Brustkrebs: Warum auch Männer betroffen sind

4 Min
Für eine Serie porträtierte die niederländische Fotografin Suzanne Reitsma Männer nach einer Brust-Operation. Das Bild zeigt Erwin. Er starb am 1. Januar 2015 an seiner Erkrankung, gerade einmal 45 Jahre alt. Foto: Suzanne Reitsma
Für eine Serie porträtierte die niederländische Fotografin Suzanne Reitsma Männer nach einer Brust-Operation. Das Bild zeigt Erwin. Er starb am 1. Januar 2015 an seiner Erkrankung, gerade einmal 45 Jahre alt. Foto: Suzanne Reitsma
Peter Jurmeister, Vorsitzender des Netzwerks "Männer mit Brustkrebs" Foto: Peter Jurmeister
Peter Jurmeister, Vorsitzender des Netzwerks "Männer mit Brustkrebs" Foto: Peter Jurmeister
 

Die Diagnose Brustkrebs trifft nicht nur Frauen. Jährlich erkranken in Deutschland etwa 600 Männer. Gegen das Stigma einer Frauenkrankheit, die keine ist.

Vor vier Jahren gründete Peter Jurmeister aus Remchingen in Baden-Württemberg eine Selbsthilfegruppe für Männer, die an Brustkrebs erkrankt sind. Das Netzwerk ist Ansprechpartner für Patienten in ganz Deutschland. Unter dem Dach des Bundesverbands der Frauenselbsthilfe nach Krebs berät der Verein Betroffene und organisiert bundesweite Treffen. Im Interview mit dem Fränkischen Sonntag spricht Jurmeister darüber, warum Brustkrebs beim Mann im Gesundheitssystem keine Rolle spielt, über Heilungschancen und die Wahrnehmung der weiblichen Brust in der Gesellschaft.

Herr Jurmeister, wann bemerkten Sie die ersten Auffälligkeiten an Ihrer Brust?
Peter Jurmeister: Das war im Jahr 2008. Der Frauenarzt konnte mir keine befriedigende Auskunft geben, da habe ich mich auf eigene Initiative im Brustzentrum beraten lassen.
Zwei Jahre vorher hatte ich schon mit Schilddrüsenkrebs zu tun. Doch dass Krebs auch die männliche Brust befallen kann, war mir zu dieser Zeit nicht bekannt.

Warum ist das so?
Auch in der männlichen Brust sind so genannte Milchgänge angelegt. Bei Frauen sind zusätzlich Milch bildende Drüsenläppchen angelegt und die Milchgänge sind wesentlich stärker ausgebildet. Aber 80 Prozent der Brustkrebs-Erkrankungen bei Frauen gehen auf Tumorbildung in diesen Milchgängen zurück, die auch Männer haben. Die geringe Ausprägung der Milchgänge in der männlichen Brust ist wohl der Grund dafür, warum bei ihnen Brustkrebs deutlich seltener auftritt als bei Frauen: Etwa 70 000 erkrankten Frauen pro Jahr stehen nur 600 bis 700 erkrankte Männer gegenüber.

Das ist lediglich ein Prozent...
Ja, dennoch gibt es Männer mit Brustkrebs. Für Betroffene ist das ein echtes Problem, denn im Gesundheitssystem spielen wir faktisch keine Rolle.

Das Wachstum von Tumoren in der Brust wird maßgeblich von Östrogenen beeinflusst, den wichtigsten weiblichen Sexualhormonen. Wie kann es sein, dass sich Krebs in der männlichen Brust ausbreitet?
Auch im männlichen Hormonhaushalt spielen Östrogene eine Rolle, sie werden zum Beispiel für das Wachstum der Knochen benötigt. Genauso kommen bei Frauen männliche Sexualhormone vor. Es kann sogar sein, dass im Körper eines Mannes wesentlich mehr Östrogene als im Körper einer Frau wirken - nämlich dann, wenn bei Frauen nach den Wechseljahren die Eierstöcke die Hormonproduktion eingestellt haben. Das Stigma, an einer "Frauenkrankheit" zu leiden, ist also medizinisch nicht haltbar.

Und doch kann die Diagnose Brustkrebs einen Mann zutiefst beschämen...
... weil die weibliche Brust in unserer Gesellschaft einen ungeheuer hohen Stellenwert hat und gemeinhin als das typisches Symbol für die Weiblichkeit aufgefasst wird! Männer sind auf die weibliche Brust fixiert, ob eine Frau als attraktiv wahrgenommen wird, hängt stark davon ab. Das macht den Umgang mit der Krankheit nicht leichter. Ich kenne Männer, die ihre Erkrankung vor ihrem Umfeld geheim halten.

Verläuft die Behandlung von Brustkrebs bei Männern ähnlich wie bei Frauen?
Im Wesentlichen ja. Das Wichtigste ist, dass der Tumor so schnell wie möglich raus kommt. Operation, Bestrahlung, Antihormontherapie und bei aggressiveren oder fortgeschrittenen Tumoren Chemotherapie sind typische Stationen. Bei der Behandlung mit Antihormonen kann es Unterschiede geben. Wenn das Standardmedikament nicht wirkt oder die Nebenwirkungen zu stark sind, steht als Alternative die vollständige Unterdrückung aller Sexualhormone zur Verfügung. Das hat natürlich erhebliche Auswirkungen zum Beispiel auf die Knochengesundheit, die Muskelkraft, die Psyche und auf das Sexualleben.

Wie stehen die Chancen auf Heilung?
Das kommt darauf an, ob der Krebs bereits andere Organe befallen hat. Das Robert Koch-Institut geht bei Männern von einer relativen Überlebensrate von 65 Prozent aus. Bei Frauen liegt sie allerdings bei 82 Prozent. Die Zahlen beziehen sich auf eine Lebensdauer von zehn Jahren nach der Erkrankung.

Dazu muss man aber sagen, dass Männer wesentlich später an Brustkrebs erkranken als Frauen, der Durchschnitt liegt bei etwa 70 Jahren. Könnte das nicht auch eine Rolle spielen?
Vielleicht... obwohl bei der relativen Überlebensrate das Lebensalter eigentlich schon "rausgerechnet" ist Ich meine, dass das fehlende Bewusstsein in der Öffentlichkeit nicht vernachlässigt werden darf. Bei Männern wird Brustkrebs häufig zu spät erkannt, weil niemand damit rechnet. Erst kürzlich hat ein Mann bei mir angerufen, der erst 35 Jahre alt ist. Brustkrebs kann jeden treffen, auch jeden Mann.

Sind Sie mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung zufrieden?
Da hat sich in den vergangenen Jahren schon viel getan. Trotzdem gibt es sehr wenige fundierte Studien, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass es zahlenmäßig einfach zu wenig Probanden sind, da müsste man international zusammenarbeiten. In Deutschland ist mir eine fortlaufende Registerstudie bekannt, die Krankheitsverläufe dokumentiert und eine Studie über die Auswirkungen von östrogenunterdrückenden Medikamenten. Bei einer Untersuchung über psychosoziale Auswirkungen wirkt unser Verein selbst als Kooperationspartner mit. Das Netzwerk Männer mit Brustkrebs kritisiert aber, dass es in Deutschland keine Studie gibt, die die Behandlung in den Fokus stellt. Die EORTC (European Organisation for Research and Treatment of Cancer) arbeitet gerade an einer solchen Studie, an der sich etliche europäischen Länder beteiligen. Deutschland ist nicht dabei. Das ist für mich nicht nachvollziehbar.

Am 3. Oktober findet im unterfränkischen Bad Brückenau ein Solidaritätslauf für Frauen mit Brustkrebs statt. Ein Mitglied Ihres Netzwerks läuft mit, nicht zum ersten Mal. Unterstützen Sie den Pinklauf?
Auf jeden Fall. Zahlenmäßig sind Männer mit Brustkrebs eine Randerscheinung und bleiben es auch. Der Pinklauf ist aber eine Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass auch Männer Brustkrebs bekommen können. Darüber hinaus gilt meine Solidarität jeder Frau, die betroffen ist und mit dieser Erkrankung offen umgeht. Ich finde solche Aktionen ein starkes Zeichen. Ich erinnere mich durchaus noch daran, dass in meiner Jugendzeit der Brustkrebs bei Frauen ein Tabuthema war. Den Mut derer, die mit dieser Erkrankung in die Öffentlichkeit gingen und mit dem Tabu brachen, ist es zu verdanken, dass heutzutage Frauen weitaus offener mit ihrer Erkrankung umgehen können. Vielleicht können wir mit unserer Initiative erreichen, dass dies in Zukunft auch für Männer mit Brustkrebs so ist.

Hat der Krebs Ihre Identität als Mann erschüttert?
Wahrscheinlich nicht in dem Maß, wie sich Frauen durch die Operation in ihrer Weiblichkeit erschüttert fühlen. Ich kann die Verunsicherung, die eine Operation mit sich bringt, durchaus nachvollziehen. Letztendlich ist aber wie bei jeder Krebserkrankung die potenzielle Lebensbedrohung das, was uns Patienten am meisten verunsichert und sicher auch Angst macht. Und da geht es uns Männern nicht anders als Frauen.