mittelschüler bis zu ihrem Abschluss an Kocipers neuem Arbeitsort begleiten. Auch danach wird er Teil der Schulfamilienn bleiben. Zunächst kam der Hund zweimal die Woche für einen ganzen Schultag in die Einrichtung; inzwischen bringt ihn sein Herrchen nur noch einmal mit, immer montags.
Wenn Charlie im Sekretariat sein Leckerchen empfangen hat, trottet er mit seinem Herrchen ins Klassenzimmer. Dort legt er sich in sein Körbchen und wartet auf die Siebtklässler. Treffen die ersten ab 7.45 Uhr ein, springt der Rüde auf. Ein großes Begrüßen und Gestreicheltwerden beginnt. Charlie schnüffelt aber auch fleißig umher. Schnell merkt der Hund, wer ein besonders leckeres Pausenbrot im Rucksack versteckt hält.
Die Kinder haben ihr Maskottchen mit den langen Beinen längst in ihre Herzen geschlossen. "Er ist ein sehr leiser Hund", sagt beispielsweise Siebtklässlerin Isabella. Sie ergänzt: "Wir sind meistens morgens sehr müde. Aber wenn Charlie durchs Klassenzimmer läuft, haben wir Lust, ihn zu streicheln und kriegen Motivation, etwas zu machen." Und Nikita findet es "eine traurige Geschichte, was früher mit ihm war. Gut, dass der Tierschutz ihn an sich genommen hat."
Doch Charlie besucht die Schule nicht nur zum Spaß. Nach der morgendlichen Schnüffel-Kuschel-Runde zieht er sich auf sein Lager zurück; die Schüler dürfen ihn fortan in der Schulstunde nicht mit Namen ansprechen oder anderweitig stören. So ein Schultag ist anstrengend für einen Hund: die vielen Menschen, viele Eindrücke, Gerüche. Er braucht Ruhe.
Die Schüler akzeptieren das, werden dadurch rücksichtsvoller. ""Wir müssen auf die Lautstärke achten. Vielleicht sind wir dadurch etwas leiser", gesteht Denis.
Regeln für dem Umgang mit Charlie
Gemeinsam mit ihrem Lehrer haben die Siebtklässler Regeln erarbeitet, die sie aufgeschrieben und an eine Wand gepinnt haben. Dort steht zum Beispiel, dass nur Lehrer Kociper Charlie Befehle erteilen darf. Auch dürfen die Siebtklässler den Schulhund nicht aufschrecken, indem sie zum Beispiel Papierkügelchen durch den Raum werfen.
Ihre Taschen und Rucksäcke müssen sie verschlossen halten, eben damit Charlie ihnen nicht ihr Pausenbrot klaut. Einmal war der Greyhound nah dran, ein Schokohörnchen zu verschlingen. Schokolade ist für Hunde sehr giftig.
Bei jedem Besuch wird ein Verantwortlicher eingeteilt, der dem Tier sein Laufgeschirr anzieht, für frisches Wasser im Napf sorgt. Alexander Kociper sieht im Schulhund-Konzept nur Vorteile. "Die Schüler sind ruhiger und konzentrierter, nur weil er da ist." Manch Schüler, dem durch wochenlanges Homeschooling die Lust am Unterricht fast vergangen sei, habe über Charlie wieder Interesse an der Schule gefunden.
Nach durchstandenem Schulalltag darf der Hund übrigens nochmal ausgiebig Gassi gehen und schnüffeln. Dann ist er aber wirklich platt.