Die "Mannequin-Challenge" ist der jüngste Trend im Internet: Die Videoclips von Menschen, die nur da stehen und nichts tun, werden millionenfach geklickt.
Mit dem Namen Park Jae-Sang können wohl die Allerwenigsten etwas anfangen, da klingelt es eher schon bei Psy. Der Groschen fällt spätestens mit dem Begriff "Gangnam Style": Der Tanz machte das zugehörige Lied und mit ihm Jae-Sang alias Psy über Nacht zum Weltstar. Das Gangnam-Style-Video wurde zum erfolgreichsten Musik-Clip aller Zeiten und ist eines der bemerkenswertesten Beispiele eines Internet-Phänomens.
Vom Grundsatz her war der Wirbel um Psys seltsame Bewegungen nichts Neues. Die Geschichte der populären Kultur kennt zahlreiche Beispiele von "Eintagsfliegen": Ein "One Hit Wonder" ist ein Lied, das zum Mega-Hit wird, ohne dass ihr Schöpfer oder Interpret darauf einen dauerhaften Erfolg aufbauen kann. Prominente Beispiele sind "San Francisco" von Scott McKenzie, "Streets of London" von Ralph McTell oder die österreichische Band Opus mit "Life is Life".
Geiz ist doch nicht blöd
So ist das Leben: Auch Mode-Trends kommen und gehen, nicht selten wiederholen sie sich, wobei es zwar Berührungspunkte mit den Hypes gibt, die im Internet entstehen, aber auch große Unterschiede: Modetrends werden oft gezielt erzeugt und gesteuert, von Marketingstrategen entworfen und mit allen Mitteln der Werbung gepusht. Manchmal werden Werbegags sogar zu einem gesellschaftlichen Trend, finden Eingang in die Alltagssprache. Beispiele sind "Geiz ist geil" oder "Ich bin doch nicht blöd", Werbesprüche großer Elektronik-Händler.
Im Gegensatz zu solchen geplanten Kampagnen (mit ihren bisweilen außerplanmäßigen Folgen) sind die großen gesellschaftlichen Trends und eben auch schnelle Internet-Phänomene "vom Grundsatz her nicht prognostizierbar", wie der bekannte Trendforscher Matthias Horx vom Zukunftsinstitut sagt. Könnte jemand Mega-Trends wie die Öko-Bewegung vorhersehen oder die Aufmerksamkeit, die ein Hype wie um die "Mannequin-Challenge" hervorruft: Es wäre eine Goldgrube.
Lawinen und Tsunamis
Grundsätzlich gilt: Das Internet hat den Hype nicht erfunden, aber die pausenlose und nahezu flächendeckende Verfügbarkeit elektronischer Medien und die Bedeutung der sozialen Netzwerke haben die Mechanik, die zu einem Hype führen kann, enorm beschleunigt. Der Erfolg des "Gangnam Style" 2012 oder, durchaus vergleichbar, von "Harlem Shake" 2013 fußt in erster Linie auf der rasend schnellen und weiten Verbreitung in den sozialen Netzwerken. Die Lieder und Tänze wurden nicht nur angeklickt, weiter empfohlen und an Freunde verschickt, sondern auch tausendfach nachgeahmt und viele dieser Kopien selbst wieder zu einem Hit im Netz. Während Zukunftsforscher Horx die Megatrends der Welt als "Lawine in Zeitlupe" beschreibt, trifft es bei den Hypes, die im Netz geboren werden, eher der Begriff Kettenreaktion - ein sich verselbstständigender Mechanismus, dessen Eigendynamik nicht mehr kontrollierbar ist.
Gut erforschtes Rätsel
Bis zu einem gewissen Punkt ist die Entstehung eines Trends gut erforscht und vielfach beschrieben. Marktforscher etwa kennen den "Hype-Zyklus", der 1995 in den USA erstmals beschrieben wurde. Er beschreibt die Phasen, die eine neue Technologie auf dem Markt erlebt: vom Auslöser über den "Gipfel der überzogenen Überwartungen" zum "Tal der Enttäuschungen" und schließlich Stabilisierung in der Phase der Produktivität. Das Schema lässt sich gut auf die meisten Trends übertragen - wenngleich die Schöpfer des Hype-Zyklus 1995 völlig daneben lagen, als sie ein baldiges Abflachen der Internet-Euphorie kommen sahen.
In einigen Punkten funktionieren Tech-Trends und Netz-Phänomene aber doch ganz unterschiedlich. Ein Hype im Internet ist in der Regel nicht auf Produktivität ausgelegt; bei der Entstehung spielen Zufälle eine Rolle, deren Zusammenwirken eher an die Chaos-Theorie erinnert als an Marktforschung und Soziologie. Und: Die wenigsten virtuellen Hypes "produzieren" tatsächlich Neues. Oft wird Altbekanntes, anders verpackt und in die Sprache der neuen Medien übersetzt, zum Trend.
Da war doch was ...
Die "Mannequin Challenge" ist ein schönes Beispiel. Obwohl es ein recht junger Trend ist, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit feststellen, wer als Erster die Idee hatte, Personengruppen, etwa Sportteams in ihren Umkleidekabinen, für Sekunden oder Minuten still stehen zu lassen, sie dabei zu filmen und die Clips auf Youtube oder anderen Video-Plattformen online hochzuladen.
Die "Standbilder" sind aktuell der Renner im Internet, vielleicht auch, weil sie das Erfolgskonzept von Youtube und Co. ironisch auf den Kopf stellen: Die schnellen
bewegten Bilder sind das Geschäftsmodell der virtuellen Leinwände. Auf Youtube werden in jeder Minute weltweit 400 Stunden Videomaterial hochgeladen - eine Bilderflut, die jeden überfordert. Das Video, auf dem sich gar nichts mehr bewegt, ist vielleicht der Gegentrend zum Megatrend.
Neu ist diese Ausdrucksform nicht. Lebende Statuen sind eine Kunstform der Pantomime, die von Straßenkünstlern praktiziert wird. Als "lebendes Bild" (Tableau vivant) wurde diese Darstellung Ende des 18. Jahrhunderts von Frankreich ausgehend zu einer Modewelle. In der Theaterkunst des 19. Jahrhunderts war das lebende Bild ein Stilmittel als Abschluss von Szenen oder des Stückes insgesamt. Bis heute stellen sich die Schauspieler, Artisten, Sänger oder Tänzer beim Schlussapplaus vor ihr Publikum, erst unbeweglich, dann mit der gemeinsamen Verbeugung (Kompliment).
Es lebe der Moonwalk!
Es gibt also gar nicht so viel Neues im Netz, wenn man die populären Phänomene einmal genauer anschaut. Ein alter Hut ist auch das Selfie, das es so schon in der Frühzeit der Fotografie gab und das immer zur Fotografie gehörte, zur analogen ebenso wie zur digitalen, nur eben mit einem etwas sperrigeren Begriff: Mit "Selbstauslöser" lässt sich kein Hype auslösen.
Anders herum gedacht mag man sich gar nicht ausmalen, wie bestimmte Moden aus der Zeit vor dem Siegeszug des Internets mit den heutigen technischen Möglichkeiten durch die Decke gegangen wären. Michael Jacksons Album "Thriller" wurde seit 1982 mindestens 65 Millionen Mal verkauft, öfter als jede andere Platte.
Jacksons legendärer Moonwalk, der Tanz zur Musik, wurde ohne Internet zum Welterfolg. Und langlebiger als Psy und viele andere Eintagsfliegen ist Michael Jackson überdies. Denn der nächste Hype, der die aktuellen verdrängt, kommt bestimmt, und die Halbwertszeit wird immer kürzer!
Bekannte Hypes
Selfie Das Selbstporträt vor dem Hintergrund mehr oder weniger bekannter Kulissen oder mit Promis wurde durch den Siegeszug der mit Kameras bestückten Smartphones zum Trend: Foto machen und sofort in sozialen Netzwerken hochladen: Alle können sehen, dass ich gerade in Rom bin. Das Startsignal für den anhaltenden Selfie-Hype setzten Fotos von der Oscar-Nacht 2014.
Flashmob Das sinnfreie, mehr oder weniger spontane Zusammentreffen einer größeren Menschenmenge wurde 2003 in New York erfunden und schwappte rasch nach Europa. Nach einigen Aktionen, die große Aufmerksamkeit erregten, flachte Welle wieder ab. Ab 2007 belebten unter anderem die Gewerkschaften den Flashmob wieder, um Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Kalte Dusche Die Ice Bucket Challenge (Eiskübelherausforderung) war eine als Spendenkampagne gedachte Aktion im Sommer 2014, die vor allem im Internet Wogen schlug. Sie sollte auf die Nervenkrankheit ALS aufmerksam machen und Spendengelder sammeln. Die Herausforderung bestand darin, sich einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf zu gießen und drei oder mehr Personen zu nominieren, es einem binnen 24 Stunden gleichzutun, sowie 10 Dollar oder Euro an die ALS Association zu spenden. Der genaue Ursprung der Aktion ist unbekannt, der Hype verging sehr schnell.
Gangnam Style Das Lied des südkoreanischen Musikers Psy (Park Jae-Sang) und vor allem der Tanz dazu waren eines der erfolgreichsten Internet-Phänomene der letzten Jahre. Wie beim Harlem-Shake potenzierte sich die Bekanntheit durch die Verbreitung in den sozialen Netzwerken und durch die zahlreichen Nachahmer.
Crumpy Cat Die mürrisch dreinblickende Katze aus Arizona eroberte 2012 das Internet und ist ein Beispiel dafür, wie sich mit millionenfach angeklickten Bildern ein Geschäft machen lässt: Grumpy Cat ist seit 2013 eine Marke, wird von einer eigenen Firma vertreten.
Biernominierung Das vermutlich im trinkfesten Australien entstandene "Spiel" mit den harmlosen Namen (Social Beer Game) fordert vom Teilnehmer, ein Glas Bier "auf ex" zu leeren, sich dabei selbst zu filmen und Mitstreiter zu suchen, die das gleiche "Kunststück" vollbringen. Wegen der Verleitung zu exzessivem Alkoholkonsum (statt zum Bier greifen manche Spieler zu Hochprozentigem) und mehrerer Todesfälle ist dieser Hype umstritten.