Aus Höchstadt ist der Sozialdemokrat Paul Neudörfer nicht wegzudenken. Auch wenn er sich jetzt, nach 30 Jahren, aus dem Stadtrat verabschiedet hat. Ein Gespräch an seinem Küchentisch über alte Zeiten, Politik, wie sie früher war und seine Wurzeln.
Ganz am Anfang, als er angefangen hat zu rauchen, waren es noch drei oder vier Zigaretten pro Tag. Kaum der Rede wert. Inzwischen, fast 50 Jahre später, sind es längst 40, oft auch 50 Stück geworden. Auch jetzt, am Küchentisch, zündet er sich gerade wieder eine an. Zieht genüsslich dran. Weißblauer Rauch verhüllt sein Gesicht. Paul Neudörfer (67) raucht in seiner Wohnung in Höchstadt nur hier, in der Küche, und in seinem Büro. Ansonsten ist rauchfreie Zone. "Ich kann so diszipliniert sein, beispielsweise mit Essen, aber das ist die pure Sucht", gesteht Neudörfer und nimmt einen erneuten Zug.
Zigarren und Krawatten Er war es auch, der während der Stadtratssitzungen auf Raucherpausen bestand und sie hartnäckig durchsetzte. "Im früheren Rathaus am Schlossberg hat jeder noch geraucht, wie er gewollt hat", erinnert sich Neudörfer.
Oft auch noch Zigarren. Und meistens noch mit Krawatte. "Aber die Zeiten haben sich geändert", findet Neudörfer. 30 Jahre lang war er im Stadtrat, 18 Jahre im Kreistag. Jetzt hat er aufgehört, sich aus beiden Gremien vollständig und endgültig zurückgezogen. "Ich habe Stadträte erlebt, die waren alt, krank und dement. Ich will jetzt den jungen Leuten Platz machen", erklärt Neudörfer seinen Schritt.
Als Vollblut-Sozialdemokrat ist er in Höchstadt bekannt wie ein bunter Hund. Kaum jemand, der ihn nicht kennt. Kaum jemand, der nicht schon mal eine mit ihm geraucht hat - ob passiv oder aktiv. "Bekannt heißt nicht beliebt. Im Laufe der Jahre haben sich manche distanziert, mich nicht mehr so gegrüßt. Damit muss man leben, man kann es nicht allen recht machen", sagt Neudörfer und macht sich derweil schon die nächste Zigarette an.
Damals, als er im Stadtrat anfing, war er der Drittjüngste.
Zuletzt war er der Viertälteste. "Früher hat man viel mehr gestritten, da ging es auch noch mehr um die Bundespolitik", erinnert sich Neudörfer. Heißere Diskussionen gab es vor allem, als noch Bernd Bergmann (CSU) Bürgermeister in Höchstadt war. "Man hat uns keinen Zug gegönnt, es ging kein Antrag durch. Mit der CSU haben wir uns immer gestritten, aber nur politisch, nicht menschlich. Danach waren wir Kumpels", betont Neudörfer und muss lachen.
Gute Zusammenarbeit Mit Bürgermeister Gerald Brehm wurde alles anders, harmonischer, friedlicher. Seit zwölf Jahren arbeiten die Junge Liste und die SPD im Stadtrat zusammen. Erfolgreich, wie Neudörfer findet. "Wir haben eine gute Baulandpolitik und ein wunderbares Gewerbegebiet. Aber die CSU blockt alles", sagt er. Vor allem eines bedauert er bis heute: "Das ADAC-Fahrsicherheitszentrum hätte ich gerne gehabt.
Es hätte zu uns gepasst und unseren Bäckern und Metzgern zusätzlich Brot verschafft."
Langsam zerquetscht er den letzten Zigarettenrest im Aschenbecher. "Ich hab' das alles aufgehoben", platzt es dabei plötzlich aus ihm heraus, steht auf und deutet, ihm zu folgen. Vorbei an Fotos von einem Albino-Reh, einem Eisvogel und Biber, die er selbst gemacht und im Flur aufgehängt hat, bleibt er in seinem Büro vor einem großen Regal stehen. Bis zum letzten Zentimeter voll mit zahlreichen Alben. Chronologisch durchnummeriert. Sämtliche Zeitungsartikel aus den letzten 30 Jahren liebevoll eingeklebt. Dazu Fotos, Notizen, Erinnerungen. Sein ganzer Stolz. Sein halbes Leben. "Es war vor allem meine Großmutter, die mich geprägt hat. Sie war die erste Frau in Höchstadt, die für den Stadtrat aufgestellt war", erzählt Neudörfer stolz.
Ins Gremium gewählt wurde die ebenfalls leidenschaftliche Sozialdemokratin allerdings nie. "Sie hatte zwölf Kinder und hat kurz nach dem Krieg trotzdem noch eine Flüchtlingsfamilie aufgenommen."
Diesen Gerechtigkeitssinn hat auch Neudörfer im Blut. Gelernt hat er eigentlich Installateur und Klemptner. Während seiner Bundeswehrzeit in Hammelburg, Mellrichstadt und Ebern merkte er dann aber doch, dass seine Berufung eine andere war. Er schulte um, im Höchstadter Krankenhaus, wurde Krankenpflegehelfer.
Beruf als Berufung Es folgten zehn Jahre bei den Barmherzigen Brüdern in Gremsdorf, dann 23 Jahre in der forensischen Psychiatrie in Erlangen. Ein Beruf, der nicht jedermanns Sache ist. Der gefährlich werden kann. "Einer hat mir acht Zähne rausgeschlagen. Ein anderer hat mir in den Fuß gebissen", erzählt Neudörfer.
Abgeschreckt hat ihn das allerdings nicht. Im Gegenteil: "Der Beruf muss dir gegeben sein. Ein Straftäter war für mich immer noch genauso ein Mensch."
Mit 60 hörte er auf. Seitdem kann er sich mehr seinen Hobbys widmen. Beispielsweise dem Angeln, ein bis zwei Mal die Woche an der unteren Aisch. Oder seiner Bio- und Artenschutzgruppe, die er vor 25 Jahren gegründet hat. Sinn und Zweck dahinter? "Ich möchte die Tier- und Pflanzenwelt, die ich als Kind erlebt habe, wiederhaben", betont Neudörfer. Dazu gehören der Gründling, die Aalrutte und der Flusskrebs genauso wie die Seerose oder die gelbe Schwertlilie. "Mithilfe von Sponsoren können Fische neu gekauft und neu gesetzt werden."
Wenn er etwas macht, dann macht er es eben richtig. Dann setzt er sich ein. Ist voll dabei. Mit ganzem Herzen. So ist Paul Neudörfer. Das ist sein Naturell.
Ob in seiner Familie, Neudörfer hat zwei Töchter und drei Enkel, in der Politik oder in anderen Bereichen, wie beispielsweise beim TSV Höchstadt, bei dem er 40 Jahre lang Fußball gespielt hat und mehrere Jahre Kindertrainer war.
Zwei Jahre Pause Inzwischen hat er zwei weitere Zigaretten in seinem Büro geraucht. Auch hier hat er immer welche griffbereit. Zwei Jahre hat er es einmal geschafft, das Rauchen sein zu lassen. "Gäste hab' ich trotzdem bei mir rauchen lassen. Ich wollte das nicht auf einmal verbieten." Und wieder verschwindet sein Gesicht hinter dem weißblauen Rauch.