Sie helfen Straffälligen, die Zelle zu umgehen

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Marianne Pickel und Dietmar Schuberth im Awo-Büro in der Waisenhausstraße. Foto: Barbara Herbst
Marianne Pickel und Dietmar Schuberth im Awo-Büro in der Waisenhausstraße. Foto: Barbara Herbst

Manche straffällige Jugendliche haben Glück: Statt hinter Gittern, landen sie bei den Sozialpädagogen Dietmar Schuberth und Marianne Pickel. Ein junger Forchheimer erzählt, wie das in einem Jahr sein Leben radikal verändert hat.

Die Straße seiner Kindheit, die gibt es nicht mehr. Doch was Armin dort erfuhr, verfolgte ihn die meiste Zeit seines Lebens. "Im Norden aufwachsen, das ist wie eine vorgelegte Bahn", sagt der 19-Jährige rückblickend.
Die Herderstraße (heute Dietrich-Bonhoeffer-Straße) sei von Gewalt und Alkohol geprägt gewesen. Die Freizeit verbrachte der Junge im "Nordstern", einem Jugendtreff. Und hier begegnete er erstmals Dietmar Schuberth, jenem Diplom-Sozialpädagogen, der ihm viele Jahre später helfen würde, sein Leben komplett umzubauen.
Dietmar Schuberth und seine Kollegin, die Diplomsozialpädagogin Marianne Pickel, haben die sogenannte "ambulante Straffälligen-Hilfe" in Forchheim geprägt. Hunderte Jugendliche kamen dadurch von einer scheinbar vorgelegten und schiefen, auf eine gerade Bahn. Die Geschichte von Armin wirkt wie ein seltenes Vorzeigeexemplar.
Aber Dietmar Schuberth betont, dass 90 Prozent der Jugendlichen, die vom Fachdienst der Arbeiterwohlfahrt (Awo) gefördert werden, "das Angebot auch positiv nutzen".
Für Armin bedeutete es eine grundlegende Wende. Im November vergangenen Jahres hatte ihn der Jugendrichter wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Sobald der junge Mann getrunken hatte - und das tat er vor allem an Wochenende exzessiv - war die Kontrolle dahin. "Es musste mich einer nur schief anschauen, da hat er eine gekriegt", erinnert sich Armin.
Einem seiner Opfer fügte er mehrere Knochenbrüche zu. Das Urteil: Drei Jahre auf Bewährung. Er musste Schmerzensgeld, Gerichtskosten und ähnliches mehr bezahlen - plötzlich stand er mit über 5000 Euro Schulden da.
Die "Betreuungsweisung" sei eine Möglichkeit, mit der Jugendrichter straffälligen Jugendlichen die Gefängniszelle ersparen können, erklärt Dietmar Schuberth. "Wir arbeiten mit Jugendlichen, wenn der Aufprall schon da war", sagt Marianne Pickel. Immer gehe es drum, eine "Teilhabe an der Gesellschaft" zu ermöglichen.
"Hilfe statt Strafe, das passt zur Philosophie der Awo", meint Geschäftsführerin Lisa Hoffmann. Jeder Mensch habe das Potenzial, um eine zweite Chance zu nutzen.
Doch die Arbeit sei auch aus ganz nüchtern-ökonomischen Gründen sinnvoll, betont Dietmar Schuberth: "Wenn Haft verhindert wird, ist es immer eine Ersparnis."
Armin hat sie verhindert. Ein bis zwei Mal die Woche saß er mit Dietmar Schuberth zusammen und lernte so gut wie alles neu: Er gab das Trinken auf; er verließ die meisten seiner Freunde; er lernte mit seinen Gläubigern zu verhandeln; er erkämpfte sich einen Arbeitsplatz als Dachdecker. Heute gehört er zu den besten Schülern seiner Berufsschulklasse. Er fand die "sehr, sehr großzügige Unterstützung einer Freundin"; er stotterte seine Schulden anfangs in 50-Euro-Raten ab und begriff, wie man mit 600 Euro leben kann. "Ich hab`s sogar geschafft, etwas zu sparen und bin zum ersten Mal in meinem Leben in den Urlaub zugefahren", erzählt Armin.
Die Zusammenkünfte (oft war auch Armins Freundin dabei) im Awo-Büro, das müsse man sich wie eine Arbeitsgemeinschaft vorstellen, erläutert der Sozialpädagoge.


Drei Flaschen Schnaps

Da werden Zielvereinbarungen verhandelt, Haushaltspläne aufgestellt oder auch Strategien erarbeitet, wie man sich ein schönes Wochenende machen kann, ohne drei Flaschen Schnaps zu trinken. "Wenn ich zurückschaue - unglaublich, was für ein Arschloch ich war", sagt der 19-Jährige. Noch drei Gespräche mit seinem Sozialpädagogen hat er im Terminkalender stehen - dann ist Armins Betreuungsweisung abgeschlossen. "Aber die Tür zu meinem Büro bleibt offen", betont Dietmar Schuberth. Einige der rund 400 Schützlinge, die er in den letzten zehn Jahren kennenlernte, schauen immer wieder mal bei ihm rein. Manche auch, weil sie Hilfe benötigen; die meisten aber einfach, weil sie Vertrauen gefasst haben. "Ich weiß jetzt", sagt Armin, "wie es ist, erwachsen zu werden".