Die Bamberger Stern-Zeit-Maschine

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Forscher hinterm Mond: Heber zeigt eine der ältesten Platten des Bamberger Archivs, geschätzte 100 Jahre alt. Die Mondkrater sind gut zu erkennen - auch wenn Raumsonden heute viel genauere Daten liefern. Fotos: Matthias Hoch
Forscher hinterm Mond: Heber zeigt eine der ältesten Platten des Bamberger Archivs, geschätzte 100 Jahre alt. Die Mondkrater sind gut zu erkennen - auch wenn Raumsonden heute viel genauere Daten liefern. Fotos: Matthias Hoch
Heinz Edelmann vorm Archiv der Sterne
Heinz Edelmann vorm Archiv der Sterne
 
Heinz Edelmann erklärt, wie mit jeder Linse dieser Weitwinkelkamera ein Himmelsbild aus einer anderen Perspektive aufgenommen wurde - nicht auf Film, sondern auf Glasplattennegative.
Heinz Edelmann erklärt, wie mit jeder Linse dieser Weitwinkelkamera  ein Himmelsbild aus einer anderen Perspektive aufgenommen wurde -  nicht auf Film, sondern  auf Glasplattennegative.
 
Informationen zu den Fotoplatten trugen die Astronomen in Bücher ein: Aufnahmezeit, Position, auffällige Objekte und Vergleichsdaten aus der Zeit, als der Himmel mit dem Auge vermessen wurde.
Informationen  zu  den Fotoplatten trugen die Astronomen  in Bücher ein: Aufnahmezeit, Position, auffällige Objekte und Vergleichsdaten  aus der  Zeit, als der Himmel mit dem Auge vermessen wurde.
 
Jeder Punkt ein Stern
Jeder  Punkt ein Stern
 
Durchs Okular des Blinkkomparators kann Ulrich Heber zwei Fotoplatten vergleichen, auf denen das gleiche Himmelsfeld zu verschiedenen Zeitpunkten zu sehen ist.
Durchs Okular des Blinkkomparators kann Ulrich Heber zwei Fotoplatten  vergleichen, auf denen das gleiche Himmelsfeld zu verschiedenen Zeitpunkten zu sehen ist.
 

Auf 40 000 gläsernen Fotoplatten der Sternwarte Bamberg ist die Vergangenheit des Himmels festgehalten. Manche sind fast 100 Jahre alt.

Südafrika, irgendwann in den 1960ern: Ein Astronom starrt in den klaren Nachthimmel über Boyden, wartet, dass sich die Sterne als helle Punkte in die Fotoplatte in der Weitwinkelkamera einbrennen. Eine Stunde muss er das Negativ belichten, das Ganze entwickeln und im Chemikalienbad fixieren.  Nachtschicht. Wie immer.   Erst wenn stapelweise Platten belichtet sind, werden sie verpackt und zum Schiff gebracht. Zurück nach Bamberg.
Etwa 60 Jahre später: Der Direktor der Bamberger Remeis-Sternwarte steht vor zwei der alten Glasplatten. Sie stecken im Blinkkomparator, denn Ulrich Heber will zeigen, wie seine Kollegen früher den Himmel über Südafrika auswerteten. Er dreht an einem Hebel der industriegrauen 60er-Jahre-Apparatur. "Eigentlich", der Professor runzelt die Stirn, während er durch das Okular guckt, "sollte hier etwas aufblitzen."

Die Fotoplatten wurden 1963 und 1967  im gleichen Himmelsfeld aufgenommen. Wird ein Klappspiegel im Blinkkomparator gedreht, sind die Platten abwechselnd im Okular zu sehen. Das Auge nimmt beim schnellen Hin- und Herschalten keinen Unterschied wahr - außer an dem Punkt, an dem auf einer Platte ein Stern ist und auf der anderen nicht. "Es scheint, als würde der Stern aufblinken." Zumindest sollte es so scheinen: Der Hebel hängt. Vorführeffekt. Meist steht der Blinkkomparator eben unbenutzt in der Ausstellung der Sternwarte.

Für die wissenschaftliche Arbeit wird Computertechnik genutzt: Heinz Edelmann wird die 40 000 Bamberger Fotoplatten digitalisieren und auswerten. Der 44-Jährige steht schweigend im Hintergrund, Heber zieht ihn ein wenig heran und stellt ihn als Leiter des Digitalisierungsprojektes vor. Edelmann hat nach seiner Promotion in Erlangen zwei Jahre an einem Observatorium in Austin, Texas, gearbeitet. Im September beginnt er mit der Arbeit an den Fotoplatten: Digitalisierung und Auswertung mit Astrometrie und Fotometrie, Abgleich der Informationen in einer Datenbank. Die Glasplatten müssen eingescannt werden, dafür sucht die Sternwarte derzeit noch einen Techniker.

Veränderliche Sterne gesucht

Edelmann wird die Helligkeit der Sterne vermessen, Abbildungsfehler der alten Kameras herausrechnen und die Computerprogramme so anpassen, dass vieles automatisch läuft. Mit einer Art elektronischem Blinkkomparator wird er unterschiedliche Aufnahmen aus demselben Himmelsfeld vergleichen, um Objekte zu finden, die sich im Lauf der Zeit verändern. Das kann verschiedene Ursachen haben. Bei dem Stern, der auf der Fotoplatte von 1967 fehlt, ist die Erklärung einfach: "Aus diesem Himmelsfeld haben wir viele Platten", sagt Heber. "Deshalb wissen wir, dass das ein pulsierender Stern ist. Er bläht sich auf, leuchtet hell und schrumpft wieder." Edelmann hofft, auch Asteroiden zu sichten. Es werden immer mehr "near earth objects" entdeckt, Gesteinsobjekte, die wie die Erde die Sonne umkreisen. "Oft sind sie so nah, dass man fürchtet, sie treffen die Erde." Mit den Beobachtungen aus verschiedenen Jahrzehnten kann die Flugbahn solcher Objekte genauer berechnet werden.
Auch einen Kandidaten für eine Supernova, einen explodierenden Stern, gibt es auf den Bamberger Platten. Entdeckt haben ihn Schüler des Dientzenhofer-Gymnasiums bei einer Projektarbeit - dafür bekamen sie im Mai den dritten Preis beim Bun deswettbewerb "Jugend forscht". Eine Supernova leuchtet nur für ein paar Tage. Dann ist sie weg. Nur die historischen Fotos belegen, dass hier einmal ein Stern war.

"Die Qualität der Daten ist mit heute nicht vergleichbar", sagt Heber. Sogar ein Amateur mit einer CCD-Astrofotokamera und einem Hobbyteleskop könne bessere Aufnahmen machen. "Aber wir können in der Zeit nicht zurück. Wir können heute keine Aufnahmen aus den 60ern machen." Um Veränderungen im All zu erkennen, braucht es aber Daten aus verschiedenen Zeiten. "In den Archiven der astronomischen Institute lagern viele Fotoplatten. Die ältesten sind über 100 Jahre alt. Das ist eine Zeitmaschine."

Deshalb müssen die Daten digitalisiert werden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert das Projekt der Sternwarte, einer Außenstelle der Universität Erlangen-Nürnberg; drei Jahre soll es dauern. Es ist eine Gemeinschaftsinitiative mit der Universität Hamburg und dem Astrophysikalischen Institut Potsdam.

Bamberg löst Harvard ab

Letztendlich geht es darum, alle astronomischen Fotoplatten der Welt irgendwann zusammenzuführen, um den Himmel verschiedener Epochen zu vergleichen. "Harvard hat 600 000 Fotoplatten. Die investieren Millionen in die Digitalisierung." Harvard hatte das Observatorium im südafrikanischen Boyden gegründet, sich aber in den 50ern zurückgezogen. "Ab 1962 arbeitete dort ein Konsortium aus Bamberg, Dublin und dem nordirischen Armagh." Die Himmelsbeobachtungen in der Stadt Bam berg selbst wurden eingestellt. "Zuviel Licht", sagt Heber. "Das Problem bestand eigentlich schon ab etwa 1900. Mit Verbreitung der Elektrizität wurde die Stadt immer heller. Das größte Problem ist die Dombeleuchtung."

Auf der Nordhalbkugel gab es sowieso genug Observatorien. Auf der Südhalbkugel nicht - deshalb sind die Bamberger Südhimmel-Aufnahmen für die Wissenschaft so wichtig. Als die Europäische Südsternwarte in Chile 1974 vollständig in Betrieb ging, wurden andere Beobachtungen überflüssig und Bamberg verließ Südafrika. "Als alles gesammelt war, lief das Forschungsprojekt aus." Aber die etwa 20 000 Platten aus Boyden sind einmalig. "Sie füllen die zeitliche Lücke: In den 60ern gab es sonst keine Überwachung des Südhimmels."