Ein schrecklicher Unfall hat sich beim Annafest 1844 in Forchheim zugetragen. Kathie Zeiller hat das Drama in ihren Jugenderinnerungen festgehalten.
von Rolf Kießling Das Annafest des Jahres 1844 wurde durch einen spektakulären Unfall überschattet, der sich am Sonntag, 21. Juli, ereignete. Beim jährlichen Preisschießen der Hauptschützengesellschaft wurde ein Vereinsmitglied "durch eigene Unvorsichtigkeit erschossen". Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Der Unglücksfall sorgte lange Zeit für Gesprächsstoff in der Kleinstadt, die damals nur rund 3000 Einwohner zählte. Der Vorfall wurde wenige Tage später im "Nürnberger Abendblatt" - in Forchheim selbst gab es noch keine Zeitung - ausführlich geschildert: "Auf dem Annafest kam es zu einem tragischen Unfall, den Moses Moritz Zeiller verursacht hat. Bei dem Unfall kam ein Herr Stocker, der Zieler der Schützengesellschaft war, ums Leben. Zeiller war so schockiert, dass er sich das Leben nehmen wollte und nur durch den Anblick seiner Tochter eines Besseren belehrt wurde. Die Familie befürchtete Ausschreitungen, was aber ausblieb."
Im Steinbruch
Der historische Hintergrund war folgender: Im Jahr 1840 war die traditionsreiche Königlich privilegierte Hauptschützengesellschaft vom Schießanger in den oberen Kellerwald umgezogen. Im Fürstensteinbruch wurde am 26. Juli, dem Tag der heiligen Anna, eine neue Schießanlage in Betrieb genommen. Gleich zwei Musikkapellen spielten auf. Die Forchheimer Wallfahrer kehrten aus Weilersbach zurück und stärkten sich am Schießhaus auf den Kellern. Damit war der Grundstein für das heutige Annafest gelegt. Dieses weitete sich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten über den gesamten Kellerwald aus.
Jüdische Geschäftsleute aufgenommen
Im Jahr 1844 waren erstmals drei jüdische Geschäftsleute in die Königlich privilegierte Schützengesellschaft aufgenommen worden. Neben dem Schnittwarenhändler Moses Moritz Zeiller waren dies der jüdische Kaufmann Isidor Lederer und dessen jüngerer Bruder, der Zinngießermeister Jondorf Lederer. Die Mitgliedschaft in der renommierten Schützengesellschaft, der die Honoratioren der Stadt angehörten, war quasi der gesellschaftliche Ritterschlag für die drei jüdischen Bürger, ein wichtiger Schritt auf dem langen Weg der Emanzipation der Juden.
Das Unfallopfer
Das Unfallopfer hieß Georg Stocker, war 28 Jahre alt und von Beruf Büchsenmacher. Dieses Handwerk hatte er von seinem Vater Franz Stocker gelernt, der 1842 gestorben war. Sohn Georg hatte wenige Wochen vor dem Umfall, am 20. Mai 1844, Catharina Utz aus Pommersfelden geheiratet. Am 21. Juli wurde er von einem Schuss getroffen, den Moses Moritz Zeiller abgefeuert hatte, so dass es zu einer "Zerschmetterung des linken Schläfen- und Hinterhauptbeines und Zerreißen des Gehirns" kam - so der Eintrag im Sterberegister.
Wie war es zu dem Unfall gekommen? Stocker hatte das Amt des Zielers inne. Seine Aufgabe bestand darin, nach einzelnen Durchgängen in den Feuerpausen die Treffer aufzunehmen und diese mithilfe eines Zeigestockes den Schützen auf der Scheibe anzuzeigen. Um nicht übersehen zu werden, hatte der Zieler oft ein besonders buntes Gewand an. Während des Schießens nahm er in einem kleinen Verschlag oder in einem Graben unterhalb der Schießebene Deckung. Die Schießergebnisse zeigte er mit einer besonders gestalteten Kelle an und rief die Ergebnisse laut dem Protokollanten zu. Offenbar hatte Georg Stocker die Deckung zu früh verlassen.
Die im Zeitungsbericht erwähnte Tochter Zeillers hieß Kathie. Sie war die drittälteste von insgesamt elf Töchtern des Moses Moritz Zeiler und seiner Ehefrau Sara, geb. Schmidt. Das Ehepaar hatte keine männlichen Nachkommen. Die 1832 geborene Kathie heiratete später Markus Traub in Lichtenfels. Im Alter von 60 Jahren schrieb sie ihre Erinnerungen an ihre Jugend in Forchheim nieder. Darin brachte sie auch den Unglücksfall von 1844 zur Sprache und schilderte die Ereignisse aus Sicht der jüdischen Familie.
Schießbude im Kellerwald eröffnet
Kathies Tante Rosa, die mit Jondorf Lederer verheiratet war, hatte im Kellerwald eine Schießbude eröffnet. An diesem Stand verkauften die Lederers auch Glas und Porzellan. Kathie half beim Ausstellen der Waren und beim Verkauf. Am Nachmittag gegen 4 Uhr wurde sie in die Stadt zurückgeschickt, um etwas zu holen. Kathie erinnerte sich: "Ich ließ mir von meiner lieben Mutter ein Butterbrot geben und sehe noch ihre Freude, als ich ihr sagen konnte, dass bei Lederers die Sache gut gehe. Nun ging's aber im Galopp wieder fort, denn es sah aus, als wenn ein Gewitter kommen wollte. Noch heute erinnere ich mich deutlich, wie ich bei jedem Schritt müder und matter wurde, umso mehr, als mir am Kanalwege Leute begegneten, an denen ich merkte, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Manchmal hörte ich die Worte ,Der Jud! Das Unglück!'" Ich ging zwar weiter, aber als mir dann auf der Kellerstraße mein Onkel Heßla begegnete und mich sofort umkehren hieß, ahnte ich, dass meinem Vater etwas zugestoßen sein müsse. Mein Onkel war etwas barscher Natur, er sagte: ,Du gehst net nauf die Keller. Dein Vater hat den Stocker erschossen.'"