Angeklagte vor Gericht zu vertreten, ist die Berufung des Kronacher Anwalts Josef Geiger. Vor der eigentlichen Arbeit muss er aber erst einmal herausfinden, ob seine Mandanten die Wahrheit sagen oder nicht.
Wer es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, ist bei Josef Geiger an der falschen Adresse. Der Mann mit dem Zwirbelbart verteidigt seit 36 Jahren in Kronach Angeklagte vor Gericht und sagt: "Ich hab' es im Gefühl, wenn jemand lügt."
Der Anwalt weiß aus Erfahrung, dass sich Delikte wie Ladendiebstahl oder Unfallflucht durch alle Gesellschaftsschichten ziehen - und genauso verhalte es sich mit dem Lügen. Oft erlebt es Geiger, dass Mandanten zu ihm in die Kanzlei kommen und sagen: "Ich war das nicht." Doch gesunde Skepsis gehört zum Geschäft des Frieseners. Der erfahrene Jurist studiert dann zunächst einmal die Strafakte.
Der nächste Termin laufe häufig nach dem gleichen Muster ab: "Ich lasse ihn ein paar Minuten draußen warten. Dann kommt er rein, kann mir nicht in die Augen schauen, hat schwitzige Hände."
Lügen haben kurze Beine
Wer nicht ehrlich war, könne dem Röntgenblick des 66-Jährigen nicht lange standhalten. Lügen mache sowieso wenig Sinn: "Die Wahrheit muss man sich nicht merken, eine Lüge schon. Ein seriöser Anwalt wird seinem Mandanten niemals dazu raten, zu lügen, weil die Wahrheit vor Gericht fast immer ans Licht kommt."
Geigers Verteidigungsstrategie dagegen ist schlicht: "Ich favorisiere immer ein Geständnis - wenn es denn ehrlich ist." Richter würden sehr schnell merken, wenn jemand keine aufrichtige Reue zeigt (siehe unten).
Diese Taktik kann schnell nach hinten losgehen, wie die Geschichte eines hochkarätigen Bankers zeigt, der mehrere Kreditinstitute um über 100 000 Euro betrogen hat. "Ich habe ihn einen Tag vor der Verhandlung im Gefängnis besucht und ihm geraten, vor Gericht Demut zu zeigen", erzählt Geiger. Diesen Hinweis habe sein Mandant allerdings nur bedingt beherzigt: "Er hat irgendwann während der Verhandlung den Richter ganz überheblich gefragt: ,Was haben Sie denn schon für eine Ahnung vom Bankwesen?‘" Der Jurist ist sich sicher, dass der Mann alleine wegen dieser Aussage zu einer um ein Jahr längeren Haftstrafe verurteilt worden ist.
Berufswunsch Priester
Derart uneinsichtige Menschen sind laut Geiger, für den die Strafverteidigung mehr Berufung als Beruf ist, aber eher die Ausnahme. Eigentlich wollte er als junger Mann Priester werden und hat sogar schon einige Zeit im Kloster verbracht. Doch während des Wehrdienstes entdeckte der junge Geiger seine wahre Berufung: "Ich war Vertrauensmann für 460 Leute und habe die Soldaten bei Disziplinarverfahren vertreten", erinnert er sich. "Da habe ich gemerkt, dass mir das richtig gut liegt." Geiger schloss nach seinem Studium zwei Staatsexamen mit Auszeichnung, was Juristen als Prädikat bezeichnen, ab: "Mir haben damals alle Türen offen gestanden. Ich hätte auch Richter oder Notar werden können." Die Strafverteidigung sei ihm jedoch einfach in die Seele gelegt gewesen. "Bis heute habe ich meine Wahl keine Sekunde bereut."