"Europa im Wandel" ist das Motto des diesjährigen Wissenschaftstages der Europäischen Metropolregion Nürnberg am Freitag in Bamberg.
"Europa im Wandel" ist das Motto des diesjährigen Wissenschaftstages der Europäischen Metropolregion Nürnberg am Freitag in Bamberg. Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen spüren zusammen mit Praxispartnern den Entwicklungen in Europa nach, die etwa durch Migration beeinflusst werden. Zum Tagesprogramm gehören vier Panels, die sich aus verschiedenen Blickwinkeln dem Thema nähern. Unsere Zeitung sprach vorab mit den Panelleitern. Professor Dr. Herbert Brücker ist Professur für VWL, insbesondere Integration der Europäischen Arbeitsmärkte, an der Otto-Friedrich-Universität. Sein Panel titelt "Integration und Mobilität - Arbeitsmarkt im Wandel" und beginnt um 15 Uhr im Marcus-Haus, Markusplatz 3. Hörsaal M3N/02.32
Ist der europäische, insbesondere der deutsche Arbeitsmarkt für Migranten gerüstet?
Prof. Herbert Brücker: Die Lage auf den europäischen Arbeitsmärkten stellt sich durch die Finanzkrise stark unterschiedlich dar: Während der Arbeitsmarkt in Deutschland und einigen anderen nordeuropäischen Ländern von den niedrigen Zinsen und der günstigen konjunkturellen Entwicklung stark profitiert, leiden die südeuropäischen Länder und Frankreich immer noch unter hoher Arbeitslosigkeit, insbesondere hoher Jugendarbeitslosigkeit. Dies hat zu einer Umlenkung der Migrationsströme aus den neuen Mitgliedsstaaten der EU und aus Drittstaaten nach Deutschland und einige andere nordeuropäische Länder geführt.
Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist dafür sehr gut aufgestellt: Das Beschäftigungswachstum ist, auch in Arbeitsmarktsegmenten mit geringen Qualifikationsanforderungen, sehr hoch, und die Arbeitslosigkeit sinkt trotz der starken Zuwanderung von Flüchtlingen im Jahr 2015 kontinuierlich weiter.
In welchen Berufen oder Sektoren gibt es für Migranten überhaupt Chancen auf einen Arbeitsplatz?
Das ist sehr unterschiedlich. Der deutsche Arbeitsmarkt ist stark durch das duale Ausbildungssystem geprägt, das es in anderen Ländern so nicht gibt. Rund zwei Drittel der Beschäftigten in Deutschland haben einen beruflichen Bildungsabschluss und arbeiten in entsprechenden Berufen, aber nur ein Drittel der Neuzuwanderer. Dort ist mit gut einem Drittel der Anteil der Hochschulabsolventen höher als in Deutschland, aber mit etwa 30 Prozent auch der Anteil ohne berufliche Bildungsabschlüsse. Hinzu kommt, dass sie häufig unter ihrer Qualifikation beschäftigt werden.
Insgesamt beobachten wir durchaus hohe Anteile in akademischen Berufen, aber auch sehr Anteile in Berufen und Branchen, in denen formelle Qualifikationen keine große Rolle spielen: Beispiele sind das Hotel- und Gaststättengewerbe, angelernte Kräfte vor allem in der häuslichen Pflege und wirtschaftsnahe Dienstleistungen wie Security und das Reinigungsgewerbe. Interessanterweise brummt der Arbeitsmarkt auch in diesen geringer qualifizierten Segmenten: In den vergangenen drei Jahren sind 1,6 Millionen neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland entstanden, davon 45 Prozent in den sogenannten Helferberufen, obwohl diese Berufe an der Gesamtbeschäftigung in Deutschland nur einen Anteil von 13 Prozent haben.
Was muss im Blick auf die Anerkennung von Ausbildungen in fernen Ländern geschehen?
Die Anerkennung beruflicher Abschlüsse ist ein Schlüssel für die ausbildungsadäquate Beschäftigung. Wir beobachten, dass in reglementierten Berufen, die man nur bei einer Anerkennung ausüben darf, das betrifft etwa Ärzte, die Anerkennungsquoten schon heute recht hoch sind. In anderen Berufen, in denen eine Anerkennung nicht zwingend notwendig ist, sind die Anteile viel geringer. Dennoch spricht viel dafür, dass auch hier die Anerkennung die Beschäftigungschancen deutlich verbessert.
Hier sind vor allem Information und Transparenz notwendig. Das ist nicht einfach, wenn wir daran denken, dass die Kompetenzen zur Anerkennung teils dezentral bei den Handwerkskammern, teils auf Länderebene, teils zentral auf nationaler wie zum Beispiel bei den Industrie- und Handelskammern organisiert ist. Hier ist seit dem Anerkennungsgesetz schon viel geleistet worden, aber es gibt sich noch viele nicht ausgeschöpfte Potenziale.
Entsprechen die deutschen Bildungsinstitutionen den Erfordernissen für die Integration von Flüchtlingen?
Das deutsche Bildungssystem mit seiner dualen Ausbildung hat sich im OECD Vergleich bewährt, wie unter anderem die vergleichsweise geringen Zahlen der Jugendarbeitslosigkeit belegen. Aber es macht es Flüchtlingen genauso wie anderen Migranten schwer: Wer aus einem Land ohne vergleichbares Berufsbildungssystem kommt, gilt hier als unqualifiziert. Das ist in angelsächsischen Ländern anders, dort sind nicht nur die Einstellungsschwellen geringer, auch zählen durch Erfahrungen erworbene Kenntnisse mehr. Etwa drei Viertel der Flüchtlinge über 18 Jahre haben Berufserfahrungen im Ausland gesammelt, im Durchschnitt über sieben Jahre. In der Regel in Angestelltenberufen. Gut 40 Prozent haben weiterführende Schulen besucht, aber nur ein Fünftel hat ein Studium abgeschlossen oder einen beruflichen Bildungsabschluss.
Es kommt deshalb auf zwei Dinge an: Erstens müssen wir so gut wie möglich die vorliegenden Berufserfahrungen für den deutschen Arbeitsmarkt nutzen, etwa durch Zertifizierung von beruflichen Fähigkeiten. Zweitens müssen wir das hohe Bildungspotenzial der Geflüchteten - die meisten sind noch sehr jung - nutzen. Das ist eine große Herausforderung auf jeder Stufe des Bildungs- und Ausbildungssystems: Die Schulen müssen sich für das Nachholen von Schulabschlüssen öffnen, die Berufsschulen etwa durch vorbereitende Kurse die Ausbildungsfähigkeit sicher stellen, die Hochschulen ebenfalls Vorbereitungs- und Einstiegskurse für Studierende anbieten, die aus anderen Bildungssystemen kommen. Bei allem müssen wir realistisch bleiben: Zwar Wollen zwei Drittel der Geflüchteten noch eine berufliche Ausbildung oder ein Studium machen, aber das wird nur ein Teil schaffen.
Viele Flüchtlinge sind traumatisiert, benötigen zunächst qualifizierte ärztliche oder therapeutische Behandlung. Ist der Arbeitsmarkt strapazierfähig genug, das mitzutragen?
Es ist richtig, dass viele Geflüchtete in ihren Heimatländern, aber auch auf der Flucht traumatische Erfahrungen gemacht haben. Es ist aber falsch, sie deswegen im klinischen Sinne als traumatisiert zu betrachten. Wir wissen aus unseren Befragungen, dass auf der einen Seite die Zufriedenheit der Geflüchteten mit ihrem Gesundheitszustand höher als in der deutschen Bevölkerung ist. Auf der anderen Seite sehen wir allerdings auch stärkere Hinweise als in der Gesamtbevölkerung auf depressive Verstimmungen oder körperliche Beeinträchtigungen in der Befragung.
Man sollte deshalb den Geflüchteten früher als bisher den Zugang zu unserem Gesundheitssystem ermöglichen um solche Erkrankungen behandeln zu können. Aber wir können davon ausgehen, dass die große Mehrheit nicht psychisch oder körperlich so beeinträchtigt ist, dass sie nicht am Arbeitsmarkt teilnehmen kann. Vielleicht hilft ein Blick in die Geschichte: Obwohl die große Mehrheit der Bevölkerungen in Europa und Deutschland im Zuge des zweiten Weltkriegs traumatische Erfahrungen gemacht haben, ist das Wirtschaftswunder gelungen.
Die Fragen stellte
Marion Krüger-Hundrup.
Europa im Wandel zum Schlechteren kann man eigentlich immer wieder nur sagen, aber das ist ja gegen den Mainstream.