LKR Forchheim
Corona-Krise

Erleiden Kinder im Kreis Forchheim mehr Gewalt?

Die Kontaktbeschränkungen führen zu mehr häuslicher Gewalt, fürchtet Monika Vieth vom Weißen Ring in Forchheim. Ein offizieller Anstieg blieb zwar aus, aber viele Opfer bleiben wohl unbemerkt.
Kinder, die zu Hause Gewalt erfahren, leiden aktuell mehr denn je, warnen Experten. Helfer sind da, haben es aber schwer.  Symbolfoto: artit, adobe stock
Kinder, die zu Hause Gewalt erfahren, leiden aktuell mehr denn je, warnen Experten. Helfer sind da, haben es aber schwer. Symbolfoto: artit, adobe stock
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Das Mädchen ist gerade einmal drei Jahre alt, doch seine schrecklichen Erlebnisse sind mehr als manch Erwachsener je erlebt hat. In der Familie des Mädchens herrscht Gewalt. Das Kind wird nicht versorgt, es wird geschlagen und hat nicht nur einen blauen Fleck am Körper. Das wurde dem Jugendamt Forchheim gemeldet.

"Es ist ein durchschnittlicher Fall", sagt Dieter Hümpfner, stellvertretender Jugendamtsleiter am Landratsamt Forchheim. Hinter den Hausfassaden spielt sich teils Dramatisches ab. Zwischen 30 und 40 Kinder werden im Landkreis jährlich aufgrund von Gewalt und Vernachlässigung in Obhut genommen. Bundesweit sieht es ähnlich aus. 40 Kinder erleben täglich Gewalt, sagt die Statistik des Bundeskriminalamts für das vergangene Jahr. Auffällig ist demnach, dass vor allem die Zahl des sexuellen Missbrauchs an Kindern um elf Prozent gestiegen sei, der Bereich der Kinderpornografie um erschreckende 65 Prozent.

Offizielle Meldungen gehen zurück

Durch die Ausgangsbeschränkungen der Corona-Krise wurde in Forchheim eigentlich mit einer Zunahme der Fälle gerechnet. Aber im Gegenteil. "Wir hatten einen Rückgang von Meldungen", sagt Hümpfner. Das heiße nicht, dass durch die Corona-Beschränkungen und das enge Beisammensein in den Familien wieder heile Welt ist. "Es schließt nicht aus, dass mehr Gewalt ist", sagt Hümpfner.

Denn Gefährdungsmeldungen sind sehr wohl eingegangen, nur weniger. Warum das so ist, könnte an geschlossenen Schulen und Therapiepraxen liegen. Auch psychiatrische Fachkliniken haben keine Kinder und Jugendlichen aufgenommen. Die Hinweise von diesen Fachkräften, Pädagogen und Betreuern entfielen. Anonyme Hinweise gingen ebenfalls weniger ein. Aber das Jugendamt geht davon aus, dass es eine Dunkelziffer gibt.

Der Weiße Ring bestätigt die Vermutung, selbst wenn während der Kontaktbeschränkungen keine Meldung bei der Hilfsorganisation einging, sagt Monika Vieth, Leiterin der Opferberatungsstelle des Weißen Rings in Forchheim. "Es ist leider so, dass sich die Opfer, egal welchen Alters, nicht melden können. Sie sind unter Kontrolle und können keine Hilfe holen", sagt Vieth.

Auch das Notruftelefon werde kaum benutzt. Der Weiße Ring fürchtet, dass häusliche Gewalt durch die Corona-Beschränkungen zunehme. Ob das wirklich so ist, wird sich eventuell erst hinterher zeigen. "Wir haben kaum Kinder, da sie nicht erzählen können, was ihnen passiert ist. Eher Jugendliche und Erwachsene, die alt genug sind, um die Geschehnisse auch benennen zu können", sagt Vieth.

Die Situation nimmt die Leiterin sehr mit. "Wir sind hilflos in unserer Bereitschaft, Hilfe zu leisten", erklärt sie. Hilfsangebote bestünden zwar, nur eben keine Kontaktmöglichkeiten.

Anders beim Jugendamt. Dort wird trotz Corona weiterhin aktiv Hilfe in Anspruch genommen und geleistet. Unter Berücksichtigung der Vorsichtsmaßnahmen. "Die Notmaßnahmen müssen aufrechterhalten bleiben", sagt Dieter Hümpfner. Er und seine Mitarbeiter gingen auch während Corona in die Familien und mussten teilweise Kinder in Obhut nehmen. Wie im oben geschilderten Fall.

Bei der jeder Meldung aktiv

"Wir machen einen unangemeldeten Hausbesuch", beschreibt Hümpfner den nächsten Schritt nach Eingang einer Meldung bei solchen Akutsituationen. Jeder Meldung muss nachgegangen werden. Auch wenn sich der Verdacht nicht bestätigt und eine Woche später wieder eine Meldung eingeht, muss dieser erneut auf den Grund gegangen werden. Das Jugendamt hat die Wächterfunktion - diese sorgt sich um das Wohl des Kindes.

Dieter Hümpfner geht nicht alleine zu den Familien. Dort lassen sich die Mitarbeiter den Vorfall schildern, sie sehen, in welchem Zustand Wohnung und Kind sind. Im schlimmsten Fall, wenn sich die Meldungen bestätigt haben und der Verdacht begründet ist, werden sie in Obhut genommen, raus aus der akuten Situation. Jedoch nicht automatisch in eine Einrichtung oder in eine Pflegefamilie. Zunächst wird geschaut, ob es Verwandte mit intakter Familie gibt, die das Kind aufnehmen können.

Wer glaubt, die Kinder würden schreien und sich krampfhaft an der Mutter festhalten, wenn die Mitarbeiter des Jugendamts sie mitnehmen, liegt falsch. "Wenn eine Kollegin das Kind auf den Arm nimmt, lächelt das Kind und spricht mit ihr", erzählt Hümpfner. Das vernachlässigte, durch Gewalt verletzte Kind sucht Kontakte, Aufmerksamkeit und Zuwendung."

Die meisten hätten eine Bindungsstörung. So auch das dreijährige Mädchen, das trotz Coronakrise aus seinem gewalttätigen Umfeld geholt wurde. Als letzte Maßnahme.

Hier finden Betroffene von Gewalt Hilfe und Beratung

bayern-gegen-gewalt.de

Die Website des Bayerischen Familienministeriums enthält Informationen, Telefonnummern, Links und Antworten auf häufig gestellte Fragen rund um Corona und häusliche Gewalt und gibt Tipps, wie Konflikten zu Hause vorgebeugt werden kann.

Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, Tel. 08000 116 016 oder

www.hilfetelefon.de. Die Beratung erfolgt anonym, vertraulich, kostenfrei und wird rund um die Uhr in 17 Fremdsprachen angeboten.

SkF-Frauenhaus Bamberg, Tel. 0951 58280 , frauenhaus@skf-bamberg.de

Professionelle Beratung rund um die Uhr und Unterkunftsmöglichkeiten für bedrohte und misshandelte Frauen aus dem Landkreis Forchheim vor.

INSEL Sozialpsychiatrischer Dienst des SkF Bamberg e.V.,

Tel. 09191/ 7362960 (Mo - Fr 9 bis 17 Uhr) oder per Mail an insel@skf-bamberg.de. Beratungsstelle für Menschen mit seelischen Belastungen oder psychischen Erkrankungen.

wege-aus-der-gewalt.de

Barrierefreie Homepage für Frauen und Mädchen mit verschiedenen Behinderungen (einfache Sprache, Gebärdensprache).

Weißer Ring,

Tel. 09545/509099 oder Opfer-Telefon 116 006 (Mo - So, 7 bis 22 Uhr), Beratung und Opferhilfe bei Gewaltdelikten, Stalking, usw.

Schwerpunktsachbearbeiterinnen Häusliche Gewalt

Polizeiinspektion Forchheim, Tel. 09191/7090-0, PI Ebermannstadt: Tel. 09194/ 7388-0.

Betroffene können Anzeige erstatten und sich beraten lassen.

kein-kind-alleine-lassen.de Website des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Tel. 0800/2255530 oder kontakt@kein-kind-alleine-lassen.de

nummergegenkummer.de Kinder-/Jugendtelefon 116 111

Kostenfreies, telefonisches Beratungsangebot für Kinder und Jugendliche. Für Erziehende gibt es das Elterntelefon: 0800 111 0 550.

Quelle: Landratsamt Forchheim