Viele Ziele, bunte Geschichten, verschiedene Menschen: Ein Besuch am Fluss.
Ein mittelsonniger, mittelwarmer Sommervormittag unter der Woche am Regnitz-Radweg kurz hinter der Schleuse Hausen. Leichter Wind kräuselt die Wellen auf dem Kanal, wo gerade ein riesiger Lastkahn Richtung Erlangen tuckert. Ein Mann mit nacktem Oberkörper und Handtuch um die Schultern streckt seinen Kopf aus der Kajüte in den Fahrtwind. "Haaaallooo, wo fahren Sie hin?" Er versteht nichts, winkt aber herüber. Dann halt Konzentration auf das Waldstück, in dem der Pfeil gelandet ist: Außer Moos nix los. Also zurück auf den Schotterweg, der auf beiden Seiten des Kanals gut ausgebaut von Bamberg nach Nürnberg führt und als "genussreiche Flussradtour" unter www.regnitzradweg.de sogar eine eigene Internetseite hat.
So viele Radfahrer!
Erstaunlich, wie viele Menschen hier an einem Werktag unterwegs sind. Vor allem Radfahrer: Sie knirschen auf normalen oder E-Bikes den Weg entlang, einige haben große Packtaschen dabei, hier und da ein Rucksack, Körbe ... Mal fragen, wo die alle hinwollen. Dicht hintereinander kommen eine Frau und ein Mann und halten auf Zuruf an. "Wenn es schnell geht!?" sagt Kerstin Thiel, dann könne sie kurz Antwort geben. Sie ist viel zu spät dran, ihre beiden Pferde warten aufs Futter. Die Tiere stehen ein paar hundert Meter weiter in einem Selbstversorgerstall bei Hausen.
"Ich habe sie seit 13 Jahren" erzählt Kerstin Thiel, "und seitdem fahre ich von Möhrendorf mit dem Rad hierher." Weil sie freiberuflich tätig ist, kann sie sich ihre Zeit einteilen. Etwa acht Kilometer einfach und dann noch das Reiten - kein Wunder, dass sie eine so drahtige Erscheinung ist. "Das Auto nehme ich nur, wenn es schüttet oder der Radweg vereist ist". Spricht"s, schwingt sich aufs Radl und spurtet mit einem "jetzt muss ich aber wirklich los" davon.
Kein demokratischer Akt
In aller Gemütsruhe hat derweil der zweite Angesprochene gewartet. Als er hörte, dass wir vom Fränkischen Tag kommen (einer der Zeitungstitel der Mediengruppe Oberfranken neben der Bayerischen Rundschau, dem Coburger Tageblatt und der Saale-Zeitung) wollte Rüdiger Kalupner gerne eine Geschichte erzählen. Und zwar die von einem Freund. Der war damals Pfarrer in Neunkirchen am Brand und wollte 1998 beim SPD-Parteitag in Leipzig als Gegenkandidat von Gerhard Schröder auftreten. Das ging den Genossen aber derartig gegen den Strich, dass Franz Müntefering den Mann mit einer Schubkarre aus dem Messegelände geschafft hat.
"Das muss man sich mal vorstellen!", sagt Kalupner. "Von wegen Demokratie." Der Fränkische Tag hatte damals einen Reporter entsandt und wie es der Zufall will: Just am Tag unseres Zusammentreffens mit Kalupner erschien ein Autorenporträt des Leiters unserer Bamberger Lokalredaktion in der Zeitung - jenes Redakteurs, der damals den Bericht aus Leipzig verfasst hat. "Ich bin mit Kalupner und dem Pfarrer zum Parteitag gefahren und während mir die Ohren geklungen haben von den aufgeregten Gesprächen, bin ich auf der Rückfahrt geblitzt worden", erinnert sich Michael Memmel.
Kalupner hat keine guten Erinnerungen an Leipzig. Überhaupt, sagt der ehemalige Wirtschaftsingenieur aus Möhrendorf, sei die SPD am Ende. Von 1972 bis 1977 saß er selbst für die Roten im Erlanger Stadtrat, auch als OB-Kandidat hat er in Erlangen kandidiert. Als Berufsbezeichnung gab er an: Weltrevolutionär. "Wirklich wahr", sagt Kalupner. "Das war wahlamtlich anerkannt."
Eigene Partei gegründet
Mittlerweile ist er aus der SPD ausgetreten und hat eine eigene Partei gegründet. "Die Kreativen" haben vier Mitglieder, Kalupner ist ihr Vorsitzender. In der "ersten evolutionistischen Partei der Welt" kann der 79-Jährige ausleben, was ihn zeitlebens beschäftigt: Er möchte die Weltrevolution des Kreativen anstoßen. "Wir müssen raus aus dem Wachstumszwang" sagt Kalupner, "es ist Zeit für eine Epochenwende." Der Denker veröffentlich seine Erkenntnisse auf seiner Internetseite, er korrespondiert mit Politikern und Botschaftern. In seiner Leidenschaft ist er kaum zu bremsen und erklärt uns seine Überlegungen zur kreativen Weltordnung. Und zur Fahrradeuphorie. Sie bezeichnet das von ihm so benannte "spezifische Bewegungsglück beim Radfahren". Kalupner rezitiert für uns emotional tief bewegt sein Gedicht.