Ein lauter Knall. Und wer sich nicht rechtzeitig umdreht, hat schon alles verpasst. In vier Sekunden sackte die alte Sinntalbrücke in sich zusammen. Dicker Staub legt sich über die Baustelle, hüllt die neue Brücke ein und setzt sich auf die angrenzenden Häuser. Familie Hüfner vom Röderhof wird Fenster putzen müssen.
Voller Spannung verfolgen tausende Zuschauer das Großereignis. "Ich bin vor lauter Aufregung schon um 6 Uhr aufgewacht", erzählt Regina Dietrich aus Brückenau. Ihr Sohn hat die Nacht auf der Riedenberger Seite gezeltet. Da, wo man den besten Blick hat. Aber Regina und Alex Dietrich zogen lieber einen Morgenspaziergang vor. "Wir waren um 8 Uhr das erste Auto auf dem Parkplatz am Schulzentrum Römershag", erzählt er. Glück gehabt, eine dreiviertel Stunde später war schon jeder Platz besetzt.
An der Kreuzung in Römershag machen zwei Streifen die Straße dicht. "Zur Autobahn kommt man gar nicht mehr?", fragt ein Mann aus seinem weißen Audi heraus. "Nein", ruft ein Polizist herüber. Derweil schieben sich Fußgänger und Fahrräder an ihm vorbei.
"Wir haben 36 Beamte im Einsatz Brückensprengung geplant", gab Herbert Markert, Dienststellenleiter der Polizeiinspektion (PI) Bad Brückenau am Freitag einen Überblick. Die Dienstgruppe, die für das Alltagsgeschäft zuständig ist, sei verstärkt worden. "Unterstützt werden wir von den Operativen Ergänzungsdiensten (OED) in Schweinfurt, darunter zwei Hundeführer, und von der Verkehrspolizeiinspektion Schweinfurt/Werneck", sagte Markert.
Und tatsächlich. Kurz vor dem Übergang der alten Sinntalbahn bellt es aus dem Kofferraum eines Polizeiautos. "Das ist Raxl, unser Diensthund", erzählt Carolin Klein von den OED aus Schweinfurt. Die Rauschgiftführerin ist heute auf Sonder-Einsatz. Aber diesmal geht es nicht um weißes Pulver. "Ich gehe mit dem Hund Streife. Und wenn ich jemand sehe, der da ist, wo er nicht hingehört, fordere ich ihn auf zu gehen." Mit Nachdruck.
Auch die Brückenauer Sicherheitswacht ist im Einsatz. Außerdem halten die Nachbardienststellen insgesamt vier Streifen an den Dienstbereichsgrenzen in Reserve. Von den Feuerwehren sind 16 Kameraden im Einsatz, informierte Kreisbrandinspektor Marco Brust. Der Einsatz ist weder für die Feuerwehr noch für die Polizei alltäglich.
"Es ist für unsere Dienststelle zweifellos der größte Einsatz, seitdem die kroatische Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Bad Brückenau Quartier bezogen hat", schilderte Markert die Dimension.
Von der Bundesstraße aus verdeckt die neue Autobahnbrücke den Blick auf das alte Bauwerk. Hier liegt auch das Baubüro, von dem aus Hartmut Metz die Bauarbeiten seit dem Frühjahr 2009 begleitet. Metz steht zusammen mit seinen Mitarbeitern von der Autobahndirektion Nord etwas abseits. Er glaubt nicht, dass der neuen Brücke etwas passiert. Zu akribisch haben die Fachleute gearbeitet, das Szenario immer wieder durchgerechnet. Trotzdem. "Ein Rest-Risiko bleibt", pflegte Metz vor der Sprengung zu sagen.
Und dann passiert es. Das Verrückte ist, dass man die Sprengung sieht, bevor man sie hört. Der Knall, der dann kommt, "ist lauter, als ich es mir vorgestellt hatte", sagt Regina Dietrich. Und dann, als alles vorbei ist und die Menschen applaudieren, entfährt es ihrem Mann: "Fort ist sie. Sauber hingelegt!"
Unmittelbar nach der Sprenung ist Metz mit seinen Leuten auf der Baustelle unterwegs und schaut nach, ob die neue Brücke etwas abbekommen hat. Sie müssen wohl nichts gefunden haben, denn die Autos rollen schon wieder über die neue Brücke. Sie steht also noch. Die Polizei hatte aus Sicherheitsgründen die Fahrzeuge auf der Autobahn vor den Anschlussstellen Bad Brückenau/Volkers und Bad Brückenau/Wildflecken angehalten.
Auch Josef Dieser von der Stockpapiermühle wird nach Schäden suchen. Das Gehöft liegt noch näher an der Brücke als das Baubüro, also innerhalb der Sperrzone. Die Bewohner des Röderhofes wurden ebenso evakuiert. Für die Sprengung sind Kinder und Enkel samt Anhang bei Familie Hüfner aufgeschlagen. Alle wollten dabei sein, wenn die Sinntalbrücke fällt. Wenn die Aufregung dann vorbei ist, geht es ans Aufräumen. Und Fenster putzen.
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