Vor 35 Jahren wurde der Sozialpsychiatrische Dienst der Caritas im Landkreis Haßberge gegründet. Über die Entstehungsgeschichte und die heutige Situation sprach unsere Zeitung mit der Diplom-Psychologin Esther Rittner.
Vor 35 Jahren gab es im ganzen Landkreis keinen einzigen niedergelassenen Facharzt für Psychiatrie - psychische Erkrankungen waren noch sehr stark tabuisiert, aber natürlich gab es Bedarf an Beratung und Behandlung. Die erste Initiative, die Versorgung zu verbessern, ergriff die Caritas als Sozialdienst der katholischen Kirche mit der Gründung des Sozialpsychiatrischen Dienstes (SpDi), der in diesem Jahr ein kleines "Jubiläum" begeht: 35 Jahre.
Rund 300 Menschen nehmen pro Jahr die Beratungsstelle in Anspruch - manche kommen für ein Informationsgespräch, andere werden über Jahre hinweg immer wieder begleitet. Der SpDi bietet Beratung an, keine Therapie. Dafür sind Psychotherapeuten zuständig. "Aber dort sind oft die Wartezeiten sehr lang, und oft hilft eine Beratung gut weiter. Sie kann eine Person beispielsweise stabilisieren oder auch bei der Entscheidung helfen, welche Hilfe notwendig ist", erklärt die Psychologin Esther Rittner.
Vor allem für Angehörige von psychisch Kranken sei eine solche Beratung oft enorm wichtig: "Wenn ich weiß, wie ich mit der Erkrankung umgehe, kann ich oft aus der Lebenssituation ganz viel Druck rausnehmen. Das ist von Vorteil für den Erkrankten und sein Umfeld", erklärt die Psychologin. Das gelte vor allem für den Umgang mit Depressionen oder Angststörungen, aber sogar bei Borderline-Erkrankungen, bei denen ein hoher Leidensdruck der Angehörigen herrsche. Deshalb sollten Angehörige auch früher Hilfe suchen.
Standardlösungen gebe es natürlich nicht. "In einer Depression ist es für den einen gut, wenn ihn jemand aus seiner Isolation holt, andere lässt man besser einfach mal ausruhen", erläutert Esther Rittner.
Manchmal ist es nur ein Tief
Während die Beratungsstelle bei Angehörigen oft einzige Anlaufstelle sei, fungiere sie bei Erkrankten meist als Entscheidungshilfe. In der Beratung werde nach Möglichkeit herausgeschält, ob der Klient unter einer psychischen Erkrankung leidet. "Manchmal durchleidet jemand einfach ein persönliches Tief, wegen Trauer, Arbeitsplatzverlust oder Trennung", sagt Rittner. Dies sei mit Beratung oft gut lösbar. Andere Klienten könnten dann auf Basis der Beratung entscheiden, ob sie in eine Psychotherapie gehen oder einen Klinikaufenthalt wählen.
Heute arbeite die Beratungsstelle eng mit Fachärzten und Psychotherapeuten der Region zusammen. Nach und nach hätten sich ambulante, wohnortnähere Versorgungsstrukturen aufgebaut, gleichzeitig habe es auch mehr Betten im stationären Bereich gegeben. Und mit der Entwicklung neuer Medikamente hätten sich die psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten verbessert, erzählt Rittner. Zum Beratungsdienst sei auch eine Wohngemeinschaft für jüngere psychisch kranke Menschen hinzugekommen, die zunächst vom Verein "hope e.V" gegründet und dann von der Caritas übernommen worden sei. Immer wieder sei die Finanzierung der Dienste ungesichert gewesen, doch auch der Staat habe das Problem erkannt, "und die Zuschüsse wurden zuverlässiger". Seit 1999 gebe es zudem das Sozialpsychiatrische Tageszentrum.
10 000 Hausbesuche
In den 35 Jahren des Bestehens haben laut Esther Rittner beim SpDi rund 50 000 Beratungsgespräche stattgefunden, und die Mitarbeiter hätten etwa 10 000 Hausbesuche gemacht. Rittner: "In etwa 40 Prozent der Fälle nennen die Klienten Beschwerden und Symptome der sogenannten affektiven Störungen, zu denen die Depression gehört. Schwerwiegende psychische Erkrankungen können manchmal nicht geheilt werden. Diesen Klienten können wir aber Hilfe anbieten, um mit den Problemen, die eine psychische Erkrankung mit sich bringt, besser umzugehen", erklärt die Expertin.
Nicht selten erhielten die Mitarbeiter von Menschen in diesen Situationen die Rückmeldung: "Diese Gespräche haben mir wirklich geholfen."
Große Anerkennung gelte allen ehemaligen Mitarbeitern des SpDi Haßberge, die durch ihr Engagement den Dienst bekannter und den niederschwelligen Zugang zu Hilfe möglich gemacht hätten. Die aktuelle Geschäftsführung des Caritas-Kreisverbandes habe immer ein offenes Ohr und stelle jedes Jahr Eigenmittel in beträchtlicher Höhe bereit. Dank gelte auch allen Kooperationspartnern und den ehrenamtlichen Mitarbeitern, sagt Esther Rittner.