Unbarmherzig rückt Erwin Pelzig in seinem neuen Programm "Weg von hier" in der Bamberger Konzerthalle der Gegenwart auf den Leib.
Drinnen in der ausverkauften Konzerthalle verzweifelte ein Mann mit Cordhut und Handtasche an der Welt. Und wenn der Boden unter den Füßen bedrohlich schwankt, dann klammert sich selbst ein muffeliges fränkisches Original an die Traditionsbestände unserer Kulturgeschichte. Zwar scheiterte Erwin Pelzig gleich mehrmals an der wortgetreuen Wiedergabe, die hemdsärmelig verkürzte Quintessenz von Kants Goldener Regel ging ihm aber umso leichter über die Lippen: "Sei einfach kein Arschloch."
Kein Arschloch zu sein: Das heißt für Pelzig, sich der Wahrheit verpflichtet zu fühlen, wenn die blanke Lüge längst gesellschaftsfähig geworden ist. Das heißt, sich auf der Suche nach Verständigung auch dann noch in seine Mitmenschen hinzuversetzen, wenn in den sozialen Netzwerken die Restbestände bürgerlichen Anstands am toxischen Cocktail aus "Denkfaulheit, Rechtschreibschwäche und Internetanschluss" schon zuschanden gegangen sind.
Von Trump bis AfD
Kein Arschloch zu sein, das bedeutet für Pelzig am Ende vor allem: Sich des eigenen Verstands zu bemächtigen, wo der vor Emotionen kochende Bauch inzwischen doch allerorts über den kühl räsonierenden Kopf triumphiert.
"Ich träume von einer neuen Aufklärung", deklamierte Pelzig in Anlehnung an Kant, den deutschen Philosophenkönig.
Zwei Stunden lang nahm sich der Würzburger Kabarettist Frank-Markus Barwasser im Kostüm des Erwin Pelzig all das zur Brust, was die Gegenwart für die einen zum hysterischen Spektakel, für die anderen zum bedrohlichen Epochenbruch macht. Wenig überraschend begegnete Pelzig auf seinem Pfad zur Aufklärung Trump und Erdogan, der AfD, Facebook, Big Data, der Digitalisierung und korrupten Wirtschaftseliten. Er demaskierte den AfD-Rechtsausleger Björn Höcke als "politischen Gliedvorzeiger", trat aber auch der in ihrer Euphorie schon wieder verzweifelten SPD entschieden gegen das Schienbein: "Vor ein paar Wochen wusste ich noch gar nicht, ob ich über die SPD überhaupt etwas sagen darf. Oder ob das schon Totenschändung wäre."
Zum Lachen zumute war Pelzig in Bamberg nicht. Lachen, das sollte nur die Zuschauer, aber auch sie nicht um den Preis billiger Gags. Im Gegenteil, Pelzig verlangte seinem Publikum neben der im Kabarett obligatorischen Bereitschaft zum Mitdenken auch einiges Grundwissen ab. Wer lachen wollte, der musste von der "Internationalen der Nationalisten" und ihrem Personal schon einmal gehört haben, für den durften Social Bots oder die Industrie 4.0 keine böhmischen Dörfer sein.
Freilich geriet Pelzigs Parforceritt durch die jüngere Zeitgeschichte hier und da länglich und volkspädagogisch bemüht. Ohnehin ist der Spagat zwischen intellektuellem Anspruch, politischem Sendungsbewusstsein und dem Zwang zur erlösenden Pointe nicht ohne Risiko für Pelzigs künstlerische Integrität. Denn Kabarett darf sich nicht mit Journalismus verwechseln und auch nicht mit einer politischen Sonntagsrede. Vielleicht ist Barwasser, der gelernte Journalist, in dieser Hinsicht besonders gefährdet. Dass er in Bamberg dennoch alles in allem das richtige Maß fand zwischen Botschaft und derben Humor, in besonders guten Momenten das eine immer aus dem anderen hervorging, ist Ausweis seiner Könnerschaft.
Auf der Bamberger Bühne stand am Donnerstag ein Mann, der den Verlust zivilisatorischer Standards wittert, die Vergangenheit aber klugerweise nie verklärt. Das titelgebende "Weg von hier" meint "nach vorn, in eine hellere Zukunft" und nicht "zurück in die Vergangenheit". Als verlogene Nostalgie entlarvte Pelzig deshalb auch das gegen die Filterblasen des Internets angeführte Argument, früher hätten sich die verschiedenen Gesellschaftsschichten immerhin noch an den Stammtischen getroffen: "Der einzige Ort, an dem wirklich alle zusammengekommen sind, war der Puff."
Halsbrecherische Wortwechsel
Wie so ein Austausch der unterschiedlichen Standpunkte und Perspektiven aber tatsächlich aussehen könnte, setzte Pelzig mit den halsbrecherischen Wortwechseln zwischen seinen beiden Alter Egos, Hartmut und Dr. Göbel, in Szene. Mit zwei einander abwechselnden Stimmen, Argumenten und Idiomen umkreiste Pelzig darin unter anderem die Frage, aus welchen Quellen sich Hass und Verachtung speisen. "Der Mensch ist halt eine Sau", sagte Hartmut. Aber Hartmut irrt: Der Mensch mag notorisch überfordert, leicht entflammbar und ein elender Opportunist sein. Aber eine Sau ist er nicht. Den Mut freilich, sich seines eigenen Verstands auch zu bemächtigen, den braucht er schon. Der große Applaus am Ende zeigte, dass die Bamberger Erwin Pelzig darin verstanden haben.