Aisch ist für Erika van Lent schon lange zum Zuhause geworden

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Erika van Lent (links) erzählte Reporterin Johanna Blum in den 60 Minuten von ihren Erfahrungen während des Kriegs und seit wann sie sich in Franken wohl fühlte. Johanna Blum
Erika van Lent (links) erzählte Reporterin Johanna Blum in den 60 Minuten von ihren Erfahrungen während des Kriegs und seit wann sie sich in Franken wohl fühlte. Johanna Blum
In den Sommermonaten ist Erika van Lent gerne auf dem Scharoldskeller in Aisch. Johanna Blum
In den Sommermonaten ist Erika van Lent gerne auf dem Scharoldskeller in Aisch. Johanna Blum
 

Die Westfälin Erika van Lent kam nach einer Kindheit zu Kriegszeiten schließlich in Aisch im Landkreis Erlangen-Höchstadt an - und ist geblieben.

Die Westfälin Erika van Lent, geborene Becker, lebt nun schon seit Dezember 1978 in Aisch und fühlt sich hier im Frankenland richtig wohl. Die Reporterin traf sie auf ihrem Lieblingskeller in Aisch, wo sie aus ihrem Leben erzählte.

"Natürlich verstehen die Menschen nicht viel, wenn ich anfange, westfälisch Platt zu sprechen", meint Erika van Lent lachend. "Aber umgekehrt tu ich mich auch heute noch manchmal schwer, wenn einer so richtig fränkelt", fügt sie an.

1937 in Hagen in Westfalen geboren, hat sie eine nicht so einfache Kindheit hinter sich. Ihr Bruder Günter war acht Jahre älter. Mitten im Krieg im Jahr 1943 wurden in ihrer Heimat alle Schulen dicht gemacht. Ihr Bruder, der das Gymnasium besuchte, musste mit allen Schulkameraden in die damalige Tschechoslowakei umziehen.

"Zwei Stühle - eine Stunde": Erika van Lent aus Aisch erzählt aus ihrem Leben

Ekka, wie sie bis heute in der Familie genannt wird, kam mit der Landverschickung nach Königs Wusterhausen, genauer nach Neue Mühle nahe Berlin, zu ihrer Tante Hildegard. "Mein Onkel Hans war Schulleiter einer Berufsschule und Segelfluglehrer. Einmal nahm er mich mit zum Segel-Flugplatz. Dort wurde gerade der Film ,Quax, der Bruchpilot' mit Heinz Rühmann gedreht. Ich erinnere mich noch, dass Heinz Rühmann mich auf den Arm nahm und mir die alte Ju von innen zeigte."

Nach Kriegsende wurde der nun 16-jährige Bruder aus der Tschechoslowakei zurück nach Hause geschickt, aber er ging lieber erst einmal nach Berlin, um nach seiner Schwester zu sehen. Dort hatte er eigentlich vor, mit seinem Onkel Hans Deutschland zu retten. Aber dann kamen die Russen und besetzten dessen Haus. "Also mussten wir alles räumen", erinnert sich Ekka. "Die Tante hat ihrem Sohn Ulf, meinem Bruder und mir aus Angst vor den Russen Gift gegeben." Ulf starb, aber die übrigen Kinder überlebten. "Mein Bruder war zwei Wochen ziemlich krank."

Es folgte ein weiterer schwerer Schicksalsschlag: Die Geschwister kamen bei einer Freundin der Tante unter, nachdem Tante Hildegard sich kurz nach dem Erlebten auf dem Dachboden die Pulsadern aufgeschnitten hatte. "Wir nehmen an, dass russische Soldaten sie vergewaltigt hatten" , führt Erika van Lent einen möglichen Grund für die schlimme Tat auf.

Nach Kriegsende: Die Geschwister legen 500 Kilometer Weg von Berlin nach Hagen zurück

Daraufhin machte sich das Geschwisterpaar Becker von Berlin aus auf die mehr als 500 Kilometer lange Strecke auf den Heimweg nach Hagen. "Wir haben vorher alle Geräte aus dem Haus der Tante zu Geld gemacht, haben mit einem Teil davon den russischen Kommandanten für einen Passagierschein bezahlt und sind mit einem Koffer, einem Tornister, einem Rucksack, einem Brotbeutel und dem Rest Geld losgezogen. Das Schreiben half uns sehr und auf dem Weg hatten wir als Kinder überall Vortritt", erzählt sie.

Die beiden sind gelaufen, mit dem Zug oder mit der Straßenbahn gefahren, manchmal auch von freundlichen Menschen mitgenommen worden. Nach zwei Wochen kamen sie am 8. August 1945 zur Freude der Eltern wohlbehalten in Hagen an. "Ich ging dann ins Lyceum und absolvierte dort das Einjährige - heute würde man sagen: die Mittlere Reife. Dann machte ich eine Anlernzeit als Zeichnerin für Ladenbau und besuchte in der Berufsschule die Schreinerklasse."

Ein Jahr, nachdem sie ausgelernt hatte, wechselte sie zu den Bauzeichnern. Dort begegnete sie ihrem späteren Ehemann. "Ich durfte das Auto des Chefs fahren und der nette junge Mann, damals noch Automechaniker, war für die Pflege des VW Käfer zuständig." Die beiden verliebten sich und schon 1966, ein Jahr nach dem Kennenlernen, beschlossen sie, später einmal zu heiraten. Inzwischen bildete sich ihr zukünftiger Ehemann zum Elektroingenieur weiter. 1969 war die Verlobung, im Juli 1970 läuteten die Hochzeitsglocken in Hagen.

Nach der Hochzeit leben sie erst in Erlangen, bauen dann in Aisch

Bald bekam der Ehemann eine Arbeitsstelle in Erlangen bei einer großen Firma und 1974 zog das Paar nach Erlangen. 1975 kam die Tochter zur Welt und über einen Arbeitskollegen hatte der Ingenieur erfahren, dass man in Aisch günstig bauen könne. "Und so haben wir dort unser Haus gebaut."

Nun lebt Erika van Lent schon 42 Jahre in dem Ortsteil von Adelsdorf und fühlt sich wohl. Leider ist ihr Ehemann im Frühjahr 2001 plötzlich und unerwartet verstorben. Die Tochter heiratete 2003. Es kam die Frage auf, ob die junge Familie - eine Enkelin war geboren - in Aisch ins Elternhaus der Tochter zieht oder im Heimatort des Schwiegersohns baut. "Die Jungen entschieden sich für Aisch, aber zuerst musste das Haus fast ganz abgerissen und dann wieder neu und besser aufgebaut werden. Ich wohnte in dieser einjährigen Bauphase in Aisch in einer möblierten Wohnung."

Über die Jahre hinweg war Erika van Lent immeraktiv

Erika van Lent hat in den vergangenen 42 Jahren in Franken viele Freunde gewonnen. Jahrelang hat sie begeistert bei der Harmonie Neuhaus mitgesungen. "Wir waren eine kleine Kegelgruppe, aber statt heute noch zu kegeln, sind wir Sitzkegler geworden", schmunzelt sie. "Die Knochen und Gelenke machen nicht mehr mit."

Sie geht regelmäßig noch zum "Weibertreff", aber auch hier werden es immer weniger Frauen. Gleiches gilt für den Lauftreff. Ein beliebter Treffpunkt in den Sommermonaten ist der Scharoldskeller in Aisch. "Da schmeckt es und der Blick ins Aischtal und nach Adelsdorf ist fast so schön wie in meiner jetzigen, sonnigen Wohnung. Aisch ist schon lange mein Zuhause!"