Mit William Shakespeares "Hamlet" hat das Ensemble um Nina Lorenz einen Klassiker zeitgemäß, jedoch mit großem Respekt auf eine Lagerhallenbühne gebracht.
Großes abendländisches Kulturgut auf dem Hafengelände: Mit dem "Hamlet" hat das freie "Theater im Gärtnerviertel" (TiG) sein bisher ehrgeizigstes Projekt realisiert. Technischer und personeller Aufwand, Kostüme, Bühne, Musik - alles noch nicht dagewesen in dieser Opulenz und Raffinesse. Und ein Spielort, der endlich einmal die bei TiG-Inszenierungen gewohnten Beklemmungen vergessen ließ.
Ja, die leer geräumte Lagerhalle der Fa. upjers bietet Platz für ca. 100 Zuschauer. Und dem Ensemble Raum sich zu entfalten. Mit einer stufenartig aufgebauten Bühne (David Grimm), mit Videoeinspielung (von der Villa-Concordia-Stipendiatin Janis Rafa), mit einer One-Man- Band (Jakob Fischer) im Hintergrund. Da kann schon einmal Ophelia (Aline Joers) hinter der mit Plastikplanen verhängten Bühne zum Spurt rund ums Publikum starten, im finalen Showdown kreuzen Hamlet (Felix Pielmeier) und Laertes (Martin Habermeyer) gekonnt die Klingen, der Totengräber kriecht unter einem Bühnenelement hervor.
Die Handlung des über 400 Jahre alten, immer wieder gern gespielten und in Interpretationen fast erstickten Klassikers geht verschlungene Wege. Regisseurin und Dramaturgin Nina Lorenz ist es gelungen, in ihrer Textfassung auf der Basis der Übersetzung von Erich Fried Schneisen in dieses Dickicht zu schlagen, klug zu kürzen und trotzdem die Essenz der Vorlage beizubehalten. So wie auch die kraftvolle Sprache Shakespeares immer noch wirkt, ob in den Monologen des Hamlet, ob in der lispelnden Interpretation Andreas Ulichs als Totengräber. Der Titelheld erscheint hier zerrissen wie eh und je, weniger zaudernder Melancholiker denn kraftvoll-punkiger Rowdy, von Pielmeier mit großer physischer Wucht auf und neben die Bühne gebracht. Auch die großen, berühmten Monologe und die ins sprachliche Volksvermögen eingegangenen Zitate fehlen nicht. Respekt vor dem Text zeichnet diese Inszenierung aus, behutsam modernisiert hat der Übersetzer, behutsam modernisiert auf dem Stand der Technik haben Regie und Ensemble. Ein besonderer Akzent liegt auf der Ophelia-Figur - Wahnsinn und Selbstmord aufgrund patriarchaler Unterdrückung? Diese Interpretation wird zum Glück nicht aufgedrängt, sondern bleibt jedem Zuschauer selbst überlassen.
Unverhofftes Wiedersehen
Das Wiedersehen mit so prächtigen Schauspielern wie Pielmeier, Joers, Ulich lässt einen wieder einmal bedauern, dass sie nicht mehr auf der Bühne des Stadttheaters stehen. Stephan Bach als Bösewicht Claudius sieht dämonisch aus wie nie (Kostüme Lena Lorang, Maske Aline Joers) und brilliert wieder einmal mit seiner Stentorenstimme, Ursula Gumbsch als seine Gattin Gertrud besetzt gleichzeitig eine Totengräber-Rolle, wie mit Martin Habermeyer als Laertes und Rosenkranz und Benjamin Bochmann als Güldenstern, Fortinbras und Wachmann auch Nebenfiguren in dieser Inszenierung nicht wegrationalisiert werden - die musikalischen Vignetten Jakob Fischers als wunderbarer Live-Soundtrack im Hintergrund nicht zu vergessen. Olga Seehafer als Horatio spielt des Öfteren die Moderatorin und dient als Echoraum.
Eine großartige Gesamtleistung, die auch mit großem Applaus belohnt wurde. Jedoch hat das TiG eine Grenze erreicht. Der Charme der freien Truppe, mit der Not geschuldeten reduzierten Mitteln auskommen zu müssen, droht durch die Technisierung verloren zu gehen. So originell der Geist von Hamlets Vater in Großaufnahme von der Video-Leinwand auch ins Publikum dräut, so sinnig elektronische Laufbänder die allgegenwärtige Überwachung symbolisieren, ob gegenseitig im Soziotop Königshof oder elektronisch in Facebook-Zeiten. Und Nacktheit auf der Bühne kann auch übergriffig wirken. Übergriffig dem Publikum gegenüber.