Heinz W. ist sich sicher: Gegen ihn wird Meinungsmache betrieben. Auch die Ermittlungsbehörden seien voreingenommen. Unterdessen fragt sich eine Mediziner-Kollegin: Warum haben Patientinnen nach einer Untersuchung beim Chef Gedächtnislücken?
Er spricht von "Medienhysterie". Von "Vorverurteilung". Von "Zeitungsenten". Heinz W., 50 Jahre alt, Gefäßspezialist und Angeklagter im sogenannten Chefarzt-Prozess. Der Mediziner ist nicht nur überzeugt, dass Staatsanwaltschaft und Polizei ihre Arbeit nicht ganz unvoreingenommen erledigen. Sondern auch, dass die Presse ganz bewusst Stimmung gegen ihn macht.
Sein Anwalt Dieter Widmann kündigte an, alle Berichte - von denen auch gleich zwei aus verschiedenen Zeitungen vorgelesen wurden - zu sammeln. Denn die Artikel würden bis heute die Wahrnehmung jener Frauen beeinflussen, die glauben, Opfer von Heinz W. geworden zu sein.
Zwölf Frauen sind es, an denen sich der ehemalige Chefarzt am Bamberger Klinikum vergangen haben soll. Dazu, so die Anklage, hat er die Frauen, alle unter 30, mit dem Betäubungsmittel Midazolam ruhig gestellt - ihnen aber gesagt, er spritze ein Kontrastmittel.
Der Prozess gegen den Mediziner läuft seit 7. April, und seit dem ersten Tag betont der Gefäßchirurg: Er habe stets aus medizinischen Gründen gehandelt und Fotos, etwa aus dem Intimbereich, zu Dokumentations- oder Weiterbildungszwecken gemacht.
Der Angeklagte warf gestern entsprechend die Vermutung in den Raum: Die Hauptzeugin, die den Prozess ins Rollen gebracht hatte, sowie deren Familie, hätten vor dem Landgericht falsche Aussagen gemacht. Eine Äußerung, die Oberstaatsanwalt Bernhard Lieb kurz laut werden ließ. Die Diskussion, die sich zwischen ihm und dem Angeklagten sowie dessen Verteidiger anbahnte, ersticke der Vorsitzende Richter Manfred Schmidt im Keim.
Drei Klinikum-Mitarbeiterinnen
Es waren noch drei Zeuginnen geladen: eine Reinigungskraft, eine Krankenschwester und eine Ärztin, alle Mitarbeiterinnen der Sozialstiftung Bamberg.
Die Putzfrau
erinnerte sich an ein "Bitte nicht stören"-Zettelchen an der Tür eines Untersuchungszimmers, während sie ihre spätnachmittägliche Reinigungsrunde lief. "Ich hab' an der Tür geklopft, er hat gesagt ,ich bin gleich fertig‘, und ein paar Sekunden später hing der Zettel draußen", sagte die Zeugin aus. Die Patientin habe sie nur kurz gesehen.
Direkten Kontakt mit einem von W.s möglichen Opfern hatte die Krankenschwester in ihrer Frühschicht. Eine Patientin, die am Nachmittag des Vortags einen Termin bei Heinz W. gehabt hatte, habe bei ihr über Benommenheit geklagt. "Dass jemand nach so einer Untersuchung so wahnsinnig müde ist, ist eine echte Ausnahme", sagte die Krankenschwester aus.
Und dann ist da noch die junge und sehr souverän auftretende Ärztin. Die 32-Jährige war auch privat mit ihrem Chef befreundet.
Man habe sich nicht nur auf Kongressen gesehen, sondern sei auch mal zusammen zum Basketball gegangen. Sie kannte die Hauptzeugin persönlich, die 2014 Medizinstudentin am Klinikum Bamberg war. Die damals 26-Jährige habe nach und nach erzählt, dass W. sie für eine Studie mit Kontrastmittel untersucht habe. Die Ärztin war davon überrascht, "weil unsere Sonografiegeräte in der Ambulanz dafür nicht geeignet sind", wie sie erläuterte.
Auch sei die Hauptzeugin sehr schläfrig gewesen und habe sich laut eigener Aussage nicht mehr an alles erinnern können. "Eine allergische Reaktion macht eigentlich keine Gedächtnislücken." Auf Nachfrage des Richters bestätigte die Ärztin: "Die Wirkungen könnten zu Midazolam passen. Vor allem die Amnesie, das ist sehr charakteristisch.
Wenn sie eine Darmspiegelung hatten, möchten sie sich gerne
nicht daran erinnern."
Eigentlich habe die 32-Jährige mit ihrem Vorgesetzten persönlich über den Fall sprechen wollen. Aber als sie aus dem Urlaub zurückgekommen sei, sei W. bereits verhaftet gewesen. "Die Kontrastmittelsonografie wird in den nächsten Jahren eine Zukunft haben, zur Nachsorge oder Diagnostik", sagte die Ärztin. Sie merkte aber auch an: "Ich fand die ganze Sache von Anfang an sehr merkwürdig. Merkwürdig, dass Patientinnen nach 16 Uhr untersucht werden, mit Kontrastmittelultraschall, alleine von Herrn W. Dass sie danach Gedächtnislücken haben, sich hinlegen müssen - und vier Wochen später wird Ihr Chef verhaftet."
Wie bei vielen Themen,Leute aus der Praxis mehr Glauben schenken wäre besser.