Gemeinsam gestalten

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IHK-Ehrenpräsident Friedrich Herdan (links) und IHK-Präsident Andreas Engel bei der Amtsübergabe am 1. Dezember.
IHK-Ehrenpräsident Friedrich Herdan (links) und IHK-Präsident Andreas Engel bei der Amtsübergabe am 1.  Dezember.
Christian Broßmann

Mobilität, Infrastruktur, Weiterbildung: Der alte und der neue IHK-Präsident sind sich weitgehend einig dahingehend, was die Unternehmen der Region brauchen.

Stabübergabe bei der IHK zu Coburg: Friedrich Herdan legte sein Amt nieder und ist jetzt Ehrenpräsident. Sein Nachfolger Andreas Engel kennt als langjähriger Vizepräsident das Kammergeschäft. Gemeinsam stellten sie sich den Fragen des Tageblatts.

Herr Herdan, Sie haben die IHK zu Coburg fast 14 Jahre lang geführt. Was waren große Herausforderungen in jener Zeit, wo sehen Sie Ihre Erfolge, wo Misserfolge?

Friedrich Herdan: Es waren interessante, herausfordernde 14 Jahre Amtszeit, in denen sich auch immer wieder Wert und Bedeutung einer eigenständigen Vor-Ort-Kammer als gut vernetzte Interessenvertreterin der gewerblichen Coburger Wirtschaft gezeigt hat. Große Herausforderung über die Jahre war es, die Einrichtung von acht ICE-Halten am Coburger Bahnhof, maßgeblich durch unseren IHK-Einsatz, gegenüber DB und Politik durchzusetzen. Neben dem Einsatz für verschiedenste Infrastrukturverbesserungen lag mir, wie Sie wissen, die Berufliche Bildung sehr am Herzen, entsprechend haben wir die Bemühungen unserer Unternehmen zur Deckung des Fachkräftebedarfs mit verschiedensten IHK-Projekten und Initiativen flankiert, nur einige Beispiele: Das IHK-Kompetenzzentrum 4.0 für Maschinenbau und Automotive leistet mit breit angelegtem Informationsangebot zu beruflichen Perspektiven einen wertvollen Beitrag in ganz Nordbayern. Sehr erfolgreich hat sich auch die Fachschule für Maschinenbautechnik entwickelt, die wir im Jahr 2012 nach Coburg geholt haben. Mit unserem IHK-Kombimodell "1+3" haben wir ein wichtiges Projekt zur Ausbildung und Integration junger Geflüchteter umgesetzt. Seit dem Start 2016 wurden bisher 130 Flüchtlinge integriert und in Metall- und Elektroberufen ausgebildet. Nicht realisiert werden konnte leider eine zukunftsfähige Luftverkehrsanbindung. Inwieweit die als kleinster Kompromiss umgesetzte Kombilösung mit Bamberg den Anforderungen der regionalen Wirtschaft dauerhaft genügen kann, wird sich zeigen.

Herr Engel, vor welchen Herausforderungen sehen Sie die IHK zu Coburg und ihre Mitgliedsbetriebe?

Andreas Engel: Es sind - neben den Unwägbarkeiten des weiteren Pande-mieverlaufs - insbesondere die Themen Fachkräftesicherung, Infrastrukturausbau, Digitalisierung, Klimaschutz, Mobilitäts- und Energiewende sowie der Strukturwandel in einer sich weiter globalisierenden Welt, die unsere Mitgliedsbetriebe und die gesamte Region in den nächsten Jahren beschäftigen werden. Die zur Chancennutzung notwendigen Transformationsprozesse gilt es, in unseren Unternehmen gezielt voranzutreiben. Dabei wird sich die IHK mit Sachkenntnis, Fakten und Praxisorientierung proaktiv einbringen. Eines ist klar: Wir werden bestens qualifizierte Fachleute benötigen, um mit Kreativität und Innovationskraft die Neuausrichtung der Wirtschaft an vorderster Stelle mitzugestalten. Deshalb steigt für unsere Mitgliedsbetriebe die Bedeutung der beruflichen Aus- und Weiterbildung, um die Mitarbeiter auf die neue Arbeitswelt vorzubereiten. Die dafür notwendige Stärkung, Fortentwicklung und Aufwertung der dualen Berufsausbildung steht auf der Prioritätenliste der IHK zu Coburg weit oben.

Herr Herdan, eines Ihrer Herzensthemen war die Schienenanbindung Coburgs. Der Ausbau des Schienenverkehrs wurde zur allgemeinen Forderung erhoben, nicht zuletzt wegen des Kampfes gegen den Klimawandel. Was braucht es aus Ihrer Sicht, damit es mit dem Ausbau des Schienenverkehrs schneller vorangeht?

Friedrich Herdan: Die Wiederherstellung der Schienenverbindung zwischen dem Coburger Land und Südthüringen ist ein wichtiger Baustein für die gesell-schaftliche und wirtschaftliche Entwicklung beider Räume. Die Realisierungsaussichten haben sich substanziell verbessert: Im Sommer haben sich alle maßgeblichen Gebietskörperschaften, die Wirtschaftskammern und Interessenverbände sowie Mandatsträger des Bundes, der Freistaaten Bayern und Thüringen zur Interessengemeinschaft (IG) "Schienenlückenschluss Coburg - Südthüringen" zusammengeschlossen. Im November haben wir in der IHK eine Schienenverkehrskonferenz organisiert, bei der Vertreter der Freistaaten Bayern und Thüringen zugegen waren und zusagten, eine Potenzialanalyse zur Einleitung des Raumordnungsverfahrens für die bestgeeignete Strecke fachlich und finanziell mit zu unterstützen.

Herr Engel, Ihrem Vorgänger lag die Verkehrsinfrastruktur am Herzen. Wo werden Sie Ihren Schwerpunkt setzen?

Andreas Engel: Coburg ist starker Wirtschaftsstandort, aber weitab der großen Ballungsräume. Deshalb ist für mich die Mobilität der Zukunft ein wichtiges Thema, denn unsere Region muss über nachhaltige Mobilitätslösungen angebunden sein, ohne einzelne Verkehrsträger auszuschließen. Gerade im ländlichen Raum wird das Auto bis auf weiteres eine wichtige Rolle spielen. Ich setze mich für eine ganzheitliche Verkehrsplanung ein, die dem Ausgleich der Interessen dient. Als weitere wichtige Aufgabe sehe ich, die Eigenständigkeit der IHK zu Coburg zu bewahren. Die regionale Verwurzelung ermöglicht passgenaue Interessenvertretung für unseren Standort und hochwertige Dienstleistung für die Mitgliedsunternehmen vor Ort. Dabei wird es mir ein Anliegen sein, den Vernetzungs-, Wissens- und Technologietransfergedanken weiter voranzutreiben, um durch Bündelung der Kräfte von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft unsere Zukunftsregion Coburg weiterzuentwickeln.

Corona hat tiefergreifende Veränderungen der Arbeitswelt möglich gemacht, als wir ahnten: Dinge wie Homeoffice, aber auch das Überdenken von Lieferketten und globalisierter Produktion. Was wird bleiben, welche weiteren Veränderungen werden kommen?

Friedrich Herdan: Stichwort Homeoffice - es hat sich gezeigt, dass diese Option je nach Unternehmen und Struktur sehr unterschiedlich geeignet ist. Dort, wo die Möglichkeiten bestehen, werden auf alle Fälle Reisezeiten eingespart und die Abstimmung über Arbeiten und Abläufe auf virtuellem Weg zu verschiedensten Themen hat sich ganz gut eingespielt. Trotzdem ist damit der Dialog und fachliche Austausch im Team vor Ort nicht optimal zu ersetzen. In der intelligenten Kombination aus Präsenz und Online liegt für mich das Optimum künftigen konstruktiven Miteinanders. Zweitens: Der Vorteil internationaler Arbeitsteilung und Just-in-time-Logistik liegt in der Kosteneffizienz. Pandemiebedingte Störungen der Lieferketten haben jüngst gezeigt, dass Wirtschaft gut daran tut, sich breiter aufzustellen, um die Abhängigkeit von einzelnen Anbietern und Transportwegen einzugrenzen. Das ändert aber nichts daran, dass es bei sicherlich modifizierten, aber dennoch globalisierten Wirtschaftsvernetzungen großen Ausmaßes bleiben wird.

Welche Voraussetzungen müssten geschaffen werden, dass der Coburger Raum von Trends wie Homeoffice profitieren kann?

Andreas Engel: Dass Homeoffice, in Betrieben genauso wie in einer Zeitungsredaktion, funktionieren kann, das haben wir in den letzten Monaten erlebt. Eine wesentliche Voraussetzung ist die Schaffung der technischen Stan-dards durch Breitbandausbau, und in diesem Punkt ist auch dank des Einsatzes der IHK zu Coburg in unserer Region ein hohes Niveau erreicht. Für den Mobilfunk 5G muss die flächendeckende Versorgung mit Glasfaser-Infrastruktur vorangetrieben werden. Digitale Infrastruktur macht unabhängig vom Standort und eröffnet deshalb für unsere Region zusätzliche Chancen, weil es keine Rolle spielt, ob man sich gerade in Coburg, München oder Berlin aufhält. Natürlich bedarf es neben der Vermittlung digitaler Kompetenzen an die Beschäftigten auch spezieller Wei-terqualifizierung für Führungskräfte. Denn es macht einen Unterschied, ob die Mitarbeiter in Präsenz im Unternehmen arbeiten oder aus dem Homeoffice. Diese virtuelle Zusammenarbeit erfordert verstärkt Kompetenzen für das Führen auf Distanz. Die IHK steht ihren Mitgliedsbetrieben mit entsprechenden Weiterbildungsangeboten zur Seite. Neben der Infrastruktur und notwendigen Kompetenzen sind unsere Unternehmen gefordert, hybride Geschäftsmodelle zu entwickeln, die analoges und digitales Zusammenarbeiten ermöglichen. Dann kann aus dem derzeitigen Trend ein wirkliches Erfolgskonzept für die Zukunft werden.

Wagen Sie für uns den Blick in die Glaskugel? Wie sollte der Wirtschaftsraum in zehn Jahren aussehen?

Friedrich Herdan: Unser Wirtschaftsraum ist gut aufgestellt, doch diese Position ist kein Selbstläufer. Mit Sicherheit gewinnt der Ausbau des Know-how- und Technologie-Transfers zwischen Wissenschaft und Wirtschaft künftig kolossal an Bedeutung. So sehe ich vor allem für unsere starke Wirtschaftsregion Coburg den noch engeren Austausch zwischen Hochschulen und Betrieben zur Erschließung neuer Technologiefelder und Dienstleistungen künftig als unverzichtbar. Vor allem dürfen wir in unserem Wirtschaftsraum Zukunftsthemen der Mobilität, der Energieversorgung, der Umwelt etc. nicht klein-klein im kommunalen Diskurs zerreden, sondern müssen vielmehr aktiv und federführend an der Entwicklung beteiligt sein.

Andreas Engel: Coburg ist eine höchst attraktive Zukunftsregion! Dieser Punkt sollte stärker nach außen getragen werden, um die Anziehungskraft für Fachkräfte und Unternehmen zu verstärken. Wichtig ist, dass wir noch mehr gemeinschaftlich an einem Strang ziehen, sprich: Wirtschaft gemeinsam mit Kommunen, Hochschulen und Gesellschaft entwickeln Visionen und gestalten die Zukunft. Ein passendes Beispiel wäre das Wasserstoffprojekt: Damit haben wir die Chance, durch Bündelung der Kräfte unsere Region bei dieser Zukunftstechnologie an die Spitze zu setzen. Mit Strahlkraft nach außen! Und das sollte künftig bei vielen Projekten unser gemeinsamer Anspruch sein - und das ist weniger der Blick in die Glaskugel als mein Wunsch für die nächsten zehn Jahre!

Die Gesprächspartner

Friedrich Herdan, 78 Jahre, Vorsitzender der Geschäftsführung der Langenstein&Schemann-GmbH, war 14 Jahre Präsident der IHK zu Coburg.

Andreas Engel, 57 Jahre, Wirtschaftsingenieur mit Doktortitel, ist Geschäftsführender Gesellschafter der Leise GmbH in Coburg. Insgesamt 13 Jahre fungierte er mit Unterbrechungen als IHK-Vizepräsident