Fazit: 25 Jahre offene Behindertenarbeit

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Michael Hemm, Leiter der Offenen Behindertenarbeit der Lebenshilfe Bamberg, mit dem neuen Jahreskalender. Foto: Ronny Ströhlein
Michael Hemm, Leiter der Offenen Behindertenarbeit der Lebenshilfe Bamberg, mit dem neuen Jahreskalender. Foto: Ronny Ströhlein

Ein Kulturmarathon endet mit dem Jubiläumsjahr der Offenen Behindertenarbeit: "25 Jahre OBA" feierte man in Bamberg 2012. Ein Fazit zog Michael Hemm als Leiter, der mit dem Erfolg auch viele Hoffnungen verbindet.

Zahllose Kulturveranstaltungen lenkten ein Jahr lang den Fokus auf Stärken von Menschen, deren Schwächen sonst im Blickpunkt stehen. Auf der Bühne präsentierten sich Theaterspieler, Models, Künstler und Musiker mit Behinderung - beklatscht von einem breit gefächerten Publikum. Gelingt es über derartige Festivals aber tatsächlich, Ressentiments abzubauen, die sich in unserer Gesellschaft mit jeder Form von Nonkonformität, ja Andersartigkeit verbinden? Wir sprachen mit Michael Hemm als Leiter der Offenen Behindertenarbeit der Lebenshilfe Bamberg.

inFranken: Mit der Vorstellung eines Kalenders begann das Jubiläumsjahr, das mit der Vorstellung eines weiteren endet. Welche Momente dazwischen werden Sie nie vergessen?

Michael Hemm: Mich persönlich faszinierten die Theatervorstellungen - insbesondere die Aufführung des Berliner Ensembles "Ramba Zamba". Es beeindruckte mich, wie professionell Schauspieler mit Down Syndrom und einer ganz eigenen künstlerischen Art das Zweieinhalb-Stunden-Stück "Mongopolis" auf die Bühne brachten - nachdenklich, voller Humor und künstlerischem Anspruch. Der beste Beleg dafür, welche Potenziale in Menschen mit Behinderung schlummern. Über die Schauspieler von "Thikwa" und "Ramba Zamba" erkannte ich auch, welch starke Persönlichkeiten sich durch professionelle Arbeit entwickeln. In keiner Weise trifft hier mehr das Klischee der Unselbstständigkeit.

inFranken: Gelang es demnach, Menschen mit Behinderung "aus anderer Sicht" im Sinne der Filmreihe zu zeigen?

Michael Hemm: Ja, die Filmreihe schilderte das Leben mit Behinderung aus verschiedensten Blickwinkeln, während die Ausstellung "Big Bam Boom" diverse Facetten der "Outsider Art" beleuchtete. Im musikalischen Bereich zeigten die preisgekrönten integrativen Bands "Seeside" und "Bitte Lächeln" auf der Jahnwiese ihr Können als Interpreten und Songwriter. Was die OBA-Protagonisten betrifft, wurde übrigens gerade die Modenschau auf der Landesgartenschau von einer riesigen Zuschauermenge gefeiert. Und "Vom Augenmaß überwältigt" bewies, dass sich unsere Bamberger Theatergruppe vor großen Berliner Produktionen nicht verstecken muss.


Viel Diskussionsstoff



inFranken: Kritisierte 2012 keiner, dass Menschen mit Behinderung verstärkt ins Rampenlicht drängten?

Michael Hemm: Viele Menschen gingen mit einer gewissen Skepsis in Vorstellungen, wie sie uns später berichteten. Danach aber zeigten auch sie sich restlos begeistert, gerade weil diese Zuschauer nie zuvor derart viele Anregungen und Diskussionsstoff mit nach Hause nahmen. Die Resonanz übertraf generell unsere Erwartungen bei Weitem, nachdem alle Veranstaltungen im E.T.A.-Hoffmann-Theater ausverkauft, Kunstausstellungen und unser Rockfestival sehr gut besucht waren. Von vielen kam schließlich der Wunsch, öfter diese besondere Form der Kultur nach Bamberg zu bringen. So gelang es, Kunst und Kultur von Menschen mit Behinderung vom Rand der Gesellschaft in die Mitte zu tragen.


Auch Skeptiker erreicht



inFranken: Erreichte man aber auch jene, die hinter vorgehaltener Hand Ressentiments pflegen? Die lieber das Restaurant wechseln, als neben Menschen mit Down-Syndrom Platz zu nehmen?

Michael Hemm: Wie unsere Gesellschaft Menschen mit Behinderung im Alltag behandelt, steht auf einem anderen Blatt. Trotz UN-Behindertenrechtskonvention und dem Inklusionsgedanken leben Betroffene ja weiterhin in Sondereinrichtungen, so dass ein Miteinander kaum stattfindet. Ressentiments liegen daher vor allem in einer zögerlichen Öffnung und entsprechenden Umgestaltung struktureller Bedingungen (Kindergarten, Schule, Beruf und Vereine) begründet.

inFranken: Selten zuvor hatten sicher auch Theaterspieler, Musiker und Models der OBA ein so großes Publikum. Was zogen sie aus dem Jubiläumsjahr?

Michael Hemm: "Künstlerisch hochwertig", "eine Bereicherung der Kunst- und Kulturszene Bambergs", "gesellschaftspolitisch wichtig" - solche Sätze fielen unter Veranstaltungsbesuchern immer wieder. Bei den auftretenden Künstlern führte diese durchweg positive Kritik zu einem neuen Selbstbewusstsein. Das Bestreben, noch professioneller im Kunst- und Kulturbetrieb voranzukommen, stieg. Interessant übrigens auch die Resonanz etablierter Kulturschaffender. War bei der ersten Kontaktaufnahme noch eine gewisse Skepsis in Richtung "was haben Menschen mit Behinderung denn mit Kunst und Kultur zu tun" zu spüren, so gewannen wir durch unsere Kulturreihe bald einen großen Unterstützerkreis - vor allem am E.T.A.-Hoffmann-Theater (hier unser ausdrücklicher Dank), in dem ja die meisten Veranstaltungen stattfanden.

inFranken: Alle Veranstaltungen rankten sich ums Jubiläum: "25 Jahre OBA". Was sind die entscheidendsten Veränderungen seit den Anfängen?

Michael Hemm: Aus dem kleinen Projekt "OBA" wurde in Trägerschaft der Lebenshilfe ein großer Dienstleistungsbetrieb mit einer Fülle an integrativen Freizeit- und Weiterbildungsangeboten, einer Beratungsstelle, dem Familienentlastenden Dienst. Angebote wurden ausgeweitet, die Finanzierung durch den Bezirk gesichert. Nach wie vor ist aber die Gefahr groß, dass man die OBA "nur" als Freizeit-Einrichtung sieht, zumal es schwieriger wird, ehrenamtliche Helfer zu gewinnen. So haben wir neue Angebote entwickelt, bei denen wir als Vermittler auftreten und Menschen mit Behinderung z. B. bei regulären Angeboten der VHS begleiten oder ihnen den Zugang zu einem regulären Theater-Abo für das E.T.A.-Hoffmann-Theater öffnen.


Politik ist gefordert


inFranken: Verband sich mit den strukturellen Entwicklungen ein gesellschaftlicher Bewusstseinswandel? Woran hapert es weiterhin?

Michael Hemm: Ich glaube, dass die Gesellschaft heute offen für ein Miteinander ist. Nur wurden die Strukturen für eine "normale" Begegnung im Alltag bislang nicht geschaffen. Hier sind Politiker gefordert, den Auftrag der Inklusion ernst zu nehmen und entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Menschen mit Beeinträchtigung rückt die gesellschaftlich gewollte Inklusion ja in ein neues Licht samt ihrem kreativen Potenzial. So hoffen wir auch auf eine finanzielle Neustrukturierung der Unterstützung, die Kunst- und Kulturaufgaben verstärkt einschließt. Schließlich gilt es, die soziale Integration und uneingeschränkte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen gesellschaftlichen Bereichen umzusetzen, was nicht nur Aufgabe der Behindertenverbände sein darf. Wir alle sind dafür verantwortlich, Entwicklungen aufzubauen, um Kontakte zwischen Menschen mit und ohne Behinderung leben zu lassen.

inFranken: Was sonst erhoffen Sie für die OBA in den kommenden 25 Jahren?

Michael Hemm: Im Bereich der Bildenden Künste träumen wir von einem großen Atelier, in dem Künstler mit und ohne Behinderung gemeinsam arbeiten, gemeinsam ausstellen. Für unsere Theatergruppe, die jetzt übrigens "Tobak - Theater der OBA-Klasse" heißt, wünschen wir uns professionellere Probemöglichkeiten. So wollen wir das integrative Freizeit- und Weiterbildungsprogramm im künstlerischen Bereich ausbauen, um kreativen Menschen mit Behinderung bessere Möglichkeiten zu geben, Fähigkeiten zu entwickeln und - warum nicht auch - beruflich zu nutzen.