"Coburg hat eine Verantwortung" - Stadt arbeitet Nazi-Vergangenheit auf

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"Vorbeimarsch der SA mit Fahnen bei der Feier der 20. Wiederkehr des Deutschen Tages von 1922 auf dem Schlossplatz im Jahr 1942" lautet die Beschreibung dieses Fotos aus dem Staatsarchiv Coburg. Am 14./15. Oktober 1922 war die SA erstmals massenhaft in Coburg aufmarschiert. Sie reiste mit 650 Mann zum "Deutschen Tag" des "Schutz- und Trutzbunds" an, angeführt von Adolf Hitler. Aufnahme: Leo Bauer, Gau-Archiv Bayerische Ostmark der NSDAP. Bildquelle: Staatsarchiv Coburg, Bildsammlung 6_9-504
"Vorbeimarsch der SA mit Fahnen bei der Feier der 20. Wiederkehr des Deutschen Tages von 1922 auf dem Schlossplatz im Jahr 1942" lautet die Beschreibung dieses Fotos aus dem Staatsarchiv Coburg. Am 14./15. Oktober 1922 war die SA erstmals massenhaft in Coburg aufmarschiert. Sie reiste mit 650 Mann zum "Deutschen Tag" des "Schutz- und Trutzbunds" an, angeführt von Adolf Hitler. Aufnahme: Leo Bauer, Gau-Archiv Bayerische Ostmark der NSDAP. Bildquelle: Staatsarchiv Coburg, Bildsammlung 6_9-504

Wie konnte der Nationalsozialismus so früh in Coburg Fuß fassen? Für den Historiker Gert Melville ist dabei vor allem die Zeit vor 1933 interessant.

Es wird teurer. Aber dafür habe die Stadt auch eine zusätzliche Qualitätssicherung, sagt Gert Melville. Der Historiker und Professor in Dresden ist Sprecher der Kommission, die das Projekt "Aufarbeitung der Coburger Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts" begleitet und auch den Historiker empfohlen hat, der diese Aufarbeitung nun leisten soll.


"Geschichtsaufarbeitung" kostet 406 000 Euro

Angestellt wird dieser Historiker beim Institut für Zeitgeschichte (IfZ, München/Berlin). Das IfZ vergibt den Forschungsauftrag, die Stadt finanziert die Arbeit. "Als Stadt können wir stolz sein, dass dieses renommierte und stark nachgefragte Institut sich bereiterklärt hat, sich mit diesem Projekt zu befassen", sagte Kulturamtsleiter Klaus Anderlik am Donnerstag in der Stadtratssitzung. Aber dadurch wird es auch teurer, denn nun müssen nicht nur Personal- und Sachkosten für das eigentliche Projekt finanziert werden, sondern auch sogenannte Overhead-Kosten. Rund 141 000 Euro mehr als bisher geplant macht das über vier Jahre aus; die "Geschichtsaufarbeitung" kostet dann insgesamt 406 000 Euro (nach heutiger Schätzung), also rund 100 000 Euro pro Jahr.

Schon die vorher veranschlagten 265 000 Euro waren der CSU/JC-Fraktion vor einem Jahr zu viel gewesen, da die Stadt gerade dabei sei, ihren Haushalt zu konsolidieren. Deshalb lehne sie auch diesmal das Vorhaben ab, sagte Fraktionsvorsitzender Jürgen Oehm. Der Rest des Stadtrats sieht es anders: Mit 27 zu elf Stimmen wurde dem Vorschlag stattgegeben, die entsprechende Vereinbarung mit dem IfZ zu treffen und das Geld bereitzustellen.

Bei dem Betrag von 406 000 Euro soll es bleiben; außerdem wird versucht, einen Teil der Kosten über Zuschüsse wieder hereinzuholen. Die entsprechenden Anträge seien bereits gestellt, versicherte Kulturamtsleiter Anderlik im Stadtrat. Die Niederfüllbacher Stiftung hat angeblich schon 10 000 Euro zugesagt. Sollten die 141 000 Euro nicht über Dritte zu finanzieren sein, wird versucht, das durch Kürzungen bei anderen freiwilligen Leistungen der Stadt zu kompensieren. Oberbürgermeister Norbert Tessmer (SPD) war dieser Zusatz sichtlich unangenehm. Er ist das Ergebnis der Vorberatungen im Finanzsenat. "Wir haben berechtigte Hoffnungen, dass das mit der Drittmittelakquise funktioniert", sagte er auf die Frage von René Hähnlein (SBC/Linke), welche freiwilligen Leistungen dann gekürzt werden sollen.


In Coburg fassten die Nazis früher Fuß als andernorts

"Die Stadt hat eine Verantwortung vor ihrer Geschichte", meint Gert Melville. Denn in Coburg fasste die nationalsozialistische Ideologie früher Fuß als andernorts. Die Nazis errangen im Mai 1929 die absolute Mehrheit im Coburger Stadtrat; als die Nazis 1933 in Deutschland an die Macht kamen, wurden in Coburg Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden wahllos verhaftet und gefoltert. Den Historiker Melville interessiert vor allem, was zu dieser Entwicklung führte. "Spannend ist die Zeit vom Ende des Ersten Weltkriegs bis 1933", sagt er. "Wie konnte es dazu kommen, dass Coburg diese Vorreiterrolle spielte? Es geht nicht darum, irgendwelche einzelnen Belastungen zu finden. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es Dinge wie Zwangsarbeit überall in Deutschland gegeben hat."


Parallelen zu Pegida-Aufmärschen?

Melville sieht durchaus Parallelen zu heute: Wegen der regelmäßigen Pegida-Aufmärsche in Dresden hätten ausländische Forscherkollegen schon Angst, an die dortige Universität zu kommen, berichtet er. Nationalismen und Fremdenhass seien derzeit ein europaweites Phänomen. "Vielleicht wird zu Anfang des 22. Jahrhunderts einmal jemand erforschen wollen, wie sich im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts das politische Klima in Europa verändert hat."