Bayreuth als Vorhof zur Hölle tituliert - Reaktion auf "Welt"-Artikel

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Das Richard-Wagner-Festspielhaus in Bayreuth. Foto: imago/Illustration: Klaus Heim
Das Richard-Wagner-Festspielhaus in Bayreuth. Foto: imago/Illustration: Klaus Heim

Journalist Dennis Sand hat in Bayreuth studiert. Jetzt hat der Redakteur der Berliner "Welt" die Wagnerstadt in einem provokanten Artikel als Vorhof zur Hölle tituliert. Der Beitrag schlägt im Internet hohe Wellen, Bayreuths Lokalzeitung holt zur ganzseitigen Replik aus.

Benedikt XVI., Papst a. D., soll noch zu Amtszeiten als Pontifex Maximus die Vorhölle abgeschafft haben. Nichts ist hingegen durchgesickert davon, dass das Hades-Foyer per päpstlichem Dekret aus der Unterwelt ver- und nach Oberfranken gerückt wurde. Das behauptet nun ein Artikel in der Tageszeitung "Die Welt": Schenkt man Autor Dennis Sand Glauben, liegt die Hölle - jedenfalls die zu Lebzeiten - für Gläubige wie Ungläubige gleichermaßen in Bayreuth.

Hier müsse die Apokalypse ihren Anfang nehmen. "Ich bin mir sicher, dass es keinen Ort gibt, der der Hölle näher sein könnte", schreibt Sand; er selber studierte drei Jahre in Bayreuth Theater und (irgendwas mit) Medien.
Logisch, dass er sich in seiner Streitschrift gegen Oberfrankens Regierungssitz auch über die Wagnerfestspiele auslässt, die Nähe des Musikgenies zu Adolf Hitler sowie die Prominenten, die mit der ersten Fanfare am Grünen Hügel einfallen. "Für ein paar Stunden geben sie der Welt die schöne Illusion, dass Bayreuth ein Ort der Kultur ist."

Festspielleiterin Katharina Wagner wird dem künstlerisch zwar widersprechen; doch innerlich wird sie beim Lesen des Artikels genickt haben, hadert sie doch selbst mit ihrem Urgroßvater und dessen Entscheidung, das Festspielgehäuse ausgerechnet in die nordostbayerische Walachei gesetzt zu haben. Wann immer es geht, sagte sie im Interview, setze sie sich ins Auto Richtung Berlin. Die Flucht wege aus der Wagnerstadt sind gottlob für alle asphaltiert.

Jede Schmähung wird geahndet

Das blonde Fallbeil aus dem Wagner-Clan hat mächtig Prügel bezogen für die Schmähung der Heimat, unter anderem auch im "Nordbayerischen Kurier". Die Tageszeitung aus und für Bayreuth springt nun erneut in die Bresche. Die Replik auf den "Welt"-Artikel hat Kultur-Redakteur Florian Zinnecker übernommen. Sein Fazit: "Bayreuth ist nichts für Anfänger." Zinnecker räumt aber auch ein: Bayreuth ist angeschlagen. Die Stadt liefere ihren Kritikern handfeste Vorlagen wie einige Dauerbaustellen (Haus Wahnfried). Die "Welt" aber sei nur die letzte in einer langen Ahnenreihe von Bayreuth-Pöblern - angefangen von George Bernard Shaw, der BT als "furchtbar stumpfsinnige Kleinstadt" geißelte, bis zu Wiglaf Droste, der murrte, die Stadt Wagners sei "ein Kuhdunghaufen, aus dem turnusgemäß Größenwahnfried quillt".

Womit der Kreis geschlossen wäre zum Grünen Hügel. Wobei der "Kurier" das mit den Promi-Auftrieb nicht stehen lassen will: "Prominente kommen zur Festspieleröffnung schon lange nicht mehr, sondern meist nur Ange hörige der bayerischen Staatskanzlei und manchmal Roberto Blanco." Schwarz sieht Zinnecker dennoch nicht für die Stadt.

Muss er auch nicht. Bayreuth hat durchaus Charme. Für Studenten, aber auch all die anderen Dauercamper. Und 2016 kommt die Landesgartenschau. Dann erblüht Bayreuth. Skeptiker wiederum ziehen da einen Vergleich mit Helmut Kohl: Der Altkanzler hatte zu Wendezeiten den neuen Bundesländern blühende Landschaften versprochen. Und als das mit der blühenden Wirtschaft und dem florierenden Konsum so schnell wie erhofft nicht eintreffen wollte, da hat er die Bundesgartenschau so oft in den (ganz) Nahen Osten verlegt, bis selbst der Letzte zugeben musste, dass es drüben ja tatsächlich blüht. Eine solche Blüh- und Rankhilfe hat Bayreuth sicher nicht nötig.

Aus dem Rathaus im Oberzentrum wird dem "Welt"-Schmerz übrigens nicht mehr als ein herzliches Achselzucken gegönnt. "Die Stadt bedauert, dass die vielen lebens- und liebenswerten Seiten Bayreuths Herrn Dennis Sand während seiner Studienzeit hier offenbar völlig verschlossen geblieben sind." Was juckt's die oberfränkische Eiche, wenn ein Berliner Schmierfink drauf hockt?

Übrigens: Die Originalität hat Dennis Sand mit seiner Haudrauf-Suada nicht gerade zum Verbündeten, denn in Stadt-Verrissen übte sich schon Heinrich Heine vortrefflich (über das Dorf Düsseldorf in "Deutschland, ein Wintermärchen). Nicht zuletzt Jürgen Roth & Co. haben mit ihren Büchern "Öde Orte" Dutzende Städte durch den Kakao gezogen. Haben Coburg verlacht wegen des diametralen Gegensatzes zwischen royaler Enklave und Samba-Niederlassung. Alles in allem augenzwinkernde Polemiken gegen das Heimatgefühl, gegen den als Welthauch fehlgedeuteten Regionalmief. Aber eine Fatwa gegen die urdeutsche Kleinstaaterei? Mitnichten. Wenn Menschen sich derlei Satire zu Herzen nehmen, haben sie kein Verständnis für das, was Martin Heidegger einst unter "Unbehaustheit" subsumierte. Also bitte nicht Wagners Walküren satteln als Streitmacht gegen die Lästermäuler. Bedenket: Dennis Sand kommt aus Berlin - mehr Vorhölle geht fast nicht.