Sanitäter, Floriansjünger, Notärzte sowieso - sie alle sind Experten. Um in Notsituationen zu helfen, muss man aber gar kein Profi sein.
Ihre Botschaft ist eindeutig: Anhalten! Der Rest läuft wie von selbst. Der Körper funktioniert. Katrina Lutz würde nicht lange darüber nachdenken, ob sie bei einem Unfall helfen kann oder nicht. "Es bleibt überhaupt keine Zeit, nachzudenken", erklärt die 35-Jährige. Anhalten, fragen, ob noch Hilfe gebraucht wird, das könne von beinahe jedem verlangt werden. Geschehen - und somit nicht mehr nur ein Was-wäre-wenn-Szenario - an einem Sonntag Ende Juni dieses Jahres.
Die 36-Jährige fährt gegen sechs Uhr früh in Richtung Gutenbergstraße, will die Autobahnausfahrt in Richtung
Bamberg gerade nehmen. Dann herrscht auf einmal Chaos auf der Fahrbahn. Splitter, Teile des Cabriolet-Daches und ein Wagen, der sich in eine Leitplanke geschraubt hat. Der Unfall taucht später auch im Polizeibericht auf.
Was nur selten in Berichten zu lesen ist: Was noch vor dem Einsatz der Sanitäter an der Unfallstelle abgelaufen ist. An diesem einen Morgen im Juni waren es eine Gruppe junger Nachtschwärmer und Katrina Lutz. Ein weiterer Mann hat auch noch gehalten, den Notarzt gerufen und ist dann weitergedüst. Keine Zeit. Es blieb in diesem Augenblick auch keine Zeit, darüber den Kopf zu schütteln. Zumal er immerhin angehalten hat: "Wahnsinn, wie viele vorbeigefahren sind", erinnert sich Lutz.
Sich selbst schützen
Als sie ihr Auto abgestellt hat, ging alles ganz schnell. Sie überlegte nicht viel. Wenige Minuten vor ihr haben bereits einige junge Leute gehalten - gerade auf dem Heimweg ihres nächtlichen Nürnberg-Ausfluges, übermüdet, aber nicht müde, sich vor der Verantwortung zu drücken. Von jetzt an wird zusammengearbeitet.
Das Erste , was Lutz aufgefallen war: Der Beifahrer im Unfallwagen blutete immer noch stark am Kopf. Die anderen Ersthelfer hatten bereits versucht, die Blutung zu stillen, dann ging ihnen das Material aus. Mithilfe des zweiten Verbandskastens konnte die Wunde aber schließlich für den ersten Moment versorgt werden.
"Es blutet, also muss man schauen, dass es aufhört", sagt Lutz. Ihr Handeln war in diesen Sekunden eine Schlussfolgerung aus dem, was eigentlich jedem bewusst sein sollte. Sicherlich, vor ihrer Führerscheinprüfung, da hat sie damals auch einen Erste-Hilfe-Kurs besucht. Aber seitdem eben nicht mehr.
Die 35-Jährige und zweifache Mutter erklärt sich das ein Stückweit so: "Schon im Kindergarten lernen wir, wenn jemand hinfällt, musst du ihm helfen."
Der Unfallfahrer habe immer wieder nur ein Wort gesagt: Laster. "Er stand völlig unter Schock", sagt Lutz.
Auch für diese Diagnose braucht niemand eine besondere, langjährige medizinische Ausbildung. Lutz holte eine Decke aus ihrem Wagen und legte sie dem jungen Mann um. Versuchte ihn zu beruhigen.
Danach ging es um die Frage: Geht es den Ersthelfern gut? Auch hier muss man auf sich gegenseitig Acht geben, so ihre Erfahrung. Relativ gesehen sind es nur wenige Minuten bis zum Eintreffen des Rettungswagens. Für die Helfer vor Ort ist es eine nicht einschätzbare Zeit. Immer wieder überprüfen sie, wie es dem eingeklemmten Beifahrer geht. Und dann sind die Profis vor Ort. Die Personalien der Ersthelfer werden noch aufgenommen, die Verantwortung wird ihnen ab nun abgenommen. Eine Dankesrede vor Ort gab es nicht. Warum auch, eigentlich ist das Helfen ja selbstverständlich. Mal, damit es einem anderen Körper möglichst schnell wieder besser geht, mal, damit der Mensch überhaupt überlebt.
Als Heldin hat sich Lutz danach nicht gefühlt. Eine Heldin war sie aber für ihre Kinder, die dank ihrer Mutter von klein auf lernen, was es bedeutet, Erste Hilfe zu leisten.
Lernen, ihre Erste-Hilfe-Kenntnisse vertiefen, das will Lutz nach diesem Morgen auch. Zum Beispiel, ob eine Herz-Lungen-Wiederbelebung im Sitzen auch funktionieren kann. Sie könnte jederzeit wieder in eine Situation im Alltag geraten.
Bei der ersten "Ersten Hilfe" sollte es nicht bleiben
Platzwunden, gebrochene Knochen, eingeklemmte Körperteile - Verletzungen, die Erste Hilfe erfordern, können auch kleiner, unspektakulärer sein. Nicht nur bei Verkehrsunfällen sind Menschen in ihrer Verantwortung gefragt, anderen in Notsituationen beizustehen.
Deshalb findet Dieter Schmitt: "Erste Hilfe ist einfach umzusetzen." Er selbst ist Experte, bildet beim Bayerischen Roten Kreuz in Bamberg Menschen in Erster Hilfe aus. Was ihn dazu bewegt, zu sagen, Erste Hilfe ist einfach umzusetzen, ist die Tatsache, dass die Notfallsituationen unterschiedlich ablaufen können. "Wenn man selbst keine Erste Hilfe leisten kann, kann man immerhin den Notruf absetzen." Erster Aspekt. Schmitt macht an einem Beispiel deutlich, dass Erste Hilfe nicht gleich etwas mit stabiler Seitenlage zu tun haben muss. Denn jemandem die Hand geben, sich zu ihm runter zu beugen, in die Knie zu gehen, ihm zu signalisieren: "Ich lass' dich nicht alleine", auch das bedeutet für ihn helfen.
Für Schmitt ist das "ein entscheidender Moment in der Ersten Hilfe".
Den peinlichen Moment nehmen
Er erklärt die Wirkung dieser Art von Hilfe an folgendem Szenario: In einem Kaufhaus stürzt ein Passant auf einer Rolltreppe, erwischt vielleicht die letzte Stufe falsch, stürzt, bleibt erst mal liegen, weil er nicht mehr auftreten kann. Um ihn herum bildet sich eine Traube Menschen. Was passiert? Der Kreislauf spielt zusätzlich verrückt. Sein Tipp: Dafür sorgen, dass die Menschen weiterlaufen, sich mit dem Verletzten umdrehen, damit er nicht mehr die neugierigen Blicke sieht, ihn ablenken. Diese Hilfe hat mehr etwas mit menschlichem Feingefühl als einem professionellen Verbandanlegen zu tun, kann dafür aber einen weiteren Gesundheitsaspekt - einen stabilen Kreislauf - bedeuten.
Obwohl für Schmitt Erste Hilfe relativ einfach und vor allem schnell erlernbar ist, so weiß er: "Die Hemmschwelle ist hoch." Doch nicht helfen, aus Angst etwas falsch zu machen, sollte nicht die Konsequenz sein. Konsequenzen hat es laut deutschem Recht, wenn man nicht hilft:
Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. So steht es im Paragrafen 323 c des Strafgesetzbuches in Deutschland.
Befehlen kann zwar weder das BRK noch eine andere Organisation Erste-Hilfe-Kurse, wünschenswert wäre es aber, alle paar Jahre das Gelernte aufzufrischen.
Denn so wie sich die Notfallmedizin verändere, entwickele sich die Erste Hilfe - sozusagen ein Ableger davon - weiter: "Handhabungen werden einfacher", erklärt Schmitt.
Laut einer europaweiten Umfrage vom ADAC und Rotem Kreuz (2013) trauen sich von 200 in Deutschland befragten Autofahrern 13 Prozent nicht zu, im Ernstfall Erste Hilfe leisten zu können. Etwa 14 Prozent waren unschlüssig. Das bedeutet immerhin, dass fast drei Viertel der Befragten in der Theorie das Selbstverständnis der Ersten Hilfe und das Selbstbewusstsein zeigen. Andererseits beklagt die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, dass nur 18 Prozent bei einem Herzinfarkt mit Wiederbelebungsmaßnahmen beginnen würden. Unabhängig von Zahlen: Schmitt findet, fast jeder kann sich mit Erster Hilfe auseinandersetzen, beim BRK gibt es schon Juniorhelfer. Deshalb zählt er gleich Termine auf, die demnächst stattfinden.
Daran scheitert es nämlich nicht.
Ersthelfer-Eselsbrücken
Wie war das jetzt nochmal? Wie oft muss ich drücken? Wo finde ich den Erste-Hilfe-Kasten im Auto? Aus Sorge, falsch zu handeln, p assiert es immer wieder, dass gar nicht - oder viel zu langsam - reagiert wird.
Dabei kommt es in Ernstfällen auf die Beherzigung der Maxime "Jede Sekunde zählt!" an. Und: Jeder Führerscheinbesitzer saß in seinem Leben bereits in einem Erste-Hilfe-Kurs.
- Atemlos Leben retten: Wie oft muss man als Ersthelfer bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung drücken? Die Anfängerregel, die bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung gilt: Im Ernstfall lieber häufiger drücken und das Beatmen weglassen, als gar nichts tun und wertvolle Lebenszeit zu verlieren. Im Lauf der Jahre hat sich die Formel immer wieder verändert.
Mittlerweile gilt: 30-mal drücken, zweimal beatmen.
Wer sich unsicher mit dem Beatmen ist, soll drücken - zwischen 100 und 120 Mal pro Minute, zweimal in der Sekunde also. Der eine oder andere Hit kann dabei unterstützen: Beispielsweise der Takt von "Stayin' Alive" von den Bee Gees oder "Atemlos" von Helene Fischer.
- Wer die W-Fragen immer mal wieder im Kopf durchgeht, ist im Ernstfall nicht überrascht, wenn die Mitarbeiter der Notrufzentrale einiges von einem wissen wollen. Vier der wichtigsten Informationen sind: Wo ist der Unfall passiert? Was ist (vermutlich) geschehen? Wie viele Personen sind verletzt? Welche Verletzungen oder Symptome können Sie feststellen? Damit sind schon jede Menge Informationen abgedeckt - wichtig ist trotzdem: Nicht gleich wieder auflegen, es könnten Nachfragen kommen.
- HELD sein: Hinter jedem Buchstaben verbirgt sich eine Anweisung für den Notfall.
Held sein geht wie folgt:
Hilfe holen, den Verletzten
ermutigen, ansprechen, ihn trösten und sich kurz vorstellen. Im nächsten Schritt sollen die
lebenswichtigen Maßnahmen überprüft werden, sprich - ist der Verletzte bei Bewusstsein, atmet er noch? Sollte der Patient instabil sein: Sofort in die stabile Seitenlage drehen oder sogar mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung beginnen und Blutungen stoppen. Danach gilt:
Decke unterlegen oder den Verletzten zudecken, Verletzte kühlen schnell aus - auch im Sommer. Eine Rettungsdecke liegt in jedem Verbandskasten.
- PECH-Regel anwenden: Wer stürzt oder beim Laufen umknickt, hat in diesem Moment auch ein bisschen Pech. Ein Wissenschaftler hat diesen Begriff noch anders geprägt:
Pause, Eis, Compression (Druckverband), Hochlegen.
Vor allem das "P" sei wichtig, um mögliche innere Verletzungen zu verhindern. Durch den Druckverband können Schwellungen verhindert werden. Beim Hochlagern gilt die Faustregel: am besten über Herzhöhe.
Online listet das Deutsche Rote Kreuz unter anderem alle Termine in Wohnortnähe auf und beschreibt auch unter
drk.de/hilfe-in-deutschland/erste-hilfe/ wichtige Erste-Hilfe-Maßnahmen.
Hier wäre auch mal ein Hinweis gut gewesen auf die mobilen Defibrilatoren und die App Bamberg schockt.
Könnte im Ernstfall sehr viel helfen.