Einst zogen die jüdischen Silbermanns von Friesenhausen nach Haßfurt. Ein Sohn kam im Ersten Weltkrieg ums Leben, zwei Geschwister starben als Kinder und zwei Schwestern wurden in einem KZ ermordet.
Vor 100 Jahren, genau am 15. November 1916, ist der für das deutsche Reiche kämpfende jüdische Soldat Julius Silbermann im Ersten Weltkrieg in Rumänien gefallen. Er war 20 Jahre alt. Und er ist einer von über 12 000 jüdischen Gefallenen im deutschen Reich. Aus den früheren Landkreisen Hofheim, Ebern, und Haßfurt nahmen 114 jüdische Männer zwischen 1914 und 1918 an diesem Krieg teil. Am gestrigen Volkstrauertag gedachten die Menschen der Opfer von Kriegen und Gewalt. Die Geschichte von Julius Silbermann und seiner Familie zeigt, warum solch ein Gedenken wichtig ist.
Cordula Kappner, einst Leiterin des Haßfurter Bibliotheks- und Informationszentrums, holte viele jüdische Schicksale im Gebiet des heutigen Landkreises Haßberge aus dem Dunkel.
Für ihre Bemühungen, nach dem Holocaust die Erinnerung an die jüdische Bevölkerung, die in Konzentrationslagern ermordet wurde, nicht verblassen zu lassen, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Über Familie Silbermann berichtet sie Folgendes.
Junger Haßfurter
Julius Silbermann wurde am 7. Januar 1896 in Haßfurt im Haus Nummer 109 geboren. Sein Vater Simon stammt aus Friesenhausen. Großvater Emanuel Silbermann, 1829 in Friesenhausen geboren, lebte dort mit seiner aus Westheim stammenden Ehefrau Jeanette Baum. Emanuel war Kaufmann und starb am 24. September 1875 in Leipzig. Jeanette folgte ihm 34 Jahre später mit fast 81 Jahren. Sie starb am 16. April 1909 in Hofheim.
Emanuel Silbermann war ein Sohn von Tuchweber Mayer, der 1794 in Friesenhausen zur Welt gekommen war, und von Madel (Mathilde) Silbermann, einer geborenen Rauh aus Ermershausen.
Emanuel hatte acht Geschwister, von denen zwei als Kind starben. Die vier Schwestern heirateten alle, Bruder Feist wanderte 1853 nach Amerika aus, die Zeit der großen Auswanderungsbewegung in die neue Welt. Die Bemühungen der Obrigkeit, die jüdische Minderheit gleichzustellen mit der übrigen Bevölkerung, scheiterten, wie Kappner berichtet, am Widerstand der unteren Schichten, die Konkurrenz fürchtete. 1857 folgte Feists drei Jahre jüngerer Bruder Heinemann nach Amerika. Acht Millionen Emigranten flossen in den 1850er Jahren aus Deutschland ab. 1852 durchliefen 90 000 Auswanderer den Hafen von Bremerhaven.
Wie heute: Oft wanderte erst der ältere Bruder aus und holte Geschwister und Eltern nach. Es war ein gefährlicher weiter Weg. Die Überfahrt im Zwischendeck der Schiffe war anstrengend, der Neuanfang in der Fremde schwer.
Viele schafften den Aufstieg, einige wurden reich, wie Marcus Goldman aus Trappstadt (einer der Gründer der Goldman-Sachs-Bank), andere schafften es nicht. Einer schrieb 1851 in die alte Heimat: "In ganz Deutschland geht es keinem Menschen so gut, das dürft ihr uns glauben."
Zur Geschichte Friesenhausens, das heuer seine 1200-Jahr-Feier beging, gehören die jüdischen Einwohner. Sie lebten bis in die 1860er Jahre hier, waren Schutzjuden der Herren von Dalberg. Das Emanzipationsgesetz vom 10. November 1861 räumte ihnen die vollen Bürgerrechte ein. Nun konnten sie wählen, waren deutsche Bürger mit allen Rechten und Pflichten. Die Aufhebung des Matrikelparagraphen bedeutete, dass sie auch ihren Wohnort frei wählen durften. Viele verließen die Dörfer und zogen in nahe, größere Orte, kleine jüdische Gemeinden lösten sich auf. Wie in Friesenhausen, wo ab 1609 jüdische Familien lebten.
1904 wohnten noch zwei jüdische Bürger hier.
Der Vater von Julius Silbermann - Kaufmann Simon Silbermann - wurde 1857 in Friesenhausen geboren und starb 1912 in Haßfurt. Er hatte 1888 Friesenhausen verlassen und im Haus mit Nummer 109, heute Brückenstraße 3, einen Textilwarenhandel eröffnet mit seiner Schwester Karolina.
Das Schicksal ihrer Kinder
Simon Silbermann heiratete Kathi Dittmann aus Aufseß (Oberfranken). Von ihren fünf Kindern starben zwei noch klein. Julius fiel im Ersten Weltkrieg, seine beiden Schwestern wurden am 25. April 1942 aus Würzburg deportiert und in den Vernichtungslagern Belzec oder Sobibor durch Gas ermordet.
Eine Haßfurter Augenzeugin, damals ein Kind von sieben Jahren, beschrieb, wie Cordula Kappner notierte, die Deportation:
"Es war ein Tag im April.
Da hieß es plötzlich, dass die Juden abtransportiert werden. Daraufhin lief ich zum Bahnhof, um das mitzuerleben. Ich erinnere mich, dass die Juden angespuckt wurden, dass sie sich in ein Zugabteil drängten, in dem sich schon viele Menschen befanden, und dass sie geweint haben. Ich winkte dem abfahrenden Zug nach und sah, dass eine Frau mir zurückwinkte." Von der Familie der 1893 geborenen Schwester Irma sind die einzigen Fotos von Silbermann erhalten. Irma hatte 1919 Jakob Julius Hess aus Geroda geheiratet und mit ihm die 1921 geborene Suse und den 1926 geborenen Sigbert. Die Familie lebte in der Brückenstraße 3. Hier war später das Haßfurter Ghetto. Suse überlebte als einzige der Familie dank ihrer Flucht in die USA.
Sigbert fuhr mit seinen Eltern und seiner Tante Marie am 25. April 1942 in den Tod. Am 23.
September 1942 wurde Kathi Silbermann aus Würzburg ins Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie an den erbärmlichen Lebensbedingungen der alten Menschen auf den Dachböden der ehemaligen Kasernen am 27. April 1943 zugrunde ging.
Am 28. Dezember 1940 hatte der damalige Bürgermeister in Haßfurt an den Landrat Vollzug gemeldet: Die Firmentafel "des früheren jüdischen Geschäfts Silbermann-Hess in der Fritz-Sauckel-Straße 3" war entfernt.