Wegen des Figur-Tests in der Januar-Ausgabe boykottieren viele Apotheker bayernweit die Zeitschrift Medizini. Die Sorge vor schädlichen Wirkungen auf Kinder hält der Forchheimer Ernährungswissenschaftler Jochen Schwarz jedenfalls für berechtigt.
Noch liegt Medizini bei den Apothekern aus. "Wir werden das mit unserer Chefin besprechen", sagt Edeltraud Neumann von der Stadt-Apotheke in Baiersdorf, die mit ihren Kolleginnen die Januar-Ausgabe der Zeitschrift ähnlich kritisch betrachtet wie viele Apotheker bayernweit. Der Test soll eigentlich vor einer Magersucht sensibilisieren, könne aber das Gegenteil bewirken, ist der Tenor.
"Es ist an kleine Mädchen gerichtet, die ohnehin verunsichert sind, wenn es um ihr Gewicht geht. Mädchen mit normalem Gewicht könnten denken, ich sehe nicht gut aus", empört sich Neumann, die selbst Mutter ist. Sie hält die Fragestellungen für unangebracht.
"Alle in deiner Klasse tragen superenge Hosen. Bei dir sitzen sie viel zu knapp und sehen nicht gut aus. Was tust du?", heißt eine Frage in dem Test.
Mögliche Antworten sind: "Egal, ich zwänge mich in die Hose hinein"; "Der Schnitt passt nicht zu meiner Figur"; "Blöd, aber nicht weiter wichtig" oder "Ich bin viel zu dick! Ich mache eine Diät, bis die Hosen an mir gut aussehen" , liest Neumann die Antworten vor, die neben einem Kind, das sich kritisch im Spiegel betrachtet, abgedruckt sind.
Was tun Kinder, wenn sie sich verunsichert fühlen? Sie sprechen mit Gleichaltrigen darüber und das kann zum Lauffeuer werden. Und damit zu einer unnötigen und schädlichen Diät führen, die ja auch als mögliche Antwort angekreuzt werden kann. Als Tipp wird dann schon genannt, man solle nicht zu streng mit sich selbst sein, da andere nicht nur die Figur sehen würden. Oder für die Mädchen und Jungen, die "egal" antworteten, lautet der Tipp, trotzdem auf die Figur zu achten, damit man nicht zu dick werde, ohne es zu bemerken.
Junge Leute im Alter von zwölf Jahren, vor allem Mädchen, an die der Test altersgemäß gerichtet sei, lesen Medizini nicht. Die Altersgruppe dieses Heftchens endet meist mit neun Jahren. "Ob Achtjährige das verstehen?", fragt Neumann, deren Sorge es ist, dass die Mädchen Test und Auswertung in den falschen Hals bekommen könnten.
"Bin ich normal"
Eine Sorge, die der Forchheimer Ernährungswissenschaftler Jochen Schwarz durchaus für berechtigt hält. Die Themen Essen und Diät dürfen bei Acht- oder Neunjährigen nicht vorkommen, bei Jugendlichen erst recht nicht. Und diese Themen gehören sicher nicht in ein Heftchen gepackt, findet Schwarz. "Es ist ein heikles Thema. Wenn man Kinder darauf aufmerksam macht, kann der Schuss nach hinten losgehen", untermauert er die berechtigte Sorge mancher Apotheker und hat volles Verständnis für deren Boykott.
"Erst wenn die Kinder darauf aufmerksam gemacht werden, stellen sie Fragen wie ,Bin ich normal?'".
Vor allem bei Kindern könnten sich vermeintlich überflüssige Pfunde noch verwachsen, erkärt der Wissenschaftler und meint, dass die Kinder und Jugendlichen normalerweise nicht zu dick sind. Der Prozentsatz der Dicken ist konstant geblieben, weiß er. "Nur das Augenmerk hat sich immer mehr auf Dicke gerichtet", sagt Jochen Schwarz. Dabei habe Übergewicht meist nichts mit dem Essen zu tun. "Es gibt viele Faktoren wie beispielsweise Stress", nennt der Ernährungsberater einen der Gründe.
Gefahr der Magersucht
Gerade für Mädels seien solche Themen und Tests, die darauf aufmerksam machen, sehr heikel. Denn dann bestehe die Gefahr, dass sie in die Magersucht abrutschen.
Aber um diese Seite der Medaille werde weniger Wirbel gemacht, stattdessen reite man auf den Dicken herum, nennt Schwarz die andere Gefahr, die von Themen wie Essen und Diäten ausgehen. "Iss nicht so viel, du bist ohnehin schon zu dick", würden die Kinder zu Hause regelmäßig hören. "Wo soll das hinführen? In eine Normgesellschaft mit Bodymassindex 20?", fragt Schwarz, der weiß, dass die Dunkelziffer der Magersüchtigen größer ist als die Zahl der Übergewichtigen.