Das Geheimnis des CoburgerTheaterherzogs

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Herzog Ernst II. (Büste im Spiegelsaal des Landestheaters Coburg). Fotos: Jochen Berger
Herzog Ernst II. (Büste im Spiegelsaal des Landestheaters Coburg). Fotos: Jochen Berger
Hoch zu Ross mit Pickelhaube: Reiterdenkmal für Herzog Ernst II. im Coburger Hofgarten (Detail).
Hoch zu Ross mit Pickelhaube: Reiterdenkmal für Herzog Ernst II. im Coburger Hofgarten (Detail).
 
Programmzettel für eine Aufführung von "Diana von Solange" 1891 an der New Yorker MET.
Programmzettel für eine Aufführung von "Diana von Solange" 1891 an der New Yorker MET.
 
Angelika Tasler
Angelika Tasler
 
Klavierauszug der Oper "Zaire" von Herzog Ernst II.
Klavierauszug der Oper "Zaire" von Herzog Ernst II.
 
Partiturausschnitt der Oper "Santa Chiara" von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha.
Partiturausschnitt der Oper "Santa Chiara" von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha.
 
Programmheft zur Aufführung der Oper "Diana von Solange" an der New Yorker MET im Jahr 1891.
Programmheft zur Aufführung der Oper "Diana von Solange" an der New Yorker MET im Jahr 1891.
 

Regieren und komponieren - wie passt das zusammen? Die Musikwissenschaftlerin Angelika Tasler erforscht Leben und Wirken von Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha. Eine Spurensuche.

An Herzog Ernst II. kommt in Coburg kaum jemand vorbei. Über den Arkaden blickt sein Denkmal hoch zu Ross hinunter auf den Schlossplatz. Und im Spiegelsaal des Landestheaters steht seine Büste neben der seines Vaters, der Coburgs Musentempel einst erbauen ließ. Welcher Ernst II. aber ist der wahre Ernst II. - der kriegerische Regent mit der Pickelhaube auf dem Haupte oder der kunstsinnig Theaterherzog?

Gegenwärtig und zugleich aber historisch fern - so erscheint heute Ernst II. als Regent wie als Mensch. Er ist unübersehbar präsent in seiner ehemaligen Residenzstadt und doch als Person kaum zu fassen. Im Staatsarchiv lagern Tausende von Akten, die sein Wirken als Regent und Freund der Musen dokumentieren. Doch wirklich erschlossen und aufgearbeitet sind diese Akten längst noch nicht.
Immerhin: Die Tür zum Archiv der herzoglichen Historie öffnet sich jetzt zumindest einen Spalt breit, wie die Vortragsreihe "Muse und Macht" belegt, die von der Volkshochschule Coburg im Roten Salon von Schloss Callenberg präsentiert wird.

Liebesbriefe im Archiv

"Die Geschichte des Coburger Theaters ist noch nicht geschrieben", sagt die aus Coburg stammende Musikwissenschaftlerin Angelika Tasler, die Referentin dieser Vortragsreihe. Diese Geschichte und damit zugleich die Geschichte des als "Theaterherzog" apostrophierten Ernst II. zu schreiben wäre freilich eine Herkulesaufgabe, weiß Tasler. Denn Dokumente gibt es reichlich: Rund 3500 Theaterakten lagern in den Beständen des Staatsarchivs - vom Liebesbrief bis hin zu Gehaltsforderungen. Hinzu kommen die Materialien der fast vollständig erhaltenen Theaterbibliothek, die seit den 1970er Jahren die Bestände des Landesbibliothek bereichern. Und begraben unter dem Berg an Materialien, Dokumenten und Partituren: das musikalische Schaffen des Theaterherzogs.

Immerhin fünf große Opern hat Ernst II. zwischen 1846 und 1858 geschaffen - doch über den Komponisten aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha sind auch heute noch mehr Anekdoten als gesicherte Fakten im Umlauf. "E.H.z.S." steht auf den Partituren - "Ernst Herzog zu Sachsen". Was davon aber stammt wirklich von der Hand des künstlerisch ambitionierten Regenten? Die überlieferten Opern wurden mutmaßlich von herzoglichen Kapellmeistern instrumentiert.

Noch sucht Angelika Tasler nach der Notenhandschrift des Theaterherzogs. Im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft erschließt sie derzeit die Bestände der Theaterbibliothek - eine zeitraubende Arbeit, die vorerst vor allem deutlich werden lässt, was alles noch zu erkunden ist in der mehr als 175-jährigen Geschichte des Coburger Theaters. Denn allzu lange wurde bei diesem Thema gleichsam voneinander abgeschrieben, wurden Anekdoten so oft zitiert, dass sie bisweilen für historische Wahrheit gehalten wurden. Hat Ernst II. tatsächlich dergestalt komponiert, dass er Melodien improvisiert hat, die von seiner Frau Alexandrine am Klavier nachgespielt, notiert und anschließend an herzogliche Kapellmeister zur musikalischen Ausarbeitung weitergegeben wurden? Das alles ist derzeit nicht belegbar, wie Angelika Tasler betont.

Begabter Melodienerfinder

In einem Brief an den befreundeten Schriftsteller Gustav Freytag hatte sich Ernst II. einst selbst als Dilettanten bezeichnet und zugleich betont, dass die Kunst für ihn lebensnotwendig sei: "Ich brauche die Kunst als Nahrung für mein eigenes Herz". Das Komponieren war für Ernst II. gewiss mehr als nur ein Hobby - da ist sich Tasler ganz sicher.

Schließlich habe Ernst II. sich in jenen Jahren, in denen er seine fünf großen Opern schuf, politisch besonders intensiv betätigt. Dass er trotz des immensen Aufwandes für seine politischen Ambitionen sich Freiraum fürs Komponieren geschaffen habe, ist für die Musikwissenschaftlerin jedenfalls Beleg genug, dass die musischen Neigungen des Regenten mehr als nur ein Zeitvertreib waren.

Gleichwohl macht sich Tasler keine Illusionen darüber, wo die künstlerischen Talente des Herzogs ihre Grenzen hatten. Ernst II. ist aus ihrer Sicht zumindest ein begabter Melodienerfinder gewesen.
Für die Bühne sind die Opern des Coburger Theaterherzogs heute nicht mehr zu retten. Das weiß auch Angelika Tasler und nennt als Gründe nicht nur die Schwächen der oftmals allzu verworrenen und komplizierten Textbücher. Auch im musikalischen Tonfall hatte Ernst II. erkennbar sein Grenzen. Der Sinn für tragische Töne, konstatiert Tasler, habe ihm unüberhörbar gefehlt. Volkstümliche Akzente, tänzerische Rhythmen dagegen standen dem komponierenden Regenten sehr wohl zu Gebote.

Sogar in Paris erfolgreich

In Coburg war Musik von Ernst II. zuletzt im Februar 2009 zu hören - bei einem Gastspiel der Erfurter Oper im Landestheater. Im Programm damals unter dem Etikett "Oper am Klavier": "Santa Chiara". Diese 1854 in Gotha uraufgeführte Oper ist sein einst erfolgreichstes Bühnenopus. Immerhin reüssierte "Santa Chiara" ehedem sogar mit rund 70 Aufführungen in Paris. Reine Gefälligkeit dem Herrscher eines kleinen Herzogtums gegenüber kann das kaum gewesen sein. "Wenn diese Oper schlecht gewesen wäre, hätte man sie nicht so oft gespielt", ist sich Angelika Tasler sicher: "Da war das Theater im 19. Jahrhundert gnadenlos - viel gnadenloser als heute."
Was also bleibt von Ernst II. und seinen Opern? Vorerst eine reizvolle Herausforderung für neugierige Musikwissenschaftler. Vielleicht wird daraus dann ja tatsächlich eine bislang ungeschriebene Geschichte des Coburger Theaters.


Aus dem Leben eines kunstsinnigen Herzogs


Ernst II. wurde am 21. Juni 1818 in Coburg geboren und starb am 23. August 1893 in Reinhardsbrunn bei Gotha. Er war Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha und der älteste Sohn von Herzog Ernst von Sachsen-Coburg-Saalfeld und Prinzessin Luise von Sachsen-Gotha-Altenburg. Ernsts jüngerer Bruder war Prinz Albert, der spätere Gemahl der britischen Königin Victoria.

Regent Am 29. Januar 1844 übernahm Ernst II. nach dem Tod seines Vaters, Herzog Ernst I., die Regentschaft über das Doppelherzogtum Sachsen-Coburg und Gotha. Unter Ernsts Protektorat wurde im Juli 1860 in Coburg das Erste Deutsche Turn- und Jugendfest sowie im September die Erste Generalversammlung des Deutschen Nationalvereins veranstaltet, 1861 in Gotha das 1. Deutsche Schützenfest durchgeführt und der Deutsche Schützenbund sowie 1862 in Coburg der Deutsche Sängerbund gegründet.

Gönner Ernst war Freund und Gönner des damals bekanntesten deutschen Schriftstellers Gustav Freytag und des "Walzerkönigs" Johann Strauß. Zudem war er näher bekannt mit dem Reiseschriftsteller Friedrich Gerstäcker und dem Zoologen Alfred Brehm. Ernst bereicherte die Kunstsammlungen auf der Veste Coburg und auf Schloss Friedenstein erheblich und ließ in Gotha von 1864 bis 1879 das Herzogliche Museum erbauen, das nach umfassender Sanierung am Wochenende wiedereröffnet wurde.

Künstler Ernst II. pflegte intensiven Kontakt zu Musikern und komponierte selbst - unter Pseudonym - eine ganze Reihe von Opern, die in seinen Hoftheatern in Gotha und Coburg uraufgeführt wurden. Sein erfolgreichstes Werk wurde die romantische Oper Santa Chiara, die nach der Gothaer Uraufführung unter Franz Liszt 1854 über die meisten großen deutschen Bühnen ging.

CD-Tipp "Musik am Gothaer Hof - Gewidmet Herzog Ernst II.", Thüringen-Philharmonie Gotha-Suhl, Dirigent: Hermann Breuer (ES-DUR 2031)