Kleine Stadt und große Streifen

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Wirtschaft  Im Stadtrat wagte Retta Müller-Schimmel von den Grünen unlängst einen Frontalangriff auf Adidas - und wurde umgehend zurückgepfiffen. Für Bürgermeister Hacker war das ein "Missbrauch des Gremiums". Wie viel Kritik ist erlaubt?


von unserem Redaktionsmitglied 
Michael Memmel

Herzogenaurach — Wirtschaftlich feiert Adidas in diesen Tagen einen Kantersieg nach dem anderen. Am Sonntag stehen sich die von den "Drei Streifen" ausgerüsteten Fußballer von Deutschland und Argentinien im WM-Endspiel gegenüber und bescheren dem Firmenchef Herbert Hainer sein Traumfinale. Adidas-Trikots und WM-Ball Brazuca übertrumpfen sich gegenseitig mit Verkaufsrekorden. Das Ergebnis: In der Kategorie Fußball knackt das Unternehmen erstmals die Marke von zwei Milliarden Umsatz.
Völlige Glückseligkeit also in der "world of sports"? Nicht ganz, denn auf der anderen Seite brandet immer wieder Kritik auf am Verhalten von Adidas. Die Vorwürfe gehen von einer Ausbeutung der Näherinnen in Zulieferfirmen über Giftstoffe in der Kleidung bis hin zu einer zu aggressiven Werbung. Jüngst wurden sie sogar im Stadtrat von Herzogenaurach geäußert. Retta Müller-Schimmel von den Grünen wagte bei einer Diskussion über neue Bebauung auf dem Adidas-Gelände einen Vorstoß und attackierte allgemein die Firmenpolitik. Bürgermeister German Hacker (SPD) grätschte sofort dazwischen und zeigte der Politikern verbal die Rote Karte: "Nicht angebracht an dieser Stelle!"
Kritik an Adidas - ist die nicht erlaubt in der Heimat von Adi Dassler? Man sollte schon schauen, was in dem Unternehmen vor sich geht, meint CSU-Fraktionssprecher Bernhard Schwab, aber "im Stadtrat haben solche Themen nix verloren". Das müsse an höherer Stelle zur Sprache gebracht werden, sei eine Aufgabe der Bundespolitik. Er verspricht: "Wenn die Firma etwas tut, was die Region betrifft, dann erheben wir unsere Stimme."
Retta Müller-Schimmel ist das zu wenig. Sie ist nach wie vor überzeugt: "Die Stadtratssitzung war der richtige Ort, um das zu sagen!" Kritik an den Herzogenauracher Weltfirmen müsse gerade auch von lokalen Politikern und Bürgern der Stadt geäußert werden, eben weil "wir auch stolz sind auf Adidas, aber genauso auch auf Puma und Schaeffler". Ihr Parteikollege und Neu-Stadtrat Peter Simon sieht das ähnlich, wählt aber einen anderen Weg. Nicht im Stadtrat äußert er sich, sondern prangert in einem Brief an unsere Zeitung die Werbekampagne der "Drei Streifen" zur WM an: "Ob Aufmerksamkeit um jeden Preis das größte Interesse eines internationalen Konzerns sein sollte, ist mehr als fragwürdig" (siehe Infobox).
Ganz allgemein wünscht sich Retta Müller-Schimmel mehr "Verantwortlichkeit" in den Firmen, da dürfe sich keiner in der Anonymität eines großen Konzerns verstecken können. In ihrem eigenen Konsumverhalten versucht die Grünen-Politikerin das selbst umzusetzen. Sie kaufe deshalb keine Adidas-Ware und empfehle jedem in ihrer Familie, auf Naturprodukte zu setzen. "Ich hoffe, dass wenn immer mehr Leute bewusst überlegen, was sie kaufen, dass sich dann auch etwa bewegt", sagt Retta Müller-Schimmel.

Der völlig falsche Ort

Diese private Einstellung kann German Hacker akzeptieren - nicht jedoch das Verhalten der Politikerin im Stadtrat: "Das war ein Missbrauch des Gremiums, um eine Privatmeinung publik zu machen!" Natürlich dürfe in "unserem Land" jeder frei seine Meinung äußern, doch jeder müsse beachten, in welcher Funktion er etwas sage. "Wenn jemand als Stadtrat eine Stellungnahme abgibt, kann er vieles nicht mehr tun", meint Hacker. Wenn es nicht um kommunalpolitische Dinge gehe, sei der Stadtrat der völlig falsche Ort, um darüber zu sprechen.
Das hat Curd Blank selbst erfahren. Der Fraktionssprecher der SPD hat sich vor Jahren zu einer bissigen Bemerkung in Richtung Schaeffler hinreißen lassen ("logistisches Missmanagement") und musste dann kurz darauf öffentlich Abbitte leisten. Daraus und aus anderen Vorkommnissen hat er seine Lehren gezogen. "Als Stadtrat kann ich bestimmte Dinge beeinflussen - den Flächenverbrauch in der Stadt oder wie Gewerbesteuern eingesetzt werden - aber nicht wie ein Vorstandsvorsitzender mit seinen Lieferanten umgeht", erklärt Blank.
Gegenüber den großen Firmen befinde sich die Stadt schon in einer Abhängigkeit, da sie sich zum Beispiel die Stadtbusse nicht leisten könne, wenn deren Gewerbesteuer fehlen würde. Er zieht daraus die Konsequenz: "Ich kann nicht die Hand beißen, die mich füttert. Das ist ein absolutes No-Go in der Politik." Den Anteil der drei großen Firmen an den für 2014 vorgesehenen 21 Millionen Euro an Gewerbesteuer-Einnahmen will und darf Hacker nicht beziffern.

Gesprächen auf Augenhöhe

Angesichts von rund 9000 Beschäftigten vor Ort bei Schaeffler und noch halb so vielen bei Adidas dürfte dieser jedoch erheblich sein. Sein Vorgänger Hans Lang habe den Satz geprägt: "Wenn eine der großen Firmen hustet, hat die Stadt Schnupfen." Hacker würde das heute noch ergänzen: "Und der Landkreis und die Region haben eine schwere Erkältung." Trotzdem spricht der Bürgermeister von Gesprächen auf Augenhöhe mit allen Firmen. Jeder höre auf den anderen: "Da werden keine überbordenden Forderungen gestellt."
Diese gute Zusammenarbeit mit der Stadt stellt auch Herbert Hainer nicht in Frage. Dennoch fühlt der Adidas-Chef von den Herzogenaurachern nicht nur Liebe für seine Firma: "Ich bin mir nicht sicher, ob wir hier immer einen Heimvorteil hatten. Wir sind hier relativ oft kritisiert worden für Dinge, die wir tun, wo wir die Kritik nicht verstanden haben."
Sonntagabend wird das alles keine Rolle spielen. Vereint im Fußballfieber werden alle einer Mannschaft im Adidas-Outfit die Daumen drücken - selbst in Herzogenaurach.