Wer in Dörrnwasserlos Geselligkeit sucht, findet diese an einem Ort, der einst von Radarüberwachung und Flugabwehrraketen geprägt war.
In der Bibel werden Schwerter zu Pflugscharen. In Dörrnwasserlos werden Flugabwehrraketen zu einer Kapelle. Hoch droben über dem Ort thront auf 567 Metern Höhe der Marienberg. Doch so idyllisch war es auf dem Marienberg nicht immer: 1977 bezogen ihn amerikanische Nato-Truppen als Stützpunkt für ihre Radarüberwachung und mobile Flugabwehrraketen. Auf dem kleinen, von Wäldern eingefassten Plateau hat die katholische Kirche heute ihr Schönstatt-Zentrum aufgeschlagen.
Als im November 1989 die Berliner Mauer fiel, zogen sie wieder ab. Die Soldaten und ihre Raketen wurden auf dem Marienberg nicht mehr gebraucht. Ein Stück der Mauer, mit Stacheldraht und bunten Graffitis, hält auf dem Marienberg die Erinnerung wach an den Kalten Krieg und daran, dass selbst das kleine Dörrnwasserlos ihn in verstrickt war.
Das Bier lagert im Bunker
Aber gegen die Schönheit des Orts und seinen Frieden kommen die dunklen Erinnerungen an Kriegsangst und Flugabwehrraketen nicht an. Schmetterlinge, Blumen, Bienen, Sonne, Wind, Wald, Wolken: Selbst in religiös unempfindlichen Menschen bringt der Marienberg eine Saite zum Schwingen.
Und mittendrin Schwester Anna. Eine Nonne, wie sich jeder eine Nonne vorstellt, der es gut mit der Kirche meint. Herzlich, strahlend, zupackend. Das Jahr, in dem man sie zur Nonne weihte, kommt wie aus der Pistole geschossen: 1988. Bei der Frage nach ihrem Alter muss sie nachdenken. "1965 zur Welt gekommen." Kurze Pause: "Also 55 Jahre alt."
Wer Not fühlt, darf zu ihr auf den Marienberg. Der darf reden, weinen und eine Kerze anzünden. Wer Lust auf Gemeinschaft hat, auf Kuchen, Kaffee, Spezi oder Bier: Der darf ebenso gerne hoch auf den Marienberg. Das Bier lagert dort, wo die Soldaten einst Schutz vor einschlagenden Geschossen gefunden hätten. "Heute ist es eher ein Bierbunker", sagt Schwester Anna.
Unten im Dorf mit seinen etwa 80 Einwohnern und seinen zwei, drei Straßen eine andere Welt. Kein Bäcker, kein Imbiss, nicht ein einziges Geschäft: "Brauchen wir doch alles nicht. Wir fahren einmal in der Woche zum Einkaufen. Das reicht", sagt Jakob Hoh.
Auf seinem dunkelblauen Arbeitsanzug klebt Öl, im Mundwinkel hängt eine Zigarette. Hinter Hoh liegt ein alter Stall, nebenan scharren Tauben in einem Verschlag. Jakob Hoh lebt nicht in Dörrnwasserlos, um sich an einem ganz normalen Wochentag von Wildfremden ausfragen zu lassen. Aber dann antwortet er doch. Sein Leben lang hat er gearbeitet, erst als Mechaniker, dann auf dem Bau. "An dem einen Tag bin ich 14 geworden. Am nächsten habe ich zu arbeiten begonnen." Als Rentner hat er einfach weitergemacht mit der Arbeit, im Wald und im Garten. Jakob Hoh und sein Begriff vom Leben: "Wenn man keine Schmerzen mehr hat, ist man tot." Er muss dann aber wirklich los: "In den Wald, Bäume fällen."