Wie fast jeder Stolperstein wurde die Schwelle vor der Hohen Straße 30 von Gunter Demnig, dem Initiator der Stolpersteine, persönlich verlegt. Zudem erinnern sechs neue Stolpersteine an das Schicksal von geflüchteten, vertriebenen oder getöteten Juden. Bürgermeister Sauerteig erklärt, warum die neuen Stolpersteine gerade jetzt wichtig sind.
Vor den gusseisernen Toren in der Hohen Straße 30 sitzt Arthur Völlmer und spielt ein gefühlvolles Lied auf der Gitarre. Dass der Schüler des Albertinums die Gedenkstunde am Samstagnachmittag (21. August 2021) musikalisch umrahmt, hat eine besondere Bedeutung: Das anmutige Haus, das hinter den geschwungenen Toren und einem akkurat gemähten Rasen liegt, ist vor rund 80 Jahren eine Schule gewesen.
So wie Arthur Völlmer am Albertinum das Musizieren gelernt hat, haben auch hier etwa 30 bis 60 Schüler gelernt, Musik zu machen, naturwissenschaftlich zu forschen oder sich handwerklich zu betätigen. Für die Schüler war das Haus in der Hohen Straße 30 damals aber weit mehr als nur ein Ort zum Lernen, sondern in erster Linie ein Zufluchtsort. Vor den Toren der Schule wurde das Coburg der 1930er Jahre immer feindseliger für die jüdischen Kinder, denen der Prediger Hermann Hirsch hier noch möglichst viel beibringen wollte, bevor sie das Land verlassen mussten. Seit Samstagnachmittag erinnert eine Stolperschwelle an die private jüdische Volksschule als den womöglich letzten Ort der Hoffnung für die jüdischen Kinder.
Stolpersteine in Coburg wurden persönlich verlegt
Wie fast jeder Stolperstein wurde die Schwelle vor der Hohen Straße 30 von Gunter Demnig, dem Initiator der Stolpersteine, persönlich verlegt. Zudem erinnern sechs neue Stolpersteine in der Rastraße, der Viktoriastraße und der Löwenstraße an das Schicksal von geflüchteten, vertriebenen oder getöteten Juden.
Als Teil der Initiative Stadtmuseum Coburg hat Gaby Schuller die Lebensgeschichten der Opfer recherchiert, die mit einem neuen Stein bedacht worden sind. Eine von ihnen ist Meta Frankenberg. "Sie war eine Frau, die selbst viele Opfer gebracht hat und schließlich selbst das Opfer eines gnadenlosen und grausamen Regimes wurde", erzählt sie.
Das Leben von Meta Frankenberg sei von Verlust geprägt worden: Nach Fehlinvestitionen gelangte die Familie in eine finanzielle Schieflage, ihr Sohn Arthur fiel mit nur 26 Jahren im Ersten Weltkrieg. Als ihr Mann Max Frankenberg 1925 starb, verschlechterte sich ihre psychische Verfassung kontinuierlich. "Die stationäre Unterbringung in einer pflegerischen Einrichtung wurde notwendig, denn sie wurde zunehmend apathisch, verweigerte die Nahrungsaufnahme und litt unter Halluzinationen", erzählt Gaby Schuller. So kam Meta Frankenberg 1931 in die Heil- und Pflegeanstalt Kutzenberg. 1940 wurde sie in die Heil- und Pflegeanstalt Schloss Hartheim bei Linz an der Donau verlegt. "Die Einrichtung dort war in aller Heimlichkeit in eine Tötungseinrichtung mit Vergasungsräumen umgebaut worden", erklärt Schuller.
Die Schicksale der Juden aus Coburg
Als eine von 25000 Patienten wurde Meta Frankenberg dort im Rahmen des Euthanasieprogramms getötet: "Die Leichen wurden sofort verbrannt, ihre Asche in Lastwagen zur Donau gefahren und dort ins Wasser gekippt." Wann und durch wen Metas Tochter, Else Wertheimer, vom Tod ihrer Mutter erfahren hat, sei unklar. Denn Else, ihr Mann Nathan und ihre Tochter Edith waren nach Argentinien geflohen, nachdem das Leben in Coburg unter dem ersten nationalsozialistischen Bürgermeister immer schwieriger wurde. Besonders die junge Edith hatte die Auswirkungen zu spüren bekommen: "In der Schule haben sich die anderen Mädchen von ihr abgewandt und wollten nicht mehr mit ihr spielen. Sie erinnerte sich an die fremd und bedrohlich klingenden Parolen und daran, dass ihr Vater als ,Scheißjude‘ beschimpft worden war, als er auf einer Bank saß."
Während ihre Mutter bei der Überfahrt nach Argentinien die ganze Zeit geweint habe, da sie ihre schwerkranke Mutter zurücklassen musste, sei Edith neugierig auf das gewesen, was sie in der neuen Heimat erwartet. In der kleinen Kolonie mit jüdischen Flüchtlingen in der Provinz La Pampa gab es kein fließendes Wasser, kein Gas und keinen Strom. "Aber das wichtigste war, dass sie in Sicherheit waren", erklärte Gaby Schuller. Denn: "Alle Angehörigen der Familie, die in Deutschland geblieben waren, sind in Konzentrationslagern oder Tötungsanstalten ums Leben gekommen."