Mit mehr als 600.000 verkauften E-Books ist sie die Vorzeige-Autorin der Branche: Hinter dem Künstlernamen Emily Bold steckt eine Frau aus dem Aischgrund.
Frauen lesen. Frauen lesen Klassiker und Science- Fiction, Sachbücher und Krimis, historische Romane und Thriller, Bücher von Männern, Bücher von Frauen. Männer lesen nur Männer, sie lesen insgesamt weniger und sie lesen schon gar keine Liebesgeschichten, wie sie Emily Bold schreibt. Dabei könnten Männer aus solchen Büchern eine Menge über Frauen lernen.
Ob Pirat, Vampir oder dominanter Milliardär: Der Held der Frauenliteratur ist oft ein "bad boy". Er hat Macht, er hat Selbstbewusstsein, er übermannt die Heldin - und verliebt sich in sie. Nicht ein bisschen, sondern unsterblich, und die Liebe heilt ihn von seiner Obsession. Denn eigentlich ist er ein Guter. So ähnlich funktioniert das - und trotzdem ist schwer zu durchschauen, was Frauen an diesen Geschichten fasziniert.
Emanzipation und bad boys
"Im echten Leben wünschen die meisten Frauen sich einen Partner auf Augenhöhe", sagt Romanautorin Emily Bold. "Einen, der rücksichtsvoll ist und sich um die Familie kümmert." Im echten Leben seien die meisten Frauen emanzipiert, selbstständig und selbstbewusst. "Aber vielleicht ist man in romantischen Vorstellungen offener für anderes. Auch ich mag bad boys. Und ich mag es, wenn Männer in Büchern und Filmen stark sind."
Romantische Literatur ist ein enormer Markt: Als Emily Bold vergangenes Jahr die Marke von 600.000 verkauften E-Books erreichte, hörte sie auf zu zählen. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Auflage eines gedruckten Romans bei Suhrkamp oder C. H. Beck liegt beispielsweise bei etwa 4000 Exemplaren. Wenn 15.000 verkauft werden, spricht die Branche schon von einem Bestseller.
Emily Bolds Erstling "Gefährliche Intrigen" wollte kein Verlag drucken. Der Markt für historische Liebesromane sei gesättigt, es gebe die großen amerikanischen Namen, die dem Leser vertraut sind. Also suchte sich die Fränkin einen Namen, der amerikanisch klingt, und verlegte ihr Buch selbst. Das war allerdings erst vier Jahre später.
Unter einem Sonnenschirm in ihrem Garten im Aischgrund berichtet die gelernte Chemielaborantin, wie sie zu einer der erfolgreichsten deutschsprachigen E-Book-Autorinnen wurde. Ihr Mann und die beiden Töchter haben sich ins Haus zurückgezogen; sie kennen das inzwischen: Mama gibt ein Interview.
Um die Privatsphäre ihrer Familie zu schützen, tritt Emily Bold nur unter ihrem Künstlernamen auf, lässt sich schriftlich geben, dass ihr Wohnort und ihr bürgerlicher Name nicht veröffentlicht werden. In allen anderen Fragen ist die Fränkin offen: Sie lacht oft, erzählt voll Selbstironie von Peinlichkeiten wie ihrer Paranoia vor Flugzeugen, entgleisenden Zügen und Großstädten, von ihrer Verbundenheit mit dem Aischgrund, von ihrer eigenen Leidenschaft für Liebesromane und vom großen Glück, ein fertiges Manuskript zu haben, als Amazon 2011 mit seiner "Kindle-Direct-Publishing"-Plattform online ging.
Emily Bold teilt die häufige Kritik an dem Konzern nicht. Von 3,99 Euro, die sie für ihre Romane verlangt, bleiben ihr 70 Prozent, bei den Kurzgeschichten für 1,99 Euro bekommt sie 30 Prozent. "Das ist absolut fair. Mir hat Amazon ein Leben ermöglicht, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte."
Die Autorin räumt ein, dass sie den großen Vorteil hatte, sich sehr früh ihre Leserschaft aufbauen zu können. "2011 gab's natürlich eine Anzahl neugieriger E-Book-Nutzer, aber es gab noch sehr wenig Inhalte." Sie hatte Leser und hielt sie bei der Stange - mit cleverem Marketing, Social-Media-Präsenz und mit immer neuem Stoff.
Schreiben erfordert Disziplin
Im Schnitt veröffentlicht Emily Bold vier Bücher im Jahr. Sie schreibt diszipliniert, etwa 1500 bis 1800 Wörter sind ihr Tagespensum, dazu kommen Dinge wie Marketing und Buchhaltung: "Meine Arbeitszeit ist so von halb neun bis etwa 15 Uhr und danach mache ich Feierabend." Das habe sie lernen müssen: wie in jedem anderen Beruf Feierabend zu machen. "So lange die Kinder klein waren, habe ich viel nachts gearbeitet." Heute macht der Erfolg vieles leichter. Sie arbeitet mit dem Ullstein-Verlag zusammen und verlegt derzeit nur noch ihre "Suche-nach-Mr.-Grey"-Reihe selbst.
Die Reihe spielt auf den Sadomaso-Kassenschlager "Fifty Shades of Grey" an. "Ich fand es so witzig, dass alle meine Freundinnen plötzlich versuchten, etwas mehr Mrs. Grey zu werden - da musste ich eine Persiflage schreiben." Ihre Heldin Anna wäre gerne kühn und mutig, ist aber eher tollpatschig und passt besser zu ihrem Mitbewohner Marc als zu einem der rar gesäten Exemplare dominanter, attraktiver Jungmilliardäre. "Ich glaube, dass Frauen heute sich gerne wiedererkennen - und dass sie gerne über sich lachen."
Im Buchhandel stehen solche Werke im Regal "Freche Frauen" und werden gerne "Chick lit" (wörtlich "Hühnchenliteratur") genannt.
Fachbegriff: "Nackenbeißer"
"Nackenbeißer" ist der Fachjargon für die historischen Romane mit zumeist farbenfrohen Buchtiteln, auf denen ein verwegen gut aussehender Mann eine überaus attraktive junge Frau leidenschaftlich küsst - oft auf Hals oder Nacken.
Chicklit, Nackenbeißer, Hausfrauenpornos - Unterhaltungsliteratur, die auch Männer lesen, wird nie so abfällig tituliert. Emily Bold lacht laut: "Fast Food fehlt noch!" Frauenliteratur ist für sie keine Beleidigung. Warum auch? Frauen lesen mehr als Männer. Ihre Leidenschaft ist ein großer Markt.