Hilfe aus Heroldsbach für Arme

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Marina Mushkina zu Gast auf der 20-Jahr-Feier in Heroldsbach Fotos: Pauline Lindner
Marina Mushkina zu Gast auf der 20-Jahr-Feier in Heroldsbach Fotos: Pauline Lindner
 

Die Kinderhilfe St. Petersburg aus Heroldsbach blickt auf 20 Jahre zurück. Für viele Familien ist die faszinierende russische Weltstadt zum Alptraum geworden.

Es war ein Traum von Karin und Wulf Rühlmann: die Reise auf Russlands Flüssen von Moskau nach St. Petersburg. Hier in der nordischen Metropole nahm sie Reiseleiterin Lidia in Empfang und zeigte ihnen die prächtigen Paläste, Museen und Kunstschätze. Doch zwischendurch führte der Weg auch hinter die restaurierten Fassaden der Hauptstraßen. Die Spuren der Armut waren unübersehbar.

Lidia sagte auch offen, dass weite Teile der Bevölkerung nahezu Hunger litten. Denn viele der ehemals staatlichen Betriebe zahlten schon eine Weile keine Löhne mehr. Für viele Familien war die faszinierende Weltstadt zum Alptraum geworden.

Kontakt zu Bambergerin

Rühlmanns überlegten, auf welchem Weg sie helfen konnten, und lernten so Evelyn Strauch kennen. Die Bambergerin war kurz vorher im Dienste der Malteser in St. Petersburg gewesen, um in der dortigen Armenküche mitzuarbeiten. In ihrer Heimatstadt hatte sie eine Bekleidungssammelaktion ins Leben gerufen.

Karin Rühlmann sprach daraufhin ihre Bekannten an, und auch in Heroldsbach wurden Kleidungspakete für notleidende Familien in St. Petersburg gepackt. Motor auf russischer Seite war Pfarrer Kania, der die katholische Gemeinde der Millionenstadt betreute.

Strauch initiierte eine Reise nach St. Petersburg, die den deutschen Besuchern beide Seiten zeigte: die Prachtentfaltung seit dem Zaren Peter dem Großen und die Verelendung breiter Schichten.

In der Armenküche der Malteser kam es dann zu der wahrscheinlich entscheidenden Begegnung: Ein Frau auf Krücken sprach auf Deutsch die Gäste an und erzählte einiges. Trotz ihrer schweren Behinderung betreute Natalja Kurowa acht Kinder, drei eigene und fünf ihrer verstorbenen Schwester. Sie ist bis heute die Frau der Kinderhilfe vor Ort. Denn sie ist resolut und durchsetzungsfähig und sieht sehr schnell, wenn in ihrem Umfeld Menschen nicht alleine zurechtkommen.

Das Bild der ersten Begegnung aus dem Jahr 1999 hing denn auch bei der 20-Jahr-Feier ganz oben neben den Hochglanzfotos von den Sehenswürdigkeiten. Und daneben das eines schmächtigen Buben: Konstantin. Auf Empfehlung von Lidia unterstützen ihn und seine Familie die Heroldsbacher. Von ihm gibt es auch aus späterer Zeit ein Foto, mit seinen Großeltern, die ihn aufzogen. Und sein Hochzeitsfoto, denn Karin Rühlmann und die Unterstützer der Kinderhilfe sind für ihn beinahe zu Verwandten geworden.

Schon kurze Zeit nach der Rückkehr aus St. Petersburg sammelte Karin Rühlmann ihre Heroldsbacher Reisebegleiter und andere Freunde um sich, um einen gangbaren Weg zu finden, einzelne Familien in besonderen Notsituationen finanziell zu unterstützen. Die Vereinsgründung war nicht schwierig, dafür aber, Wege zu finden, wie ohne größere Abstriche Geld nach St. Petersburg transferiert werden und an die Bedürftigen verteilt werden konnte. Lidias Tochter Marina sprang in die Bresche: Nachdem ein Konto bei der Petersburger Filiale der Raiffeisenbanken eingerichtet war, übernahm sie das Überbringen an die Familien.

Da war eine ehemals wohlhabende Familie; der Vater hatte im Staatsdienst gut verdient. Als seine Frau wegen der schwierigen Geburt ihres jüngsten Kindes in der Klinik war, bemerkte sie im Kinderzimmer der Geburtsstation zwei Bettchen mit Kindern, die offenbar nie zu ihren Müttern gebracht wurden. Sie schwor sich, eines der "Waisen" zu sich zu nehmen, wenn ihr Töchterchen von den Geburtsfolgen genesen würde. Die Kleine schaffte es, und ihre Mutter ging in die Klinik, um ihr Versprechen einzulösen.

Doch sie brachte es nicht übers Herz, zwischen den zwei Kindern zu entscheiden. In Abstimmung mit ihrem Mann nahm sie beide in ihre Obhut. Doch dann kam der Zusammenbruch der Sowjetunion und der Mann wurde quasi arbeitslos, genauer: Er durfte zwar arbeiten, erhielt aber keinen Lohn über Monate. Die Verzweiflung über seine Lage mag ein Grund gewesen sein, dass er schon in jungen Jahren starb.

Da waren eine Deutschstudentin, Mutter dreier Töchter, und ihr Mann ohne Einkommen. Neben dem Studium arbeitete sie als Garderobiere in einem Theater. "Sie war sehr findig", charakterisierte Karin Rühlmann die junge Frau. Denn sie entdeckte bessere Verdienstmöglichkeiten durch den Verleih von Operngläsern und guten Kleiderbügeln für die edlen Pelze der Theaterbesucher.

Sie leitet Hilfe weiter

Marina Mushkina war nun zu Gast bei der 20-Jahr-Feier. Seit sie ihre Prüfungen absolviert hat und als Deutschlehrerin eine Anstellung fand, übernahm sie die Aufgabe der Hilfsweiterleitung in St. Petersburg.

"Wir hatten auch Misserfolge", räumt Rühlmann unumwunden ein. Frau Kurowa wollte einer alkoholkranken Mutter helfen. Doch diese weigerte sich strikt. Außer dass die Kinder ab und an von der öffentlichen Fürsorge in Kinderheime gesteckt wurden, geschah nichts. Bis Anna, die Älteste, dank Frau Kurowa den Mut fand, ihre Familie zu verlassen. Mit Feuereifer machte sich die junge Frau daran, die schlimmsten Bildungslücken zu schließen. Als Mädchen hatte sie ihre Mutter kaum zur Schule gehen lassen. Sie schaffte trotz eines eigenen Kindes eine Ausbildung zur Näherin, leidet aber immer noch an einer dauerhaften Erkrankung - vermutlich einer Folge ihre schrecklichen Kindheit.