American Football: Diese Franken sind die Super-Nerds

Christopher Meindl und Nils Weigand sind American Football-Profis - ohne je selbst aktiv gespielt zu haben. Ihr Können bezieht sich auf das Verstehen dieses Sports, und auf diesem Gebiet sind die beiden Kumpels aus dem unterfränkischen Thulba nahe Bad Kissingen echte Kapazitäten. "Diese Sportart bietet mit ihren hochdramatischen Spielen alles, was das Herz begehrt. Von tiefgründigen Analysen, taktischen Meisterleistungen hin zu purer Action und gewaltigen Hits dieser Modellathleten", sprudelt es aus Christopher Meindl.
Die Spiele der National Football League (NFL) sind für den 28-Jährigen und seine Clique Pflichttermine, die über das normale TV-Erlebnis weit hinaus gehen. "Wir diskutieren regelmäßig über aktuelle Themen aus der NFL. Zudem kommt eine konkrete Analyse anhand der Datenbank 'Pro Football Focus' (PFF) als Referenz für alle Nerds und Statistikliebhaber. Dafür zahle ich gerne einen Jahrespreis", sagt Meindl, der als Sparkassenfachwirt eine Geschäftsstelle leitet.
Die Liebe zum Detail
Über die gesamte Saison spielt der engere Kreis eine FantasyFootball-Saison, die der TV-Sender ESPN anbietet und damit weltweit Millionen von Fans unterhält. Geht es in Richtung der Playoffs, kommt ein Tippspiel dazu, an welchem auch Arbeitskollegen, Freunde und Bekannte teilnehmen. Die Play-offs und der Super Bowl werden soweit möglich gemeinsam geschaut.
Zum harten Kern der Analysten gehört Meindls Bruder Marius sowie Nils Weigand, der in München dual studiert. Aktiven Sport betreibt das Trio beim Schützenverein Bavaria Thulba. "95 Prozent bei uns im Verein verstehen nicht, warum wir uns die Nächte um die Ohren schlagen", sagt Meindl, dessen Lieblingsverein die New York Giants sind, "da mich die Stadt schon immer fasziniert hat und ich im Basketball auch ein großer Fan der New York Knicks bin." Seit zehn Jahren verfolgt der 28-Jährige intensiv die Spiele der NFL, hat sich, einmal vom Ehrgeiz gepackt, in Podcasts eingehört und Sachbücher gelesen.
Fachsimpeln im virtuellen Raum
Dass sich die Clique oft nur im virtuellen Raum treffen kann, tut der Freude am Fachsimpeln keinen Abbruch. "Wir sitzen dann am Laptop, parallel läuft der Fernseher. Meistens an den Sonntagen, wenn die ersten Spiele schon um 19 Uhr unserer Zeit auf Pro7Maxx übertragen werden. Die Hartgesottenen schauen sich auch die späten Spiele an", so Meindl, der sogar den offiziellen "Game Pass" der Liga abonniert hat und für die Interessengruppe auch schon mal eine Voranalyse fürs Finale anfertigt. Für die "10 keys to win the Super Bowl" werden vergangene Spielzüge der Teams angeschaut, Analysen der Experten gelesen, eigene Takes erstellt und die Schwachstellen der Teams den Interessierten aufgezeigt.
Für Nils Weigand ist der Kumpel schlichtweg "der große Bekehrer". Denn der enge Freundeskreis samt Geschwister und Partnerinnen ist mittlerweile komplett footballbegeistert. "Das Spiel ist hochkomplex und erschreckend einfach zugleich. Mal mit komplizierten Spielzügen, mal mit Sensationswürfen", sagt der Student.
Draft-Expertise für 240 College-Spieler
Seinen ersten Super Bowl hat der 20-Jährige im Jahr 2015 verfolgt, ist sogar Fan zweier NFL-Teams: der New England Patriots und der Green Bay Packers. "Die Patriots haben mich durch den deutschen Spieler Sebastian Vollmer und Quarterback-Legende Tom Brady fasziniert. Die Packers mit dem Deutsch-Amerikaner Equanimeous St. Brown sind ein Team mit langer Tradition. Und ihr Quarterback Aaron Rodgers ist einer der spektakulärsten Spieler der Liga." Nach dem Super Bowl geht die NFL in eine lange Spielpause, die erst im September endet. Darben müssen die NFL-Autoritäten in dieser Zeit allerdings nicht. "Wir Verrückte schauen dann im April/Mai den Draft live und tippen, welches Team wohl welchen Collegespieler auswählt", sagt Christopher Meindl. Dessen letzte Draftexpertise auf rund 70 Seiten umfasste rund 240 College-Spieler.
Darum gewinnen die L.A. Rams den Super Bowl
Die Sympathien gehören dem Außenseiter, aber für Christopher Meindl und Nils Weigand steht fest: Analytisch betrachtet, geht die Vince Lombardi-Trophy an den Favoriten aus Kalifornien. Auf der Schlüssel-Position des Quarterbacks haben die Los Angeles Rams mit Matthew Stafford (34) den deutlich erfahreneren Spielmacher, für den die Play-offs allerdings eine ebenso neue Erfahrung sind wie für Joe Burrow von den Cincinnati Bengals. Dafür hat der 25-Jährige die Unbekümmertheit der Jugend auf seiner Seite.
"Stafford war in den Play-offs bislang gut, hat davor aber über seine gesamte Karriere mit Inkonstanz geglänzt und mit teils verrückten Würfen auch schon Spiele verloren. Außerdem steht er im heimischen Stadion auch mental unter Druck, das kann lähmen", sagt Meindl. Der 28-Jährige findet prinzipiell, dass die Stärke der Rams auf die Schwäche der Bengals trifft - und umgekehrt. "Die Bengals können nur gewinnen, wenn Burrow Zeit bekommt, seine Pässe anzubringen. Allerdings ist die O-Line der Bengals, die den Quarterback beschützen soll, der statistisch schwächste Mannschaftsteil. Jagd auf den Spielmacher der Bengals wird insbesondere Aaron Donald machen. "Das ist ein 130 Kilo-Monster, der auch athletisch superstark ist. Und mit Von Miller haben die Rams noch einen richtig guten Mann für die Defensivarbeit", weiß Nils Weigand.
Alle Augen auf Ja'Marr Chase
Offensiv muss sich Cincinnati allerdings nicht verstecken, wie Weigand ausführt: "Da haben sich die Bengals in den vergangenen zwei Jahren perfekt verstärkt. Unter anderem mit Wide Receiver Ja'Marr Chase, der in seinem ersten Jahr spektakulär aufgespielt und massenweise Rekorde gebrochen hat." Weitere Waffen sind Tyler Boyd und Tee Higgins. "Es wird viel darauf ankommen, wie Ja'Marr Chase eingesetzt wird. Denn die Rams haben mit Jalen Ramsey den Weltklasse-Passverteidiger. Das ist ein extrovertierter Typ, der dezent einen an der Klatsche, aber allemal das Zeug dazu hat, Chase im 1:1 zu stoppen", sagt Meindl.
Der aktuell klar beste Pass-Empfänger der Liga ist allerdings Cooper Kupp. Der Wide Receiver der Rams hätte in dieser Saison fast den Alltime Record der NFL gebrochen. "Den kannst du fast überall aufstellen. Der ist überall gefährlich. Die Bengals haben kaum die Qualität, ihn 1:1 zu verteidigen. Das schafft wohl nur ihr bester Verteidiger SaFety Jessie Bates. Und dann gibt es mit Odell Beckham Jr. noch einen zweiten richtig guten Wide Receiver bei den Rams", so Meindl. "Das ist noch so ein verhaltensauffälliger Spieler, der sich auch auf Trash Talk versteht und gerne mal die Aufmerksamkeit auf sich zieht, was ein Vorteil sein kann", ergänzt Nils Weigand.
Auch auf der Trainer-Position liegt das Mehr an Erfahrung bei den Rams. Sean McVay hat die Kalifornier schließlich schon einmal in den Super Bowl geführt (2019) - als jüngster Head-Coach der NFL-Geschichte. Der 36-Jährige gilt als Mastermind der Szene. "Er kann sich noch an Spielzüge erinnern, die Jahre zurückliegen. Er hat unfassbar gute Spielansätze, trifft oft aber auch Fehlentscheidungen im Verlauf des Spiels und agiert mit zunehmender Dauer sehr konservativ", urteilt Christopher Meindl. Bengals-Trainer Zac Taylor profitiert auch von der Underdog-Rolle seiner Mannschaft, die das Experten-Duo immer wieder überrascht, aber keineswegs überzeugt hat.
"Unter Druck sind sie oft volles Risiko gegangen und haben Charakter gezeigt. Aber sie kommen eben auch in diese Drucksituationen. Da stellt sich die Frage nach dem Warum", so Meindl. "Die Rams waren dagegen oft das lange bessere Team, das nie souverän zu Ende gespielt hat. Das macht es so interessant", findet Weigand. Vielleicht entscheidet auch ein schnödes Field-Goal über Sieg und Niederlage. Der Spezialist für solche Fälle ist in diesem Spiel gewiss Evan McPherson - und der kickt das Ei für die Außenseiter aus dem Bundesstaat Ohio.