1919 schützte eine Bürgerwehr Bayerns Exilregierung, die nach Bamberg geflohen war. Hier brachte sie die erste demokratische Verfassung Bayerns zu Papier.
Der Mann kann erzählen. Die Zeit verfliegt. Gut zwei Stunden im Bamberger Stadtarchiv - und man ist Teil eines Krimis, der tatsächlich stattgefunden hat. Vor 100 Jahren, mitten in Bamberg. Heute läuft Archivleiter Horst Gehringer an Ausstellungsobjekten vorbei und schildert dabei Mord, Totschlag und die Geburt der Demokratie so anschaulich, als sei er mindestens Teil der Bürgerwehr gewesen, wenn nicht gar ein aus München geflohenes Mitglied des Bayern-Parlaments.
Der Erste Weltkrieg ist beendet, doch den Menschen geht es nicht gut. Sie haben wenig zu essen, kaum Arbeit. Geld verliert rasend schnell an Wert. In München gärt es. Die Unzufriedenheit der Bürger hat folgenschwere Auswirkungen. König Ludwig III. entbindet seine Truppen vom Treue-Eid und flieht. Es bildet sich eine Revolutionsregierung unter dem linken Sozialdemokraten Kurt Eisner (USPD), der eine Räterepublik etablieren will. Eisner spielt Erhard Auer von der MSPD aus, dessen Ziel es war, die Monarchie sachte in eine parlamentarische Demokratie nach britischem Vorbild umzubauen. Doch wie soll der jetzt ausgerufene Freistaat, die Republik, arbeiten?
Eisner muss Zugeständnisse an Erhard Auers Lager machen. So kommt es im Januar 1919 zu den ersten allgemeinen, freien Wahlen, bei denen auch Frauen an die Urnen gehen dürfen. "Jetzt entdecken die Parteien das enorme Klientel weiblicher Wähler!" Gehringer deutet auf ein Plakat der "Deutschen Volkspartei", das manche Frau von heute amüsiert den Kopf schütteln lässt: "Hausfrauen vom deutschen Staat!", steht in Lettern darauf. "Was wollt Ihr? Geregelte Ernährung (...) und eine gründliche hauswirtschaftliche Ausbildung für Mädchen? Dann wählt!"
Das tun die Frauen, ebenso wie die Männer. Kurt Eisner erlebt eine krachende Niederlage. Mit seinem Rücktrittsgesuch in der Tasche wird er am 21. Februar 1919 kurz vor dem Landtag erschossen. Das löst eine neue Welle revolutionärer Gewalt aus. Arbeiter bewaffnen sich, es gibt Unruhen, Streiks, Demonstrationen. Vor allem in München, aber nicht nur: Während des Trauerzugs für Kurt Eisner durch die Münchner Innenstadt weigern sich die Pfarrer in Bamberg, die traditionellen Totenglocken zu läuten, nach dem Motto: "Für den Kommunisten läuten wir nicht!" Doch da haben sie die Rechnung ohne die Eisner-Anhänger gemacht. Die stürmen die Kirche und läuten selbst!
Fünf Wochen nach dem "Glockensturm" wird in Bamberg eine Bürgerwehr gegründet, um prominente Neubürger zu schützen: Bamberg ist über Nacht bayerische Hauptstadt geworden. Der neue Ministerpräsident Johannes Hoffmann (MSPD) war mitsamt seiner Ministerien - vom Kriegs- über das Landwirtschafts- bis hin zum Justizministerium - aus dem chaotischen Süden in den friedlicheren Norden Bayerns geflohen. "Bamberg ist mit seinem Bahnanschluss und dem Militärflugplatz gut angebunden, die beiden Kasernen mit über 2000 Mann spielen sicher auch eine Rolle", weiß Horst Gehringer. "Die Regierung geht in die Residenz, die bewacht wird wie Fort Knox. Und die Gasthäuser, in denen die Abgeordneten unterkommen, erhalten Sonderrationen Fleisch."
Weil es damals noch kein Fernsehen gibt, werden in Bamberg zentnerweise Flugblätter gedruckt und per Flugzeug über München abgeworfen: "Das Ministerium Hoffmann bleibt - Regierungssitz in Bamberg." Der Bamberger Oberbürgermeister Adolf Wächter teilt ebenso patriotisch den Seinen mit: "Die Stadt steht treu hinter den demokratisch Gewählten!"