Chefarzt-Prozess: Kollegen glaubten Vorwürfe erst nicht

2 Min
Das öffentliche Interesse am Chefarzt-Prozess wächst wieder. An Prozesstag Nummer 30 waren nicht nur mehr Medienvertreter, sondern auch zahlreiche Zuschauer im Landgericht anwesend. Das Foto zeigt Heinz W. (rechts) und seinen Verteidiger Dieter Widmann. Foto: Anna Lienhardt
Das öffentliche Interesse am Chefarzt-Prozess wächst wieder. An Prozesstag Nummer 30 waren nicht nur mehr Medienvertreter, sondern auch zahlreiche Zuschauer im Landgericht anwesend. Das Foto zeigt Heinz W. (rechts) und seinen Verteidiger Dieter Widmann. Foto: Anna Lienhardt

Am Dienstag sagten weitere Klinikum-Mitarbeiter aus. Zwei Ärztinnen trauten ihrem Chef zunächst keinen sexuellen Missbrauch zu, wurden später aber doch skeptisch. Unterdessen klopft die Regierung von Oberfranken an: wegen Heinz W.s ärztlicher Zulassung.

"Ich habe meinen Chef bis aufs Messer verteidigt - bis zum Donnerstagabend, dem Tag nach seiner Verhaftung", sagte die Assistenzärztin. An jenem Abend habe sie den Oberstaatsanwalt im Fernsehen erlebt und gehört, dass Bildmaterial sichergestellt worden sei.

"Nachdem man immer mehr erfahren hat, hatte ich den Eindruck, dass alles nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnte. " Mittlerweile sei es ihr wie Schuppen von den Augen gefallen und es tue ihr leid, dass sie der Hauptzeugin nicht geglaubt habe.


Erinnerungslücken nach Teilnahme an medizinischer Studie

Diese, einst Praktikantin am Klinikum, hatte das Verfahren gegen den Gefäßchirurgen ins Rollen gebracht. Die 27-Jährige hatte sowohl im OP-Waschraum, als auch am Mittagstisch gegenüber ihren Kollegen von ihrem Zustand berichtet: Nachdem sie für eine medizinische Studie einen Kontrastmittel-Ultraschall "beim Chef" gehabt hätte, habe sie über Erinnerungslücken und Benommenheit geklagt, wie eine weitere Assistenzärztin aussagte.

"Sie hat sich gefragt, ob sie eine Reaktion auf die Spritze hatte, oder ob sie vielleicht gar kein Kontrastmittel bekommen hat." Bei der Hauptzeugin war im Blut das Hypnotikum Midazolam nachgewiesen worden. Dieses, so sieht es die Staatsanwaltschaft, hat der Angeklagte zwölf jungen Frauen verabreicht, um sexuelle Handlungen an ihnen vorzunehmen.

Diesen Verdacht habe die Praktikantin ihr gegenüber auch angesprochen, so die Ärztin am Dienstag im Zeugenstand. "Wir unter Kollegen konnten das so nicht glauben." Am Abend habe sie ihren Chef angerufen. Heinz W. sei überrascht gewesen, und entsetzt ob der Vorwürfe. Er habe überlegt, Ampullen mit dem Kontrastmittel auf Verunreinigung testen zu lassen.

Über die Frage, wann wer in der Gefäßchirurgie Zugriff auf welche Ampullen gehabt haben könnte, und wann diese hätten untersucht werden sollen, darüber entfachte sich plötzlich eine Diskussion zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung.

Oberstaatsanwalt Bernhard Lieb sah Widersprüche zu W.s früheren Aussagen und sprach von einem "ganz wesentlichen Punkt in der Beweisaufnahme". Auch habe keine der drei Zeuginnen - alles Kolleginnen von W. - etwas davon mitbekommen, dass ihr Chef Kontrastmittel oder "Butt Plugs" ("Analstöpsel") bei Untersuchungen verwendet habe.

Chefarzt-Verteidiger Klaus Bernsmann bezeichnete Liebs Vorstoß als "übliche Vorwegmarschiererei". Dass man neuartige "Außenseitermethoden" nicht im Klinikalltag verwende, sei nur logisch. Ebenso verstehe es sich, dass man "Butt Plugs" nicht in der Öffentlichkeit herumliegen lasse.

Diese will der Chefarzt als Widerlager für den Ultraschallkopf verwendet haben, um Beckenvenen besser sichtbar zu machen. Das hat er an einem früheren Verhandlungstag erklärt. Bei diesen Untersuchungen will er auch Kontrastmittel gespritzt haben.


Passende Software fehlt

Ein Oberarzt merkte als Zeuge an: "Unseren Ultraschallgeräten fehlt dazu die passende Software." Eine Assistenzärztin, die mit ihrer Kollegin frisch von einer Weiterbildung gekommen war, hat laut ihrer Aussage "den Chef gefragt, ob wir auch Kontrastmittelultraschall machen können. Er meinte, dass unsere Geräte wahrscheinlich dafür nicht geeignet sind und er das überprüfen würde. Auf Nachfrage hat er das bestätigt."

Die Zeugin sagte weiter: "Sexuellen Missbrauch haben wir ihm nicht zugetraut, aber dass er ein nicht zugelassenes Kontrastmittel spritzt, schon." Dass ein Kontrastmittel Erinnerungslücken verursachen könne, hätte aber keine der beiden Ärztinnen gehört.

André Kamphausen, Anwalt eines möglichen Opfers, stellte unterdessen die Frage: "Die Bestellungen von Midazolam beim Klinik-Apotheker sind von 2011 bis 2014 stetig erhöht worden. Können Sie sich das erklären?" Die Antwort der Zeugin: "Nein."

Ganz am Ende der Sitzung machte Vorsitzender Richter Manfred Schmidt noch eine Anmerkung, die aufhorchen ließ: Es liege ein Schreiben der Regierung von Oberfranken vor, in dem es um die Approbation - sprich ärztliche Zulassung - von Heinz W. gehe.

Ein Vertreter der Regierung möchte bei den Verhandlungen dabei sein, auch, wenn die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Noch ist dazu nichts entschieden. Möglicherweise am 10. November, wenn der Prozess weitergeht.