Die Judenschule wird gerettet

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Noch ist der ehemalige Unterrichtsraum der ehemaligen Hirschaider Judenschule eine Rumpelkammer. In eine Dokumentationsstätte verwandelt, wird er Zeugnis ablegen vom einst friedlichen Nebeneinander der christlichen und jüdischen Bevölkerung. Fotos: Werner Baier
Noch ist der ehemalige Unterrichtsraum der ehemaligen Hirschaider Judenschule eine Rumpelkammer. In eine Dokumentationsstätte verwandelt, wird er Zeugnis ablegen vom einst friedlichen Nebeneinander der christlichen und jüdischen Bevölkerung.  Fotos: Werner Baier
Heimatpflegerin Annette Schäfer mit einem Kerzenleuchter aus dem Besitz einer jüdischen Familie Hirschaids. Im Heimatmuseum der Marktgemeinde finden sich eine Reihe von Erinnerungsstücken an die Hirschaider Juden.
Heimatpflegerin Annette Schäfer mit einem Kerzenleuchter aus dem Besitz einer jüdischen Familie Hirschaids. Im Heimatmuseum der Marktgemeinde finden sich eine Reihe von Erinnerungsstücken an die Hirschaider Juden.
 

Der Marktgemeinderat Hirschaid entscheidet sich mit klarer Mehrheit für den Erhalt eines historisch bedeutsamen Baudenkmals an der Nürnberger Straße. Es soll künftig an jüdisches Leben im Ort erinnern.

Abgesehen von Sakralbauten ist die Marktgemeinde arm an historischem Kulturgut. Da gilt es zu retten, was zu retten ist. Auf diesen Umstand machte Bürgermeister Andreas Schlund (CSU) aufmerksam, als nach langer Vorbereitung der Grundsatzbeschluss zu fassen war, die ehemalige "Judenschule" an der Nürnberger Straße in ein Dokumentationszentrum zu verwandeln. Mit 15:5 stimmte der Marktgemeinderat in derletzten Sitzung der am 30. April zu Ende gehenden Amtsperiode dafür, das auf 850.000 Euro geschätzte Projekt anzupacken.

Zuvor hatte der künftige Bürgermeister Klaus Homann (CSU) dafür geworben, von der abermals gewünschten Vertagung abzusehen. Man könne im neuen Gemeinderat nicht wieder von vorne anfangen.
Zudem hat Homann an einem runden Tisch zu diesem Projekt, im Kreise von Behördenvertretern und hochrangigen Experten, kürzlich die Erkenntnis gewonnen, dass Hirschaid bei hoher Förderung gar nicht umhin kommt, das frühere Bauernhaus mit seiner späteren jüdisch-kulturellen Nutzung der Nachwelt zu erhalten. Vor zwei Jahren sei man noch von anderen Voraussetzungen ausgegangen.


Abriss undenkbar

Das Landratsamt - Untere Denkmalbehörde - machte der Marktgemeinde klar, dass die Sanierung des unter Denkmalschutz stehenden Gehöfts mit Bauelementen aus dem frühen 16. Jahrhundert unumgänglich sei und alsbald gefordert werde. An einen Abriss des von vielen Ortsbewohnern als Schandfleck empfundenen Ensembles sei überhaupt nicht zu denken.

Der für die Religion- und Elementarschule der jüdischen Kinder errichtete und erhalten gebliebene Schulraum verhelfe dem Objekt zu einem Alleinstellungsmerkmal, ergänzte Bürgermeister Schlund. Hinzu kommt in einem Anbau eine Mikwe, die das rituelle Leben der Juden in Hirschaid belegt.

Nachdem von der ehemaligen Synagoge der Hirschaider Landjuden auf der anderen Straßenseite nur noch ein Gedenkstein zeugt, bietet sich mit dem Projekt Judenschule die Chance, der nachwachsenden Generation das einst friedliche Nebeneinander von Christen und Juden in Hirschaid erlebbar zu machen. Von den drei letzten jüdischen Bewohnern des Hauses sind Fotos für die Auswanderungspässe aufgespürt worden. Dem Vorsänger und Religionsführer David Kahn, seiner Frau Curry und der 1931 geborenen Tochter Frieda gelang die Flucht jedoch nicht. Die kleine Familie wurde von den Nazis nach Polen deportiert und ermordet. Inzwischen hat die Gemeinde zur Erinnerung an die Kahns Stolpersteine in den Gehsteig einmauern lassen.

Das Dokumentationszentrum Judenschule Hirschaid ist den öffentlichen Förderstellen einiges Wert: Bürgermeister Schlund bezifferte die Zuschüsse aus Städtebauförderung, Denkmalpflege, Oberfrankenstiftung u. a. mit 80 Prozent. Für die Innenausstattung, die mit weiteren 70 000 Euro zu Buche schlagen wird, soll es aus der EU-Leader-Förderung 60 Prozent Zuschuss geben. Alles in allem komme Hirschaid auf diese Weise günstiger davon als bei einer reinen Sanierung des ehemaligen Bauernhauses, erklärte Schlund. Diese werde mit 400.000 bis 500.000 Euro veranschlagt. Sie würde aber nur marginal aus Denkmalpflegemitteln gefördert werden.


Flammender Appell

Bei all den Argumenten sahen etwa Cäcilie Göller (CSU) und Albert Deml (ökologische Liste) keine Alternative zur Errichtung eines Dokumentationszentrums Judenschule. Andererseits konnten sich Dr. Josef Haas (SPD), Kilian Prell (FW) und Jürgen Burkhard (FW) wegen der hohen Investition-, Grunderwerbs- und Folgekosten nicht mit dem Vorhaben anfreunden. Schließlich richtete die Zweite Bürgermeisterin Romana Gensel (FW) einen flammenden Aufruf an den Marktgemeinderat. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Anne-Frank-Ausstellung forderte Gensel: "Wir müssen zu unserer Vergangenheit stehen und diese Dokumentationsstätte schaffen!" Sie bat um den Mut, hier ein Zeichen zu setzen, denn es könne nicht sein, nach 18-jährigem Bemühen um das Gebäude die Entscheidung weiter vor sich herzuschieben.

Die Kreisheimatpflegerin und Geschäftsführerin der Kunst- und Kulturbühne Hirschaid, Annette Schäfer, erläuterte das mit der Landesstelle für nichtstaatliche Museen abgestimmte Nutzungskonzept. Zielgruppen seien Schüler und Jugendliche, Ortsbewohner und Touristen sowie die Besucher anderer thematisch anknüpfender Einrichtungen (Levi-Strauß-Museum in Buttenheim, Jüdisches Museum Fürth, Synagoge in Bamberg). Erlebbar werden sollen die jüdische Religions- und Elementarschule, das historische Gebäude und das rituelle Reinigungsbad. Fotografien, Dokumente, am Ort gesicherte Exponate sowie Interviews mit Zeitzeugen und Berichte von ausgewanderten Juden sollen an die Bewohner des Hauses und die Jüdische Gemeinde von Hirschaid erinnern. Architekt Gerhard Plaß stellte einen Planungsentwurf für ein im Aufwand eher bescheidenes Dokumentationszentrum vor. Die Konzepte zur Verwirklichung des Vorhabens wurden mehrheitlich gebilligt. Damit kommt ein erstes "Leuchtturmprojekt" aus dem Gemeindeentwicklungskonzept in Gang.

Ein sichtlich erleichterter Bürgermeister Schlund machte dem Gemeinderat Mut, sich durch gegenläufige Stammtischparolen nicht irritieren zu lassen.