Gutachter im Chefarzt-Prozess: Methadon im Blut der Hauptzeugin

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Am Morgen von Verhandlungstag Nummer 38 ahnte wohl keiner, dass es ein so langer und intensiver Prozesstag werden würde. Das Bild zeigt Verteidiger Dieter Widmann, Heinz W. und Verteidiger Klaus Bernsmann (von links). Foto: Ronald Rinklef
Am Morgen von Verhandlungstag Nummer 38 ahnte wohl keiner, dass es ein so langer und intensiver Prozesstag werden würde. Das Bild zeigt Verteidiger Dieter Widmann, Heinz W. und Verteidiger Klaus Bernsmann (von links). Foto: Ronald Rinklef

Turbulenter Start ins neue Jahr: Die Verteidigung des Angeklagten hielt nach drei Stunden Vernehmung einen Sachverständigen für befangen, die Mutter eines mutmaßlichen Opfers von Heinz W. äußerte ihren Unmut, und: Im Blut der Hauptzeugin wurde ein Opioid gefunden.

Es war ein Aspekt, der ganz zum Schluss noch für hochgezogene Augenbrauen sorgte - bei den wenigen Zuhörern, die an diesem langen Verhandlungstag bis zum Ende ausgeharrt hatten.

Rechtsanwalt Dieter Widmann, einer der drei Verteidiger des angeklagten Mediziners Heinz W., las aus dem Einzelbefund eines Sachverständigen vor. Der forensische Toxikologe vom Institut für Rechtsmedizin in Erlangen hatte unter anderem das Blut der Hauptzeugin untersucht, die das Missbrauchs-Verfahren gegen den ehemaligen Chefarzt am Klinikum ins Rollen gebracht hatte.

Wie sich gestern herausstellte, hatte der Fachmann aus der Rechtsmedizin in einer Probe der Hauptzeugin nicht nur sedierende Arzneistoffe festgestellt, sondern auch Methadon - ein synthetisch hergestelltes Opioid, das laut Verteidiger Widmann als Ersatzmedikament für Heroinabhängige verwendet wird und zu Ausfallerscheinungen führen könne.

Dazu äußerte sich Jürgen Scholl kurz nach der Verhandlung - der Rechtsanwalt, der die Hauptzeugin vertritt. Sie ist das einzige von W.s mutmaßlichen Opfern, in dessen Blut ein Betäubungsmittel nachgewiesen werden konnte. Und nun offenbar eine weitere Substanz. Scholl sagte klar: "Ich kann heute nicht erklären, wie dieser Wert da rein kommt."

In den drei Einzelbefunden gebe es nur einen positiven Wert für Methadon, "bei den beiden anderen Screenings waren die Werte negativ". Es sei unerlässlich, erneut "den Untersuchenden aus der Rechtsmedizin dazu zu befragen. Ich gehe davon aus, dass es sich erklären lässt".

Hier wird es spannend: Denn genau dieser Fachmann war am selben Tag anwesend und den kompletten Vormittag vernommen worden. Er hatte seine Gutachten zu Blut-, Haar-, und Urinproben, unter anderem der Hauptzeugin, ausgeführt und Fragen zum Abbau von Stoffen sowie Messverfahren beantwortet. Am Ende stellte die Verteidigung von Heinz W. einen Ablehnungsantrag gegen den Sachverständigen wegen Befangenheit. "Seine Ausführungen und Gutachten lassen befürchten, dass er die Sachverständigen-Aufgabe nicht unvoreingenommen wahrgenommen hat", sagte Verteidiger Klaus Bernsmann.

Der Vater der Hauptzeugin hatte Blutproben seiner Tochter zunächst an ein anderes Labor und dann an den Wissenschaftler in Erlangen geschickt. Es sei zu klären gewesen, wann die Aufnahme des Beruhigungsmittels Midazolam erfolgt haben könnte, so der Fachmann vom rechtsmedizinischen Institut. In seinem ersten Gutachten war er zu dem Schluss gekommen, dass bei einer Gabe des Hypnotikums im möglichen Tatzeitraum die Symptome der Hauptzeugin "nachvollziehbar" wären. In seinen späteren - vom Gericht beauftragten - Gutachten sah der forensische Toxikologe diese erste Beurteilung bestätigt.

Die Verteidiger des ehemaligen Chefarztes der Gefäßchirurgie monierten unter anderem, dass der Erlanger Fachmann "auf eine von privater Seite genannte Zeit" eingehe, wie Klaus Bernsmann anmerkte. So folgte denn auch der Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen - auf dessen Einzelbefund sich die Verteidigung am Abend berief, als plötzlich der Stoff Methadon in einem Test auftauchte.
Ob und wann dieses "Screening" erneut eine Rolle spielen wird, ist offen. Der Prozess geht heute um 9 Uhr weiter, es sind wieder drei Zeugen geladen.

Gestern sagte - neben dem Chemiker aus Erlangen und einer Angestellten aus der Praxis des Vaters der Hauptzeugin - auch die Mutter einer ehemaligen Patientin von Heinz W. aus. Sie beschrieb die Erinnerungslücken ihrer Tochter nach einem Termin bei dem Mediziner und dass die zwei Frauen "total überrumpelt" waren, als W. plötzlich Fotos der Patientin gemacht hätte - ohne ihr Einverständnis.

Der Angeklagte selbst beschrieb Mutter und Tochter als "auffallend fehlinterpretierend" und warf zudem Rechtsanwalt Martin Reymann-Brauer - der sechs mutmaßliche Opfer vertritt - die "Vorspiegelung falscher Tatsachen" vor. Rechtsanwalt Jürgen Scholl warf W. entgegen: "Sie können nicht lesen, Sie können nicht rechnen und Sie können genauso wenig Lippenlesen." Vorausgegangen war eine Anmerkung Scholls, dass der Angeklagte mit den Lippen ein Schimpfwort geformt hätte.