Ein Internat verwandelt sich

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Erneuerung  Aus dem Salesianum in Haßfurt werden 25 Wohnungen. Das weckt Erinnerungen. Ein früherer Schüler geht über die Baustelle.

von unserem Redaktionsmitglied 
KLaus schmitt

Haßfurt — Bruno Müller sagt: "Das ist ein Studiersaal." Marco Strätz erklärt: "Wir befinden uns hier in der Wohnung B-09." Beide stehen zur selben Zeit im selben Raum, und im ersten Moment hören sich ihre Aussagen wie ein Widerspruch an. Ist es aber nicht. Beide haben Recht und auch nicht. Es ist kein Studiersaal mehr und noch keine Wohnung. Es ist einfach ein leerer Raum.
Der Ort ist das imposante Gebäude mit der Anschrift Häckergasse 19 in Haßfurt. Das ehemalige Salesianum. Ein Internat, in dem in früheren Jahrzehnten Hunderte von Schülern auf der Basis der Ordensregeln des Franz von Sales gelebt, gelernt und sich auf das Abitur vorbereitet haben.
Schüler gibt es in dem dreistöckigen Haus in der südwestlichen Altstadt von Haßfurt schon lange nicht mehr. Derzeit ist es eine Baustelle. Die Firma "Green Trust" mit Sitz in Stettfeld baut es um. 25 Eigentumswohnungen entstehen, von denen 17 bereits verkauft sind. Ein Millionenprojekt. Ende kommenden Jahres sollen die Wohnungen bezugsfertig sein.
Es ist Samstag. Es ist kalt an diesem Novembertag. Marco Strätz, der Geschäftsführer der Stettfelder Firma, und seine Assistentin Kathrin Auernheimer führen bei einem "Tag der offenen Baustelle" interessierte Besucher durch das ehemalige Salesianum und erklären, wie aus dem früheren Salesianer-Internat Wohnungen werden. Aktuell "sind wir mitten in der Entkernung", schildert Strätz.
Es ist kalt. Bruno Müller, der einst neun Jahre (von 1951 bis 1960) als Schüler hier lebte, erinnert sich an seine Kindheit. Im Dachgeschoss befanden sich die Schlafsäle. Da war es im Winter manchmal auch eisig kalt. Eine Heizung, wie sie heute Standard ist, gab es nicht. Manchmal war es so kalt, dass das Wasser in der Waschschüssel gefror.

Über den Dächern

Im Dachgeschoss entstehen wie in den anderen Stockwerken Wohnungen. Sie liegen über den Dächern von Haßfurt und ermöglichen einen Blick auf die Spitze des Unteren Turms, auf die beiden Türme der Stadtpfarrkirche und mitten in das FC-Stadion auf der anderen Mainseite hinein. Aus der Ferne haben die Schüler einst die Fußballspiele sehen können, erzählt Bruno Müller, der selbst ein leidenschaftlicher Fußballer war.
Er spielte im Verein beim TSV Limbach und in Hainert. Der heute 74-Jährige wurde Lehrer und war von 1990 bis 2005 Schulamtsdirektor am Schulamt Haßberge. Er lebt in Prappach und ist auf die Bitte unserer Zeitung zum "Tag der offenen Baustelle" noch einmal an die Stätte seiner Kindheit gekommen, mit der er viele Erinnerungen verbindet - nicht nur erfreuliche.

Erinnerungen

Woran denkt er beim Rundgang zum Beispiel? Unter dem Sale-sianum befindet sich ein enger Keller. "Da haben wir Kartoffeln geschält", schildert Müller. Im Treppenhaus: "Da haben wir Tischtennis gespielt. Das war die einzige Sportmöglichkeit" im Gebäude. In der Kapelle: Jeden Tag wurde Gottesdienst gefeiert. Da gab es keine Möglichkeit fernzubleiben. Außer "man war krank". Im Dachgeschoss: "Hier stand 1951 mein Bett".
Die Schüler, die alle das Gymnasium im nahen Herrenhof (heute Landratsamt) besuchten, lebten nach einem strengen Tagesablauf. Sechs Uhr Wecken, danach Gottesdienst, in die Schule ging es in Gruppen. Nach der Schule Mittagessen und ein bisschen Freizeit. Wann immer er konnte und durfte und das Wetter passte, spielte Bruno Müller Fußball auf dem nahen Gries (heute ein Parkplatz am Main). Dann Studierzeit, das heißt, die Hausaufgaben machen und lernen. Bis zum Abendessen. Dann noch einmal ein bisschen Freizeit und kurz nach acht Uhr ins Bett. Heimfahren durften die Schüler nur in den Ferien. Schreckliches Heimweh befiel die Kinder. Für Bruno Müller besonders schlimm: Vom Salesianum aus konnte er sein Heimatdorf Limbach sehen. Es war nah und doch so weit weg.
Der Direktor und ein Präfekt (Erzieher) sowie die anderen Patres im Salesianum verfolgten zu Bruno Müllers Internatszeit eine "rein autoritäre Erziehung" mit strengen Regeln, zu denen auch Strafen gehörten. 16 Wochen Abtrockendienst in der Küche musste der kleine Bruno einmal wegen einer Verfehlung leisten. Ein andermal musste er tausendmal schreiben: "Ein Junge mit 15 Jahren sollte wissen, wie er sich zu benehmen hat".

"Ein bisschen mehr Freiheit"

Es gab wenige Freiräume. Wie Kinder und Jugendliche sind, nahmen sie sich ihre Freiheiten. Die Sportlichen kletterten schon mal die Dachrinne herunter, um in die Stadt zu verschwinden. Beim Großreinemachen zwei Mal in der Woche wurde, wenn die Gelegenheit passte, im Müllsack ein Ball nach draußen geschmuggelt und Fußball gespielt. Und ein Sportwettkampf der Schule wurde ausgedehnt, um ein Bier zu trinken. Nur "ein bisschen mehr Freiheit" hätten sich Bruno Müller und seine Mitschüler schon gewünscht. Im Rückblick auf seine Kindheit will der 74-Jährige "nicht alles verdammen". Man müsse "alles in seiner Zeit sehen", weiß er. Aber er bedauert heute noch, dass es eine Erziehung zur Gesamtpersönlichkeit nicht gegeben habe. Das hat auch dazu geführt, dass "wir nach dem Abitur relativ unselbstständig waren". Und bei aller Dominanz der Patres: Der entscheidende Erzieher in seinem Leben war seine Mutter. Sie hat ihn auch ermuntert durchzuhalten.
Was hat er Positives aus seiner Internatszeit mitgenommen? Er hat viel gelernt. Die Schüler seien zum Lernen angehalten worden, und sie kamen voran, auch wenn sie teilweise nur "aus Langeweile gelernt" haben. Vielleicht, überlegt er heute, hat die se Zeit dazu beigetragen, dass er auf ein erfolgreiches Berufsleben und insgesamt zufrieden auf sein Leben blicken kann. "Insofern muss ich sogar dankbar sein für die harte Internatszeit."

Abschied kam 2008

Hinter den Mauern des Salesianums haben viele Kinder und Jugendliche Vokabeln gepaukt, gerechnet und versucht, Goethe zu verstehen. Die dicken Mauern sind geblieben, die Schüler und die Salesianer sind gegangen. Nach 62 Jahren hatten sich die Salesianer Ende 2008 aus der Kreisstadt verabschiedet. Von 1946 an hatte der Orden hier über 650 Schüler und danach (zwischen 1992 und 1999) noch zahlreiche Migranten betreut.