Wuchtig inszeniertes Finale
Als emotional nicht weniger verkümmert präsentiert sich den Zuschauern die Raststättenbesitzerin Beate (Ursula Gumbsch). Tiefere Gefühle bringt sie nur einer Topfpflanze entgegen.
Seit ihr Zuhause einer Autobahn weichen musste, inszeniert sich Beate als Opfer des automobilen Generalkonsenses. Diesen sabotiert sie in der Maske einer zwar resoluten, aber arglosen Raststättenbesitzerin. Wie genau, das löst die Regie erst in dem mit großer Geste inszenierten Finale am Beispiel des Schadensermittlers Rolf auf. Der hatte sich zuvor in der Todeszone rund um die Raststätte eingerichtet, um Muster in den dort überproportional häufigen Unfällen zu suchen.
Die Verhältnisse und seine eigene Unfähigkeit, diesen Verhältnissen etwas entgegengegenzusetzen, haben Rolf vom Menschen zum Büromenschen erniedrigt. Valentin Bartzsch spielt ihn als neurotisches Nervenbündel, mit bewundernswerter Körperbeherrschung und Lust an der grellen Illustration von Ticks und Marotten.
In seinem Handschuhfach liegen Bilder von Wunden, die Unfälle dem Fleisch in den Dosen gerissen haben. Wer in "dosenfleisch" über Autos spricht, adressiert den Sex und die Begierde gleich mit. Die doppeldeutig intonierten Reden handeln von Verkehr und Gefühlsstau, von Verschmelzungsfan-tasien zwischen Mensch und Automobil. Als Rolf und Jayne sich küssen und ihr Lippenstift anschließend seinen kahlen Kopf ziert, ähneln diese Spuren Wunden. Auch Rolf ist jetzt ein Gezeichneter.
Ihr körperliches Aufeinandertreffen imaginieren der Schadensermittler und die von Alina Joers mit fiebriger Energie gespielte TV-Moderatorin konsequenterweise als Unfall.
Fleischsalat im Wrack
Die Engführung zwischen Sexualität, Auto und Unfall dockt motivgeschichtlich an David Cronenbergs "Crash" an. In seinem 1996 erschienenen Film erzählt Cronenberg von zivilisationsmüden Bewohnern der westlichen Hemisphäre. Ihre erkaltete Begierde bringen erst Autounfälle wieder zum Glühen.
Auch "dosenfleisch" deutet den Unfall als Vorschein eines neuen, endlich anderen Lebens: "Der Unfall kennt Tod oder Heilung nur." Wer überlebt, ist ein neuer Mensch. Weil er es sein kann. Weil er es sein muss. Auch Jayne lag als "Fleischsalat" in den Trümmern eines Automobils. "Mein Ich hat da im Fleischsalat die strenge Form verloren. Und ist man erstmal offiziell zu Bruch gegangen, sieht man die Vielheit da in sich, die Möglichkeiten."
Weil das Ensemble die Balance zwischen Komik und Zivilisationskritik durchweg hält, gelingt dem TiG ein furioses Stück über unsere Gegenwart.