Sie haben Schuppen, spucken Feuer und rauben gerne Jungfrauen: Drachen. Wie diese Wesen die Literatur des Mittelalters beherrscht haben und warum sie immer noch aktuell sind, erklärt Professorin Andrea Schindler am 8. November bei der Kinder-Uni in der Lukas-Cranach-Grundschule in Kronach.
Bamberg/Kronach — Was hat der vernarbte Zauberlehrling mit dem Nibelungenhelden Siegfried gemein? Am Samstag, 8. November, erfahren es Kinder aus dem Kreis Kronach. Wir haben uns mit der Dozentin Prof. Andrea Schindler (Professorin für Germanistische Mediävistik) unterhalten über die Grundstrukturen von Gut und Böse und den pädagogischen Wert mittelhochdeutscher Geheimsprache. Alle zwischen neun und zwölf Jahren können sich unter www.infranken.de/kinder-uni./
Frau Prof. Schindler, was haben Siegfried aus der Nibelungensage, der Heilige Georg und Harry Potter gemeinsam?Prof. Andrea Schindler: Sie sind Drachenkämpfer. Und sie sind in meiner Vorlesung gelandet, weil Drachen ein Thema sind, das weltweit alle Generationen anspricht.
Das sieht man auch in dieser Reihung: Der heilige Georg ziert das Stadtwappen von Bamberg, und Siegfried ist fast jedem als Drachentöter bekannt; der Drache steht in diesen Kämpfen in der christlich-westlichen Welt für das Böse.
In dieser Tradition muss auch Harry Potter eigentlich zwangsläufig als Held die Herausforderung annehmen und einen Drachen besiegen. Es hat sich verselbstständigt: Ein Held muss irgendwann einen Drachen, einen scheinbar übermächtigen Gegner, besiegen. Auch wenn der nicht immer aussehen muss wie ein Drache.
Das Heldensymbol ist wohl stets beliebt bei Kindern...Richtig. Drachentöter sind Idole. Nicht nur für Kinder, aber die gehen viel direkter damit um und können sich undistanzierter an diesen Geschichten erfreuen. Deshalb basiert viel Kinderliteratur auf der Vorstellung eines Helden.
Denken Sie nur an all die Ritterbücher.
Wie recherchieren Sie für eine Vorlesung bei der Kinder-Uni?Es stellt sich immer die Frage der Auswahl. Es soll nicht so sein, dass es am Ende nur ein Potpourri von Drachengeschichten ist. Sondern es soll dargestellt werden, wie die Vorstellung von Fabelwesen überhaupt entsteht.
Wie entsteht sie?Dadurch, dass ganz viele negative Details projiziert werden auf ein nicht greifbares Wesen, das dadurch zum Ur-Bösen wird. Im Falle des Drachen gilt das aber nur für den westlichen Raum. In Asien gilt er als Glückssymbol.
Worauf achten Sie, wenn Sie vor Kindern statt Studierenden referieren?Kinder sind direkt und neugierig. Man muss gezielt einsteigen und sie im ersten Moment packen, was glaube ich, bei Drachen kein Problem ist.
Und man muss sie stärker einbeziehen, denn Frontalunterricht ist für Kinder langweilig. Ich arbeite fragend mit den Kindern. Deshalb ist der Begriff Vorlesung gar nicht ganz korrekt. Die Kinder wissen wahnsinnig viel, auch wenn sie das anfangs gar nicht erwarten. Aber sie haben - vom Vorlesen oder vom selber Lesen - eine Vorstellung davon, was Drachen sind und was Drachentöter sind.
Wie kann ich mir ihren pädagogischen Ansatz konkret vorstellen?Zu Beginn werde ich versuchen herauszufinden, was die Kinder konkret über das Thema wissen. Diese Vorstellungen werden einbezogen. Und dann zeige ich an kleinen Texten, wie sich Menschen im Mittelalter Drachen vorstellten. Dabei greife ich auf mittelhochdeutsche Texte zurück. Sie scheinen erst wie eine Geheimsprache. Wenn die Kinder aber daran knobeln, finden sie eine Übersetzung ins heutige Deutsch.
So entstehen wunderbare Erfolgserlebnisse.
Sie sind schon länger dabei: Was hat Sie dazu gebracht, bei der Kinder-Uni zu dozieren?Ich fand es schon immer toll, wenn man nicht im Elfenbeinturm sitzt. Wenn man nicht nur in der Universität mit Studierenden arbeitet, die sich für bestimmte Themen interessieren, und wenig mit der "Außenwelt" zu tun hat. Die Kinder-Uni ist für mich ein idealer Raum, um etwas weiterzutragen, das für die Kinder außergewöhnlich ist. Eben nicht der ganz normale Unterricht. Ich finde es wichtig, dass man die Verbindung von Uni und außeruniversitärer Welt aufrechterhält und ausbaut.
Was glauben Sie, kann Kinder-Uni leisten?Sie kann Kinder interessieren und sie dazu bringen, andere Blickwinkel einzunehmen. Anders auf Dinge zu schauen, mit denen sie täglich umgeben sind.
Die Kinder-Uni ist eine Ausnahmesituation für die Zuhörer, die allein deshalb schon länger im Gedächtnis bleibt als der Schulalltag. Ich will Kinder begeistern. Nicht fachspezifisch, sondern im Hinblick auf den Umgang mit Wissen. Es kommt nicht darauf an, ob jemand aus der BWL, der Informatik oder der Germanistik doziert, sondern es geht darum, denkend mit dem umzugehen, was wir um uns haben. Da kann man bei Kindern wunderbar ansetzen. Gleichzeitig sehen sie, was sie schon alles können. In mancher Hinsicht wissen Kinder mehr als die Erwachsenen...
Warum beschäftigen uns Drachen eigentlich bis heute?Weil sie ein universelles Potenzial haben, dadurch, dass man alles Mögliche auf diese Fabelwesen projizieren kann. Und dadurch, dass sie nicht nur als negative, sondern auch als positive Figuren funktionieren. Das sieht man immer öfter.
Sie sind so verwendbar in literarischen Zusammenhängen, dass es zahllose Möglichkeiten gibt und man immer neue Geschichten erzählen kann. Die Grundstrukturen von Gut gegen Böse bleiben in unseren Vorstellungen und in den Geschichten. Es ist unser Ideal, immer sagen zu können: Das ist gut und das ist böse. Auch - oder gerade weil - es so einfach natürlich nie ist.
Die Fragen stellte Hendrik
Steffens.