Martin Arieh Rudolph, der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg, spricht über muslimische Flüchtlinge, die AfD und Hitlers "Mein Kampf".
Die mit gesellschaftspolitischer Verantwortung verbundene Erinnerung an den Holocaust und der Beistand gegenüber dem Staat Israel gehören zum Kernbestand bundesdeutscher Identität. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Antisemiten von links und rechts beständig an diesem Grundkonsens rütteln. Davon zeugen unter anderem auch die deutschlandweit 1366 antisemitischen Straftaten aus dem vergangenen Jahr.
Ob auch die mehrheitlich aus muslimischen Ländern stammenden Flüchtlinge den bundesdeutschen Grundkonsens teilen, hat zuletzt Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, infrage gestellt. Laut einer Umfrage des Pew-Instituts hegen immerhin 90 Prozent der Menschen in muslimischen Ländern antisemitische Vorurteile.
687 der rund 200.000 Juden in Deutschland gehören der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg an.
Deren Vorsitzender ist Martin Arieh Rudolph.
Fühlen sich Juden heute sicher in Deutschland?
Martin Arieh Rudolph: Ein absolutes, auch subjektiv empfundenes Gefühl der Sicherheit gibt es für uns Juden leider nicht, gibt es heute nicht und gab es vor Jahrzehnten erst recht nicht, gleich ob in Bamberg oder anderswo. Solange hier Alt- und Neonazis im öffentlichen Raum ihre Parolen schwingen, seit einigen Jahren nun auch durch teils offen übelste Hetze im Internet, Stichwort soziale Netzwerke, die Sicherheit unseres Gemeindelebens ohne regelmäßige Polizeibewachung nicht gewährleistet ist, kann es ein solches Gefühl auch nicht geben. Es wäre leichtsinnig, hier sich eine heile Welt vorzugaukeln.
Wie empfinden Sie die Lage in Franken: Tragen Sie überall Ihre Kippa?
Jedenfalls nicht unter der Dusche oder im Bett, obwohl auch das schon mal vorgekommen ist. Aber Spaß beiseite, das ist eine persönliche, private Entscheidung. Ich trage sie auch in der Öffentlichkeit, weil dieses Bekenntnis ein Teil von mir ist.
Sind Sie also frei von Angst vor antisemitischen Übergriffen?
Es gab in den letzten Jahren schreckliche Vorkommnisse in Deutschland. Aber ich denke nicht, aus diesen allein schließen zu können, dass Kippa tragende Juden überall in Deutschland einem Spießrutenlauf ausgesetzt wären. Das ist objektiv auch nicht in unserer Stadt Bamberg der Fall, das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen und vertraue darauf, dass das so bleibt.
Zwar tragen bei weitem nicht alle Juden eine Kippa, aber es sollte in einer offenen Gesellschaft auf jeden Fall möglich sein, ohne dabei mit dem Leben bedroht zu werden.
Stichwort Flüchtlinge: Das Gros stammt aus Ländern, die Juden oft feindlich gesonnen sind. Beunruhigt Sie das?
Das beunruhigt mich nicht mehr, als dass auch viele nichtjüdische Deutsche, gleich aus welchen politischen Lagern auch immer, heute noch Schwierigkeiten mit dem Existenzrecht Israels haben und dem Land immer wieder das Recht absprechen, sich angemessen militärisch zu verteidigen. Dass wir uns nicht missverstehen: Israel darf wie jede andere Nation kritisiert werden, aber Kritik muss fair sein und darf nicht von latenter oder offener Judenfeindschaft geleitet werden.
Was bedeutet dies alles für Ihre Sicht auf muslimische Flüchtlinge?
Der überwiegende Teil der Muslime, die in
den letzten Monaten und Jahren nach Deutschland kamen, sind wirklich Flüchtlinge. Das heißt, sie sind Betroffene von Kriegsgeschehnissen und auch Opfer eines bestialischen Terrorismus, den der selbsternannte Islamische Staat an den Tag legt. Ich sehe keinen Anlass, dass aufgrund der gegenwärtigen weltpolitischen Lage der Fokus im übertriebenen Maße auf die Flüchtlinge gelegt wird. Die können eben nichts dafür, wenn ein wahnsinniger Fundamentalist wie kürzlich in Ansbach meint, sich in die Luft sprengen und dabei auch noch andere Menschen in den Tod reißen zu müssen. Aber für viele ist es eben einfacher, nach einem Sündenbock für alles Übel in der Welt zu suchen.
Also haben die Flüchtlingsbewegungen keinen Einfluss auf die Sicherheit von Juden?
Ich denke, es darf kein automatischer Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Flüchtlingsbewegung seit
September 2015 konstruiert werden. Die Problematik des Islamischen Staats war unter den Sicherheitsexperten jüdischer Gemeinden auf der Welt schon vor 2014 ein Thema, auch in Deutschland. Die von Al- Qaida verübten Anschläge 2004 in Mumbai, aber auch auf Charlie Hebdo und auf den Supermarkt Hyper Casher im Januar 2015 in Paris führten zu verstärkten Sicherheitsmaßnahmen in jüdischen Gemeinden.
Anderes Thema: Die kritische Edition von Hitlers "Mein Kampf" verkauft sich blendend. Was sagt das über unser Land?
Man darf daraus keine unsachlichen Schlüsse ziehen, denn die Mehrheit der Deutschen wird dieses Buch auch künftig ablehnen. Aber es hatte seinen Grund, weshalb die publizistische Verbreitung dieses Buches so lange verboten war.
Hätte es dabei bleiben sollen?
Die Edition und Neuauflage von "Mein Kampf", das ist ein so umfangreiches Thema, bei dem ich mir kein fachkundiges Urteil anmaßen möchte. Aber der Glaube, eine Neuedition dieses Buches, wenn auch mit noch so vielen Fußnoten und Anmerkungen, sei vorrangig nur für Wissenschaftler und Schulen von Interesse, war womöglich etwas naiv. Ich bezweifle, dass es allein auf das Interesse von Wissenschaftlern, Studenten oder generell kritischen Menschen zurückzuführen ist, wenn die erste Auflage bei Erscheinen des Buches schon vergriffen war. Wenn dem so wäre, würde es mich beruhigen.
Sind die Verkaufszahlen ein Symptom für eine sich brutalisierende Gesellschaft?
Solche Tendenzen gibt es und sie sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
Bürgermeister, die sich dafür einsetzen, dass durch die Integration von Flüchtlingen keine Parallelgesellschaften entstehen, werden von Neonazis bedroht. Solche Drohgebärden und Angriffe von Rechtsextremen sind ein klarer Angriff auf unsere freiheitlich demokratische Grundordnung.
Ist die AfD Teil dieses Problems?
In diesem Punkt teile ich voll und ganz die Einschätzung des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Diese Partei versucht, die Ängste von Menschen für ihre in vielen Teilen inakzeptable Agenda zu missbrauchen. Auch sind in ihr nicht allein nur Menschen, die sich in anderen Parteien nicht mehr wohlfühlen. Das zu glauben, wäre naiv.
Sondern?
Es gibt einen ernst zu nehmenden Bodensatz, der es verdient, als Neonazis bezeichnet zu werden, auch wenn das viele nicht gerne hören.
Zudem gibt es AfD-Mitglieder, die gegen menschenverachtendes und neonazistisches Gedankenungut keine hörbare Stimme erheben und durch ihr Schweigen dieses sogar indirekt teilen. Das ist gefährlich. Natürlich sind nicht alle Mitglieder der AfD Neonazis. Ich denke aber, dass es anstelle von rechtspopulistischer Propaganda menschenfreundlichere Wege gibt, um seinen Unmut über was auch immer auszudrücken.
Ist die AfD antisemitisch?
Ich fürchte, dass ihr Kernziel es ist, die Rechte von Minderheiten einzuschnüren. Das betrifft uns Juden genauso wie derzeit vor allem die Muslime. Antisemitismus ist nach wie vor fester Bestandteil der neonazistischen Ideologie. Und wenn Verbindungen mit Neonazi-Netzwerken Teil des Bodensatzes einer Partei wie der AfD sind, muss es nicht wundern, wenn sich die Partei hier vom Antisemitismus nicht eindeutig abgrenzt.
Vermissen Sie bisweilen die Unterstützung von nichtjüdischer Seite?
Nein, wir genießen immense Unterstützung innerhalb der christlichen Mehrheitsgesellschaft und pflegen in Bamberg auch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der muslimischen Gemeinde. Auch das Engagement unseres Erzbischofs Ludwig Schick gegen Pegida zeugt von Zivilcourage eines hochrangigen Geistlichen. All das macht Mut.
Das Gespräch führte
Christoph
Hägele.