Es hat sehr viel mit Scham zu tun, mit Sich-verstecken. Psychisch belastete Menschen ziehen sich ohnehin eher zurück, fühlen sich nicht zugehörig und haben oft das Gefühl abgelegt zu werden. Umso wichtiger ist es, dass man sie akzeptiert und ihnen vermittelt, dass sie ausdrücken dürfen, was sie bewegt, und zwar alle Regungen und Gefühle, und nicht nur das, was gesellschaftlich akzeptiert ist. Ein Beispiel: viele sprechen eher über Burnout, aber ungern über Depressionen. Burnout klingt nach viel geleistet und ist mehr im Trend.
Eine wichtige Botschaft ist, dass jeder Suizidgedanken haben kann. Jedem kann es passieren, dass er in eine schwierige Situation kommt, die schlimm genug ist, dass er diese hat. Es kann also bei jedem sein, wenn die Bedingungen entsprechend sind. Aber es ist immer besser, über Gefühle, egal welcher Art zu sprechen, als es nicht zu tun. Es hat etwas Erleichterndes, unangenehme Empfindung auszusprechen und Verständnis zu finden in der existenziellen Not. Das führt nicht zum Suizid, sondern hilft leichter über die Krise hinwegzukommen.
Wie läuft die Therapie für Suizid-Gefährdete ab?
Wir behandeln hier nicht Patienten, die direkt suizidgefährdet sind, aber der Zustand kann plötzlich eintreten. Das müssen wir rechtzeitig erkennen und mit der betroffenen Person in Kontakt treten, um zu sehen, wie stark die entsprechenden Tendenzen sind. Wenn diese noch im therapeutischen Bündnis steuerbar ist, ist eine Behandlung hier möglich. Wenn nicht, dann muss sie in eine psychiatrische Klinik überwiesen werden.
Wichtig ist, zu erkennen, wenn es sich zuspitzt. Es gibt das prä-suizidale Syndrom, das heißt die Person denkt nur noch über Suizid nach und sieht keine andere Möglichkeit, dazu kommen Aggressionshemmung, viele Schuldgefühle und der abnehmende Lebenswille. Das ist ein langsamer Prozess. Dabei gibt es das Erwägungsstadium, in dem der Betroffene den Suizid in Betracht zieht, das Stadium der Ambivalenz, wo er hin- und hergerissen ist und das Entschlussstadium, dann hat er sich dazu entschieden. Dann ist der Patient oft ausgeglichen und zugänglich, da muss man als Therapeut vorsichtig sein. Hat er aber die Möglichkeit darüber zu sprechen, ist die größte Gefahr gebannt.
Wie können Angehörige und Freunde sich verhalten? Was sollen sie tun, wenn eine Person von Suizid spricht?
Nicht-Profis sollten signalisieren: ich höre dir zu und habe Verständnis. Aber sie sollten sich nicht zu viel aufladen, sonst kann es sie selbst belasten. Dann sollten sie der Person raten, Expertenhilfe aufzusuchen. Es darf nicht sein, dass der Betroffene meint, keinen Profi zu brauchen, weil er ja jemanden zum Reden hat. Er sollte sich eher im wirklichen Therapiegespräch entlasten.
Schwierig ist es, wenn jemand direkt von Suizid spricht - das ist selten Geplänkel. Dann braucht er Hilfe. Wenn er das partout nicht will und man Angst um ihn hat, muss man die Polizei rufen. Das ist unschön, aber wenn es gut endet, ist derjenige oft dankbar.
Was kann jeder tun?
Die genannten Ursachen für Suizid sollten weiter enttabuisiert werden. Sie sind ein Stück der Lebensqualität vieler Menschen. Zum Beispiel wurde früher nicht über Depressionen gesprochen, erst durch prominente Beispiele wie der Torwart Robert Enke ist die Krankheit in die Öffentlichkeit gerückt. Das ist wichtig, denn wenn einem etwas bewusst wird, kann man angstfreier damit umgehen.
Betroffene und Angehörige können sich an die Telefonseelsorge wenden:
Telefonhotline (kostenfrei, rund um die Uhr): 0800 111 0 111 , 0800 111 0 222 oder 116 123. Weitere Informationen online unter: telefonseelsorge.de