Verstörendes Gegenwartstheater in Bad Kissingen

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Verstörendes Gegenwartstheater beim Theaterring mit langem Beifall trotz schockierendem Ende: Alle sieben Darsteller, die sich 18 Rollen teilten, bei der Gerichtsverhandlung gegendas Neonazi-Paar Edda und André Möller (recht Constanze Aimée Feulner und Philip Wilhelmi) mit ihrem Anwalt Haberbeck (Christian Meyer) vor der Vorsitzenden (im Hintergrund Maika Troscheit) bei der Vernehmung von Jürgen Möller (Martin Molitor) in Anwesenheit Katjas (Anna Schäfer, ganz links) und deren Anwalt Mathias...
Verstörendes Gegenwartstheater beim Theaterring mit langem Beifall trotz schockierendem Ende: Alle sieben Darsteller, die sich 18 Rollen teilten, bei der Gerichtsverhandlung gegendas Neonazi-Paar ...
Verstörendes Gegenwartstheater beim Theaterring mit langem Beifall trotz schockierendem Ende:  Alle sieben Darsteller, die sich 18 Rollen teilten, bei der Gerichtsverhandlung gegendas Neonazi-Paar Edda und André Möller (recht Constanze Aimée Feulner und Philip Wilhelmi) mit ihrem Anwalt Haberbeck (Christian Meyer) vor der Vorsitzenden (im Hintergrund Maika Troscheit) bei der Vernehmung von Jürgen Möller (Martin Molitor) in Anwesenheit Katjas (Anna Schäfer, ganz links) und deren Anwalt Mathias...

Trotz des schockierenden Endes spendete das Publikum langen Beifall. Nach der Aufführung wurde auf Einladung des Ensembles im Foyer des Kurtheaters und auch bei einem Treffen in einem Gasthaus viel diskutiert.

Am Ende lässt die Truppe ihr Publikum allein mit dem Ergebnis des Stückes "Aus dem Nichts", nach dem gleichnamigen Film eines der berühmtesten deutschen Filmemacher, dem Hamburger Fatih Akin. Katja, deren Mann und kleiner Sohn bei einem Terror-Anschlag ermordet wurden, sitzt allein auf der dunklen Bühne, die Zuschauer sind erstarrt angesichts der Wucht des vorher dort Gesehenen. Minutenlange lastende Stille im Kurtheater. Bis einer aus dem Publikum für alle hörbar deklariert, das werde ihm jetzt aber unangenehm, und mit dem Applaus beginnt, in den zunächst zögerlich, dann aber immer heftiger das gesamte Publikum einstimmt. Ein Schluss, wie er noch nicht da war in 35 Jahren Theaterring. Ein Stück über ein Ereignis in Deutschland, wie es vorher keines gab.

Akins Stück handelt von dem rechtsradikalen, rassistischen Terror unserer Tage, bei dem von 2000 bis 2007 eine Gruppe fremdenfeinlicher Fanatiker zehn Deutsche, fast alle mit Migrationshintergrund, eiskalt ermorden konnte, ohne auch nur ins Fadenkreuz der Ermittlungsbehörden zu geraten.

Miraz Bezar, der Autor der Bühnenfassung und Regisseur der Produktion von Euro-Studio Landgraf, die damit beim Theaterring gastierte, hat sich mehrere Verhandlungen des Prozesses gegen die Terroristen des National-Sozialistischen Untergrunds und die Hauptangeklagte Beate Tschäpe angeschaut, der 2013 bis 2018 stattfand, aber in vieler Hinsicht nicht wirklich Aufklärung schaffen konnte. Anna Schäfer, die großartige Darstellerin der Katja, saß da im Dunkeln auf der Bühne vor dem gelähmten Publikum, Sinnbild des Entsetzens der Angehörigen der Opfer über die Nichtaufklärbarkeit der Tatumstände der Morde wegen der Unterwanderung der rechten Terrorszene durch V-Männer des Verfassungsschutzes.

Bezar hat die schon unangenehm zeitnahe Geschichte noch weiter in unsere Gegenwart geholt, hat bei der Liste des Gedenkens für die Opfer der Terroristen auch den mutigen CDU-Politiker Walter Lübcke angefügt, der erst im Juni dieses Jahres Opfer eines Heckenschützen wurde. Wo Akin bei dem Hotelier, der dem rechtsradikalen Paar Edda und André Möller (weitgehend rollenkonform passiv abwartend Constanze Aimée Feulner und Philip Wilhelmi) an einen griechischen Strand ausweicht, um die deutschlandübergreifende Dimension rechten Terrors in Europa zu zeigen, bleibt Bezar in Deutschland, auf Fehmarn. Und Philipp Figueroa, der die vielgestaltige Video-Begleitung der Aufführung besorgte, liefert dazu das passende "Rechts-Rock"-Video mit blutrünstigen Hass-Texten gegen Fremde und Juden.

Damit ist die Aufführung auch ganz in unsere Nähe gekommen, denn seit fünf Jahren hat der Neo-Nazi Tommy Frenck bei unseren thüringischen Nachbarn das Gasthaus in Kloster Veßra übernommen und Tausende von Gesinnungsgenossen treffen sich alljährlich in Themar, beides nur um die 70 Kilometer von Bad Kissingen entfernt. Diesmal also kein Blick in fremde Zeiten und Weltgegenden im Theaterring, sondern in unsere brisante bundesdeutsche Gegenwart. (Vgl. ZDF-Mediathek: "Rechtsrock in Deutschland - Das Netzwerk der Neo-Nazis"!)

Im Zentrum des Dramas steht die Gerichtsverhandlung gegen das Ehepaar Möller, bei dem sich vor allem die beiden Anwälte ein spannendes Duell liefern, in dem Mathias Kopetzki Katjas Verteidiger Danilo, als rundum anständigen, offenen, engagierten Fürsprecher gab. Christian Meyer spielte Haberbeck, den raffinierten, verschlagenen, undurchsichtigen, mit sich überschlagender Stimme agitierenden Anwalt der Terroristen mit fast furchterregender Intensität. Martin Molitor war als in sich ruhender, selbstgerechter Hauptkommissar Reetz und als anständiger, von seinem Hitler verehrenden Sohn überforderter Vater Jürgen Möller gleichermaßen überzeugend. Auch Maika Troscheit gelang es, Katjas Mutter, die in ihrem Dienst gefangene Hauptkommissarin Fischer und die Vorsitzende Richterin beim Prozess in ihrer jeweiligen Eigenart plausibel darzustellen. Philip Wilhelmi konnte sich nur in einer seiner drei Rollen, als Journalist Andreas Moser, wirklich zeigen.

Zum emotionalen Höhepunkt wurde die detaillierte Beschreibung der Verletzungen von Katjas Sohn Rocco durch Constanze Aimée Feulner als teilnahmslose Sachverständige vor der von Schmerz geschüttelten Mutter. Der siebenköpfigen Truppe gelang es mit großem Engagement, die komplexe Handlung im ersten Teil mit dem eigentlichen Attentat und den Irrwegen der Strafverfolgung umsichtig und die Gerichtsszene packend und in der Personendarstellung stimmig zu gestalten. Miraz Bezars neue Schlussszene, die Darstellung der Machtlosigkeit des Rechts gegenüber den Notwendigkeiten der Politik, machten Philip Wilhelmi als Staatsanwalt und (entgegen dem Programmheft) Mathias Kopetzki als Staatssekretär zu einem schaurigen Finale. Das war viel Stoff für Diskussionen hinterher beim Publikum am gewohnten Gasthaustisch oder auf Einladung des Ensembles auch im Foyer des Kurtheaters.