Hilfe aus Neustadt für die Ukraine

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Durchhalten in den Kellern.
Durchhalten in den Kellern.
Ein abgeschossener Panzer ist ausgebrannt bei Kiew zurück geblieben.
Ein abgeschossener Panzer ist ausgebrannt bei Kiew zurück geblieben.
 
Straßensperren in Kiew, die in Brand gesetzt werden, sollen die Truppen aufhalten.
Straßensperren in Kiew, die in Brand gesetzt werden, sollen die Truppen aufhalten.
 
Auch zivile Gebäude werden getroffen, wie dieses Bild zeigt.
Auch zivile Gebäude werden getroffen, wie dieses Bild zeigt.
privat

Die Verbindungen der Tschernobyl-Kinderhilfe sind jetzt von unschätzbarem Wert. Hilfsangebote kommen dort jetzt von vielen Seiten an.

"Das ist die vierte Tasse Kaffee, die kalt wird", sagt Dieter Wolf, als er die Tür öffnet. Sein Haus in der Heusingerstraße ist zu einer Art Schaltzentrale für Ukrainehilfe geworden. Der Vorsitzende des Vereins Tschernobyl-Kinderhilfe Neustadt kann sich im Augenblick kaum retten vor Anfragen. Menschen bieten Hilfsgüter an, wollen Informationen haben oder Geld spenden. Gleichzeitig gilt es zu organisieren, was der Verein gerade auf den Weg bringt.

Vor allem sind es die Anrufe von Lina, die den Nerven der Familie Wolf einiges abverlangen. Lina war als Kind zur Erholung im Coburger Land. Das war 2007. Ihre Mutter Nila gehört seither zu den engen Kontaktpersonen der Kinderhilfe in der Katastrophenregion. Wenn Vereinsmitglieder in die Ukraine kommen, dann finden sie bei ihr Unterkunft. Jetztfragte sie in einer Handynachricht: "Lina und Tochter, wäre angenehm?" Dieter Wolfs Antwort: "Ja".

Am Sonntag meldete sich Lina, die inzwischen 26 ist. "Sie hat geschrieben, dass sie jetzt im Auto sitzen und in Richtung Polen aufbrechen", sagt Dieter Wolf. Sofort wurden Vorbereitungen getroffen. "Es war klar, dass wir die zwei aufnehmen, als wären sie Teil der Familie." Der Partyraum wurde zur Wohnung zurecht gemacht. Wenn Lina mit ihrer achtjährigen Tochter Marianne ankommt, haben sie Schlafzimmer, Wohnzimmer und Bad für sich. "Die müssen sich ja auch mal zurückziehen können, nach allem was sie mitgemacht haben."

Immer wieder kommen Nachrichten der beiden, die in Begleitung von zwei weiteren jungen Frauen unterwegs sind. "Die zwei wollen von hier weiter nach Frankreich, wo sie früher als Gastkinder waren", sagt Dieter Wolf. Er dachte an Spritgeld, Kleidung und was die beiden eben für die Weiterfahrt brauchen. Doch da lag ein Missverständnis vor. "Dann kam die Nachricht, dass sie kurz vor der polnischen Grenze sind, irgendwo im Wald und zu Fuß." Es hatte sie nur jemand im Auto bis zur Grenze gefahren. Ein Auszug aus der Nachricht von Lina an Dieter Wolf: "Gestern bin ich einfach verrückt geworden. Der Weg zur Grenze ist weit, ich war sehr, sehr besorgt darüber, wie ich dorthin komme. Rund um den Beschuss. Dann werden die Jungs nach Hause zurückkehren". Zwei Freunde hatten die Frauen gefahren, aber eben nur bis zur Grenze. Lina schreibt weiter: "Ich habe den ganzen Tag Beruhigungsmittel genommen und geweint, geweint." Sie habe sich erst beruhigt, als die beiden Männer gut wieder daheim angekommen waren.

Am Montag kam Nachricht von Lina. Sie waren in Polen angekommen, hatten Essen und einen Schlafplatz bekommen. Am Dienstag schrieb sie, dass es nun mit dem Bus weiter gehen soll nach Warschau. "Von da fährt sie dann mit dem Zug nach Berlin oder Dresden. Sobald wir da Genaues wissen, fahren wir dann los", sagt Dieter Wolf. Der Kleinbus der Kinderhilfe wurde schon vorbereitet, damit alle vier Platz haben, vielleicht schon im Auto zu schlafen. "Jetzt holen wir erst einmal alle hierher. Dann sehen wir, wie wir die zwei nach Frankreich bringen."

Transport wird kostenlos übernommen

Sorgen machte Dieter Wolf der Transport, der am Dienstag in Richtung Ukraine geschickt werden sollte. Jetzt meldete sich der Chef der deutsch-russischen Spedition. Es könne nur in die Ukraine gefahren werden, wenn sicher sei, dass sein Fahrer auch heil wieder heraus kommt. Doch es werde alles versucht. "Er hat uns gesagt, dass wird diesen Transport nicht bezahlen müssen. Wir dürfen sogar noch alles dazu packen, was wir schon für den Transport im Juni haben", sagt Dieter Wolf. Daher beschafft der Verein jetzt Verbandsmaterial und Medikamente. "Die dürfen eigentlich nicht eingeführt werden. Aber wenn die der Zoll rauszieht, kommen sie auch an." Für den Verein ist die Zusage der Spedition eine enorme Ersparnis. Die 158 Pakete, die ursprünglich vorgesehen waren, haben ein Gewicht von zwei Tonnen. Bei drei Euro je Kilo wären 6000 Euro nötig gewesen. Geld, das jetzt anders eingesetzt werden kann. Etwa für Einkäufe vor Ort. Als sich die Situation in der Ukraine immer mehr verschärfte, hatte Dieter Wolf Vertrauensleute mit Geldbeträgen ausgestattet. Damit konnte schon Verbandsmaterial und Medikamente angeschafft und Krankenhäuser unterstützt werden. "Uns ist nur immer wichtig, dass wir genau wissen, wer was bekommt. Deswegen geht alles nur nach Rücksprache mit uns." Jetzt hofft er, dass es möglich ist, weiteres Geld an seine Leute vor Ort zu überweisen, denn die Reserven werden schnell aufgebraucht sein. Während alles unternommen wird, um Lina und ihre Freundinnen nach Neustadt zu holen, müssen eingehende Spenden und Hilfsangebote koordiniert werden.

Familien hausen in den Kellern

Aus den Dörfern, auf die sich die Hilfe der Tschernbobyl-Kinderhilfe konzentriert, kommen immer neue Bilder bei Dieter Wolf an. Sie zeigen die Situation vor Ort. Kinder, die mit ihren Müttern in Kellern Schutz suchen, weil niemand weiß, ob und wann Truppen auch die Dörfer erreichen. Raketen und Artilleriegranaten schlagen immer wieder auch in zivilen Bereichen ein. Manchmal sind Explosionen von weit her zu hören. Aber angesichts der Ungewissheit bleiben die Frauen und Kinder so viel wie möglich in den Kellern - oder versuchen wie Lina und ihre Freundinnen im Westen Schutz z suchen.