Viele wussten wohl von dem Betrug in Coburg

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Angeklagte und Verteidiger: Eine Amtstierärztin des Schlachthofs (links) und der frühere Schlachthofleiter waren der Beihilfe zum Betrug angeklagt. Verteidigt wurden sie von Ingeborg Eckstein und Eckart Staritz. Fotos: Simone Bastian
Angeklagte und Verteidiger: Eine Amtstierärztin des Schlachthofs (links) und der frühere Schlachthofleiter waren der Beihilfe zum Betrug angeklagt. Verteidigt wurden sie von Ingeborg Eckstein und Eckart Staritz. Fotos: Simone Bastian
Hohes Medieninteresse bei der Urteilsverkündung.
Hohes Medieninteresse bei der Urteilsverkündung.
 
Staatsanwalt Christian Pfab
Staatsanwalt Christian Pfab
 

Zumindest den Viehhändlern und den Klassifizierern war bekannt, dass Dellert zu viel Fett von den Schlachtrindern entfernen ließ. Der Schlachthofleiter und die Amtstierärzte fühlten sich nicht dafür zuständig, hier einzuschreiten.

Es hätte ein Mammutprozess werden können: Über 600 Geschädigte, zahlreiche Beschäftigte der Schlachthofbetriebe als Zeugen. Doch die Große Strafkammer am Coburger Landgericht kam im sogenannten Schlachthofprozess mit weniger aus - auch, weil sich die Beteiligten schon vorab grob verständigt hatten und die Angeklagten sich geständig zeigten.

Zumindest räumten sie ein, dass es im Prinzip so ablief, wie es die Anklage darstellte. Wenn beim Rinderschlachten die Keulen der gehälfteten Tiere nicht als Lebensmittel tauglich waren, der Rest aber schon, dann durfte der Fleischgroßhandel Dellert seine Tiere erst einmal weiterverarbeiten. An den untauglichen Keulen klebte ein rosa Zettel mit der Aufschrift "Vorläufig beschlagnahmt". Eigentlich hätten sie "untauglich" gestempelt sein müssen. Die Keulen wurden auf sogenannten Konfiskatlisten von den Amtstierärzten vermerkt. Was nach dem Abvierteln bei Dellert mit den Keulen geschah, kontrollierten die Ärzte nicht - sie verließen sich darauf, dass Dellert die Keulen ordnungsgemäß entsorgen würde, entweder wegwerfen oder als Tierfutter verkaufen.
Dellert ließ aber das optisch noch einwandfreie Fleisch aus den Keulen lösen und verkaufte es an Gaststätten und Imbisse. Betrug sei das, argumentierte die Staatsanwaltschaft: Das Fleisch sei nicht als Lebensmittel deklariert gewesen.

Neben seinen Kunden betrog Dellert auch seine Lieferanten. Vorm Wiegen der Schlachttiere wurde vielfach "getrimmt", also Fett weggeschnitten. Das aber ist nur in bestimmtem Umfang erlaubt- die Rinder waren also leichter als normal, als sie auf die Waage kamen. Dass so vorgegangen wurde, war aber im Schlachthof bekannt, rechtfertigte sich Dellert und bestätigten mehrere Zeugen. "Wirtschaftlich wurde hier am Ende niemand geschädigt - zumindest lässt sich das nicht mit Sicherheit feststellen", sagte Dellerts Strafverteidiger Björn Krug. Dellert habe gut bezahlt, seine Lieferanten seien ihm trotz der Konkurrenzschlachthöfe in der Region treu geblieben. Und: Auch das Landesamt für Landwirtschaft, das für die Kontrollen zuständig war, habe von den Praktiken gewusst und kaum etwas unternommen.

Behörden sahen weg
"Das Tun wurde allen Angeklagten sehr leicht gemacht", stellte auch Staatsanwalt Christian Pfab fest. Aber Betrug sei Betrug, und dass das Ehepaar Klein - er Leiter des städtischen Schlachthofs, sie Amtstierärztin ebendort - davon zumindest teilweise wusste, sei Beihilfe zum Betrug. Aber auch Pfab forderte lediglich Bewährungsstrafen: Zwei Jahre für Ludwig Dellert, ein Jahr und 500 Sozialstunden für Michael Klein. Die Amtstierärztin sollte 90 Tagessätze à 30 Euro zahlen. Beiden Anträgen folgte das Gericht. Dellert muss zusätzlich zur Haftstrafe mit einem sechsstelligen Betrag büßen: Je 50 000 Euro soll er an die Coburger Kirchengemeinden St. Moriz und St. Augustin überweisen zum Zweck der Kirchenrenovierung. Außerdem werden 400 000 Euro aus seinem Vermögen eingezogen. Daraus werden Ansprüche der Geschädigten befriedigt, der Rest, der nach drei Jahren übrig ist, fällt an den Staat.

"Normalerweise sei er kein Freund solcher Absprachen, betonte Vorsitzender Richter Gerhard Amend. Doch in diesem Fall sei sie möglich gewesen, "weil alle Angeklagten zu ihren Taten stehen. Das haben wir nicht sehr häufig bei solchen Mammutverfahren". Außerdem, so betonte Amend, habe eine umfangreiche Beweisaufnahme stattgefunden. Doch trotz aller Bemühungen stehen am Ende nur Schätzzahlen. Das Gericht erkannte Dellert in 15 445 Fällen des Betrugs für schuldig, die Mitangeklagten der Beihilfe in 13 098 beziehungsweise 788 Fällen.

Niemand fühlte sich zuständig
Dass letztendlich die Aufsichtsbehörden versagt hatten, darin waren sich Kammer, Staatsanwalt und Verteidiger einig. Die Behörden "haben positiv und aktiv geduldet, was hier passiert", sagte Verteidiger Krug. "Dieses gefühlte ,Ich bin nicht zuständig‘ hat sich nach unten übertragen", meinte auch Eckart Staritz, der Michael Klein vertrat.

Die Amtstierärztin habe aufgrund der örtlichen Gegebenheiten im Schlachthof zugelassen, dass die nicht freigegebenen Keulen in Dellerts Kühlräume gebracht wurden, sagte deren Verteidigerin Ingeborg Eckstein. Und sie habe sich darauf verlassen, dass Dellert die Keulen ordnungsgemäß behandele. "Niemand hat dieses Vorgehen jemals beanstandet."

Ins Rollen gekommen waren die Ermittlungen nach einem Bericht des Magazins "Quer", aus dem Coburger Schlachthof werde "Gammelfleisch" verkauft. Dagegen nahmen sowohl Staatsanwalt Christian Pfab als auch Richter Gerhard Amend die Angeklagten in Schutz. Auch Michael Klein betonte in seinem Schlusswort: "Kein Verbraucher muss sich Gedanken machen, dass er Fleisch erhalten hat, das nicht in Ordnung war." Die Schlachtungen in Coburg seien geordnet abgelaufen.

Infolge der Ermittlungen schlossen erst Dellert und danach die Stadt im Juli 2013 ihre Betriebe im Schlachthofareal. Dellert hat eine neue Fleischhandelsfirma gegründet und lässt jetzt in Kulmbach schlachten. Die Amtstierärztin und der Schlachthofleiter sind arbeitslos; ein großer Teil der städtischen Beschäftigten im Schlachthof kam in anderen Bereichen der Stadtverwaltung unter.