Wie erleben Jugendliche die Corona-Zeit? Geht es ihnen so schlecht, wie oft kommuniziert wird? Die Redaktion sprach mit Experten aus der Jugendarbeit und Betroffenen, die sagen: "Das was man möchte, holt man sich."
Jule Sterker kommt aus Poppenlauer, sie ist im dritten Lehrgangsjahr zur Friseurin. Die 18-Jährige arbeitet in Münnerstadt und hat im Juli Gesellenprüfung. Insgesamt 18 Wochen durfte sie, aufgrund des Lockdowns, keinem Kunden die Haare schneiden. In der Zeit, in der sie Berufsverbot hatte, mussten stattdessen Modellpuppen beim Haareschneiden herhalten.
Während dieser Wochen entdeckte sie das Nähen für sich. "Ich hatte genügend Zeit. Ohne Corona ging das nicht. Ich habe von früh bis spät gearbeitet." Im Dezember entwickelte sie einen eigenen Online-Shop und meldete im Januar ein Gewerbe an.
Unter dem Namen "Scandmore" verkauft sie Selbstgenähtes auf Etsy, einer Webseite für den Kauf und Verkauf von handgemachten Produkten. Besonders gerne macht sie "Scrunchies", das sind Zopfgummis aus Stoff. 635 Artikel hat sie über ihren Account bisher verkauft.
Vorher: Viel gefeiert
Vor Corona sei sie mit Freunden viel feiern gewesen. "Ich wollte nichts verpassen." Als Corona kam, sei dann aber der Druck weg gewesen, bei jedem Treffen und jeder Party mit dabei zu sein. "Man kann ja nichts verpassen." Mit der Zeit stellte sie fest: "Ich brauche das gar nicht so. Das Nähen ist eine Entspannung, die ich vorher nicht hatte."
Ihr Freund Tim, der Fußball spielte, erzählt: "Ich habe mir einen Boxsack gekauft, um mich fit zu halten." Während Corona hat der 20-Jährige aus Burkardroth außerdem Joggen und Workouts für sich entdeckt.
Treffen nach Schnelltests
Mit ihren Freundinnen Rosalie Bieber und Carla Friedlein trifft sich Jule regelmäßig. Entweder per Videochat oder persönlich am Wochenende. In der Schule werden die drei Freundinnen regelmäßig per Schnelltest auf Corona getestet. "Wir sind eigentlich immer zu dritt unterwegs", sagt Carla.
Carla kommt auch aus Poppenlauer und besucht mit Rosalie zusammen die 12. Klasse der Fachoberschule (FOS) in Schweinfurt. Die beiden 17-Jährigen machen dieses Jahr Abitur und fühlen sich gut vorbereitet. Die Leistungsnachweise seien aber ziemlich aufeinandergepresst. "Man muss selber dranbleiben", sagt Rosalie.
Von Schule zu Schule seien die Erfahrungen mit Online-Unterricht andere, sagt René Felcht von ProJugend. Das Personal sei unterschiedlich vorbereitet und die Schulen unterschiedlich technisch ausgestattet. Der Online-Unterricht biete aber viele Vorteile. Gruppenarbeit und Projektarbeit seien dank moderner Tools sehr gut möglich.
"Wir Kollegen diskutieren oft untereinander: Ist es für die Jugend wirklich so schlimm, wie es allgemein kommuniziert wird?", sagt René Felcht. "Die Schüler haben Schule von zuhause. Das ist ein Traum. Während des Unterrichts schneiden sie sich Müsli und Banane und machen ihre Frühstückbowls."
Die Schule sei ansonsten "genauso belastend wie vorher. Die Schüler meckern genauso, nur zu einem anderen Thema", sagt Felcht. Der Lehrer sei nicht mehr "doof", weil er sich in der Klasse unglücklich verhalten habe, sondern "weil er Microsoft Teams nicht kann". "Es ändert sich einfach der Schwerpunkt."
Vereinssport fehlt
Das wirklich Schlimme sei, dass die Vereine zu seien und es keine Sportangebote gebe. Felcht fragt sich außerdem, unter welchen Bedingungen Ferienprogramme im Sommer stattfinden, zumal es für Kinder und Jugendliche derzeit noch keine Impfung gibt.
Fußball, Tischtennis, Korbball: Vor Corona machte Rosalie viel Sport im Verein. "Das war viel Stress. Ich habe jetzt mehr Ruhe, das will ich für die Zeit nach Corona beibehalten." Seit sie keinen Vereinssport machen kann, ist sie viel mit dem Hund unterwegs.
Die Sieben-Tages-Inzidenz von Kindern und Jugendlichen ist seit Wochen deutlich höher als die von Erwachsenen. Sebastian Mohr vom Max-Planck-Institut stellt im Internet eine Landkarte zur Verfügung, auf der man die Inzidenzwerte verschiedener Altersgruppen miteinander vergleichen kann. Betrachtet man nur die Altersklasse der Fünf- bis 14-Jährigen, liegt die Inzidenz im Landkreis Bad Kissingen bei 152 (Freitag). Oft wird der Vorwurf laut, Jugendliche hielten sich nicht an die Regelungen.
Sowas habe sie auch schon gehört, berichtet Jule. Als sie im September mit ihren Eltern Zelten ging, habe sie Aussagen gehört wie "Dir scheint Corona egal zu sein". Sie fühlte sich zu Unrecht angegriffen. "Ich war so oder so mit meinen Eltern zusammen, ob im Haus oder im Zelt."
Sie könne natürlich nur für sich sprechen, aber man könne nicht alles auf die Jugend schieben. "Wir verhalten uns nicht verantwortungslos", sagt Jule. Ob man sich an die Regeln halte oder nicht, hänge nicht nur vom Alter ab. Das erlebe sie etwa beim Kontakt mit Kunden.
Rosalie sagt, sie habe sich oft im Zwiespalt befunden, weil sie sich mit Freunden treffen, aber auch andere Personen nicht anstecken wollte. "Man möchte beides haben."
Gedrückte Stimmung
"Man kann davon ausgehen, dass sich Jugendliche illegal treffen", sagt Thomas Wedler von ProJugend. "Trotzdem würde ich sagen, dass ein Großteil die Maßnahmen annimmt und auch Sinn und Zweck akzeptiert." Als Gemeindejugendarbeiter für Oerlenbach und Nüdlingen ist Wedler an Schulen im Landkreis tätig. Er bietet zum Beispiel Projekte an, die die Klassengemeinschaft stärken.
"Ich habe gemerkt, dass die Stimmung an den Schulen sehr gedrückt ist. Die Schüler wirken sehr introvertiert. Sonst war es immer so, dass es mal einen Zwischenruf, einen lustigen Kommentar oder auch mal etwas Unruhe gab." Stattdessen empfand Wedler bei seinem Besuch in der Mittelschule Bad Brückenau vor zwei Monaten eher eine "lethargische Grundstimmung". Sein Eindruck: "Das ständige Hin und Her belastet die Schüler." Die Auflagen würden von den Schülern oft wenig hinterfragt. "Es ist ein starkes Annehmen der Tatsachen, die da sind." Aber: "In einer Demokratie ist es wichtig, dass man dazu auch mal eine Diskussion hat."
Notfallhilfe im JuKuZ
"Kinder und Jugendliche haben es in dieser Zeit besonders schwer", schreibt Lisa-Maria Hofmann vom Jugend- und Kulturzentrum. "Wir merken deutlich die Frustration unserer Klientel, wenn es zu einer Schließung des Jugend- und Kulturzentrums kommt. Sie brauchen Anlaufstellen und soziale Kontakte."
Daher werde vom Jugend- und Kulturzentrum eine "Notfallhilfe" angeboten. In diesem Rahmen kommen Jugendliche zu einem Gespräch mit einem Mitarbeiter ins JuKuZ . "So kann, trotz der Einschränkungen, ein Hilfsangebot stattfinden."
"Es gibt Jugendliche, die sich sehr einsam fühlen. Gerade im Teenageralter geht es um die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. Wer bin ich, zu wem fühle ich mich zugehörig?", sagt Wedler. Freunde zu finden, sei derzeit schwierig.
Einsamkeit sei schon ein Thema, sagt Rosalie. Das habe sie vor allem in der Zeit zwischen Ende November bis Februar gemerkt, als sie nicht in der Schule waren. Aber sie sagt auch: "Das was man möchte, holt man sich." Und wenn es via Video-Chat ist.