Starker Tobak

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Gegenwartstragödie statt Wohnzimmerkomödie in einer Art Versuchsanordnung: Lutz Hübner und Sarah Nemitz verweigern in "Wunschkinder" jegliches Happy End, bekamen aber viel Applaus für ihre ungeschminkte Sicht auf vier Vertreter der Elterngeneration und zwei junge Leute, die das Leben auf völlig unterschiedliche Weise überfordert. Foto: Thomas Ahnert
Gegenwartstragödie statt Wohnzimmerkomödie in einer Art Versuchsanordnung: Lutz Hübner und Sarah Nemitz verweigern in "Wunschkinder" jegliches Happy End, bekamen aber viel Applaus für ihre ungeschminkte Sicht auf vier Vertreter der Elterngeneration und zwei junge Leute, die das Leben auf völlig unterschiedliche Weise überfordert.  Foto: Thomas Ahnert

Das EURO-Studio Landgraf gastierte mit dem Stück Wunschkinder im Bad Kissinger Kurtheater.

Ganz schön starker Tobak, was die Gastspieltruppe von EURO-Studio Landgraf im neuen Stück "Wunschkinder" vom deutschen Erfolgsdramatikerpaar Lutz Hübner und Sarah Nemitz im Rahmen des Theaterrings da auf die Bühne des Kurtheaters brachte. Als Weiterführung der Eltern-Schüler-Lehrer-Probleme war es angekündigt und schien auch im ersten Teil die "Hotel Mama-Situation" in scharf geschnittenen Dialogen mit umwerfend treffenden Pointen in ähnlicher Weise behandeln zu wollen wie bei "Frau Müller muss weg".

Ehrgeizige Eltern

Doch die Autoren hatten andere Themen als den Familienkonflikt um die Leistungsverweigerung des Sohnes nach bestandenem Abitur. Sie wollten den Blick aus dem Wohnzimmer hinauslenken in die Komplexität eines weit größeren Ausschnittes unserer Lebenswelt.

Und so ging es nur anfangs um den Abiturienten Marc. Der wurde von seinen erfolgreichen Manager-Eltern um den Globus geschleift und durfte nur für das Abitur zurückkommen. Alle drei sind entwurzelt, unfähig, Freunde zu finden, die Eltern kritisieren Marcs schlechtes Abschneiden beim Abitur. Die Eltern trauern dem viel unkomplizierteren Leben, dem inhaltslosen Small Talk in Amerika nach, verabscheuen, dass man sich in Deutschland dauernd über gesellschaftliche und politische Probleme den Kopf zerbricht. Die geht Bettines Schwester als Betreuerin von Migranten an. Katrin vergleicht die Probleme der heimat- und orientierungslosen Flüchtlinge in ihrer Obhut mit dem von Gerd und Bettine, deren Sohn vier Monate nach dem Abitur noch nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen will.

Ein empfindliches Gleichgewicht

Sohn Marc findet aus seiner Lethargie durch die Beziehung zu Selma, einer Macherin, die Abitur an der Abendschule mit Engagement für Mittellose zu verbinden vermag, und damit seinen Eltern auf unheimliche und wenig heilsame Art ähnlich ist. Sie wird begeistert aufgenommen in diese Familie, die der absolute Kontrast zu ihrem Zuhause ist. Ihre Mutter Heidrun hat sie in prekären Verhältnissen und mit äußerst labiler psychischer Verfassung aufgezogen, konnte ihr nichts bieten.

Die plötzliche Nachricht von Selmas Schwangerschaft zerstört das empfindliche Gleichgewicht dieses so unterschiedlichen Personals und am Ende bricht Marc mit jahrelang aufgestauter Aggressivität aus seinem elterlichen Schutzraum aus. Er war das eine Wunschkind, bei seinen erfolgsgewohnten Eltern gehörte das dazu; um sein Bedürfnis nach Geborgenheit machten sie sich keine Gedanken. Selma war auch ein Wunschkind, da ihre Mutter Heidrun die schon in die Wege geleitete Abtreibung doch nicht vornehmen ließ.

Während Marcs Leben aber von seinen Eltern bestimmt wurde, ist sie völlig abhängig von der emotionalen Erpressung durch ihre Mutter. So sehen diese Wunschkinder aus und so bekommt der Titel des "Schauspiels" etwas ziemlich Abgründiges. Am Ende verliert Selma das Kind und wird weiter von ihrer Mutter gefangen gehalten, Marc verschwindet aus dem Leben seiner Eltern. Die fühlen sich befreit und jetten zum nächsten Premiumjob nach Dubai. Sozialarbeiterin Katrin, einzige wirkliche Gesprächspartnerin für die jungen Suchenden, geht zurück zu den hilfsbedürftigen Asylanten, ist stolz, dass sie ihre erfolgreichen Söhne ohne Vater aufgezogen hat, kann aber ihrer Einsamkeit nicht entfliehen.

So erinnert der Schluss nach spritzig-witzigem Beginn eher an die in ihren Leben und Lebenslügen stecken gebliebenen Gestalten von Tschechow oder Ibsen. Regisseur Volker Hesse machte mit dem - entsprechend den Szenenanweisungen der Autoren - jegliche Imitation von Realität verweigernden Bühnenbild aus durchsichtigen Draht- und Metallrahmen-Treppenpodesten (Bühnenbild: Rolf Spahn) und wunderbar genauer Körpersprache klar, dass es die Dialoge der Charaktere sind, die absolut im Fokus der Aufführung stehen sollten, in ihrer ganzen Abgründigkeit, Hilflosigkeit, Ich-Bezogenheit und Verlorenheit.

Die sechs Darsteller ließen sich auf die dadurch geforderte Intensität des Spiels ein: Katharina Heyer changierte als Selmas Mutter zwischen (manchmal allzu leiser) Hinfälligkeit und durchaus geschickter Manipulation; Josepha Grünberg als Selma machte deutlich, wie sehr ihre allumfassende Kompetenz ein Schutzmechanismus gegenüber ihrer Sorge um die Mutter ist. Claudia Wenzel ließ hinter ihrem von echter Menschlichkeit getragenen Aktionismus durchaus Lebenstraurigkeit aufscheinen.

Lukas Schöttler verlieh dem mit 19 noch immer in pubertären Stimmungsumbrüchen und zwischen Elternansprüchen und seiner Liebe zu Selma herumtaumelnden Marc Glaubwürdigkeit. Ulla Wagner als möglichst perfekte Hausfrau, Mutter und vor allem Unterstützerin ihres Erfolgsmanager-Gatten ließ hinter dieser Fassade durchaus aufscheinen, was sie vermisst. Aber das Zentrum ihres Universums ist Gerd, der Problemlöser, erfolgsgeil, selbstgefällig, rücksichtslos gegen sich und andere. Kurz vor der Premiere am 7. Dezember musste die Rolle umbesetzt werden: Steffen Gräbner spielte sie aber so überzeugend, dass man der Truppe nur gratulieren kann zu diesem Glücksgriff.

Trotz des alles andere als fröhlichen Endes feierte das Publikum das hochkarätige Ensemble mit viel Applaus und rhythmischem Klatschen.