Im Moment schwanke ich zwischen Carsten Linnemann, Jens Spahn und Norbert Röttgen. Alle drei sind enge Freunde von mir - und alle drei könnten eine Politik des Ausgleichs gut verkörpern.
In 27 Bundestags-Jahren entstehen ja viele Freundschaften. Wie sehr wird es Ihnen fehlen, bestimmte Kollegen nicht mehr regelmäßig zu sehen?
Die Kontakte hören ja nicht auf. Ich habe viele Freundschaften, die ich auch weiter pflegen werde. Vier der Unionsabgeordneten, die 1994 im Bundestag waren, sind noch da: Norbert Röttgen, Michael Meister und Wolfgang Schäuble; Friedrich Merz ist zurückgekehrt. Peter Altmaier ist nun kurzfristig ausgeschieden.
In Ihrer Zeit als MdB konnten viele Verkehrsprojekte vorangebracht werden. Auch für einen vierstreifigen Ausbau des Weichengereuths in Coburg haben sie sich sehr eingesetzt - um dann zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass der neue Coburger Stadtrat diese Maßnahme gar nicht mehr will. Wie ärgerlich war das für Sie?
Wichtig ist, dass die 25 oder 30 Millionen Euro der Region nicht verloren gehen. Wenn man den Ausbau nicht haben will, muss man sehen, dass diese Mittel aber trotzdem in die Region fließen. Einspruchsmöglichkeiten sind wichtig in der Demokratie. Ich bin niemandem gram, wenn er eine andere Auffassung hat. Ich hab' nie auf die Demoskopen und die sozialen Medien vertraut, sondern bin am Samstagfrüh auf den Coburger Marktplatz gegangen. Beim Kaffeetrinken hab' ich gehört, wie die Stimmung ist. Wenn die Leute mich freundlich gegrüßt haben, war alles in Butter. Das Gespräch mit den Leuten war mir in Coburg unheimlich wichtig. Ich fand es wohltuend, wenn sie offen mit mir umgegangen sind - auch wenn sie mir mal mitgeteilt haben, wie unmöglich sie mich fanden. Mit Kritik konnte ich immer umgehen.
Vom Coburger Marktplatz wieder mitten hinein ins Berliner Politikgeschehen: 2017 haben Sie für die Homo-Ehe gestimmt - Angela Merkel war dagegen. War das ganze damals ein Manöver, um die SPD in den Verhandlungen für die Große Koalition zu befrieden?
Das war eine Entscheidung, die ich mir wohl überlegt habe und bei der ich sehr im Austausch mit Betroffenen war, die eine lesbische oder schwule Partnerschaft führen. Ich war einer derjenigen, der sich wirklich mit den Betroffenen auseinandergesetzt hat. Es gibt so viele Menschen, die da noch Vorurteile haben - aber das ist völlig verkehrt. Man muss gesellschaftliche Veränderungen auch akzeptieren. Warum Merkel es auf der einen Seite auf die Agenda gesetzt hat und dann doch dagegen gestimmt hat, das habe ich ihr nachgetragen. Das war war ihre spezielle Form von Opportunismus.
In welcher Frage würden Sie persönlich heute anders abstimmen als damals?
Womit ich mir nach wie vor schwer tue, ist die Entscheidung, die Bundeswehr in Kampfeinsätze zu schicken. Afghanistan wurmt mich noch immer. Aber keine Einsätze wären auch keine Lösung gewesen. Wir haben uns da allerdings auch immer drängen lassen von anderen Interessen. Gott sei Dank haben wir zumindest dem einen oder anderen Einsatz widerstanden, wenn ich zum Beispiel an den Irak-Krieg denke.
Was haben Sie nicht so abschließen können wie Sie es gerne gehabt hätten? Welche Baustelle hinterlassen Sie Ihren Nachfolgern?
Die Umsetzung verschiedener Infrastrukturmaßnahmen, die in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen wurden. Egal, ob Straße, Schiene oder Breitbandkabel: Da ist in der Region noch ein massiver Nachholbedarf. Grundsätzlich ist der Erhalt der Industriestruktur ist sehr wichtig. Jeder Arbeitsplatz, der da verloren geht, ist einer zu viel. Deshalb müssen die wirtschaftlichen Standortbemühungen fortgesetzt werden. Wichtig ist auch eine Modernisierungspolitik mit neuen Lösungen im Bereich der Ökologie und Ökonomie. Deshalb muss auch die Hochschule in Coburg und Kronach unterstützt werden. Ich hoffe, dass ich die eine oder andere Verbindung für die Region noch nutzen kann, wenn ich von Bürgermeistern und Landräten gebeten werde, auch über meine Partei hinaus. Ich habe viele Verbindungen, bis zum zukünftigen Kanzler. Wir Sprecher und Obleute des Finanzausschusses saßen ja jeden Montag im Finanzministerium und wurden zu den Entscheidungen der Woche informiert. Das war bei allen Ministern so.
Sie haben eine wunderschöne Wohnung in Coburg. Werden Sie die jetzt aufgeben und ihren Lebensmittelpunkt wieder in Ihren Heimatort Gemünden am Main verlegen?
Ich suche eine kleinere Wohnung, denn die jetzige in Coburg ist sehr groß. Ich werde auch meine Berliner Bewohnung behalten, weil ich noch so viele Kontakte habe und Einladungen bekomme von allen möglichen Organisationen und ich in verschiedenen Gremien noch gefragt bin. Außerdem habe ich vor, meine Töchter stärker zu unterstützen. Sie vertrauen darauf, dass ich jetzt öfter mal helfe. Meine Tochter in Göttingen hat zwei Töchter und ist voll berufstätig, ihr Mann ist viel beruflich unterwegs. Meine Tochter in München will eine eigene psychologische Praxis eröffnen. Da helfe ich vielleicht gelegentlich am Empfang. Zumindest habe ich ihr das angeboten. Aber jetzt ist erst mal eine Woche Urlaub geplant. Den habe ich meiner Frau versprochen.
Das Gespräch führte Redaktionsmitglied Simone Bastian.