Parkklinik Heiligenfeld, Telefonseelsorge, Frauenhaus Schweinfurt: Das macht die Pandemie mit unserer Seele

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Die Corona-Pandemie belastet auch die Psyche vieler Menschen. Foto: Stanislaw Mikulski/Adobe Stock
Die Corona-Pandemie belastet auch die Psyche vieler Menschen. Foto: Stanislaw Mikulski/Adobe Stock

Die Infektionszahlen sind relativ gut messbar. Doch wie wirkt sich die Zeit der Quarantäne, der Angst, der Ansteckung auf unsere Psyche aus? Experten berichten von gestiegenem Bedarf an Hilfe und schwierigen Lebenssituationen, die sich durch die Pandemie verschärft haben.

Seit knapp zwei Jahren bestimmt die Corona-Pandemie das Leben der Menschen. Auf den ersten Blick sichtbar sind die Infektionszahlen oder die Belegung der Betten in den Krankenhäusern. Erst bei näherem Hinsehen aber werden weitere Auswirkungen der Pandemie deutlich, etwa die auf die Seele.

So hat sich beispielsweise die Nachfrage nach Therapieplätzen in der Parkklinik Heiligenfeld Bad Kissingen, die auf psychische und psychosomatische Erkrankungen spezialisiert ist, seit Pandemiebeginn "spürbar erhöht", wie Chefarzt Hans-Peter Selmaier bestätigt. Er verweist dabei auch darauf, dass obendrein andere ambulante oder stationäre psychosomatische Behandlungsmöglichkeiten entfallen seien.

Long- und Postcovid-Syndrome als Belastung

Das Spektrum der Krankheitsbilder sei im Wesentlichen gleichgeblieben. Thematisch gehe es verstärkt um gegenwarts- und zukunftsbezogene Ängste im Zusammenhang mit Corona und damitverbundene psychosoziale Folgen. Außerdem seien Long- beziehungsweise Postcovid-Syndrome hinzugekommen, worunter einige Patientinnen und Patienten oder deren Angehörige leiden würden.

Wie groß der Einfluss der Pandemie hinsichtlich psychischer Erkrankungen insgesamt ist, sei statistisch nur schwer zu erfassen. "Geschätzt würde ich von einer Zunahme um 25 Prozent ausgehen", sagt Selmaier. "Erkennbar ist vor allem eine größere Belastung von Kindern und Jugendlichen und deren Familien." Unterschiedliche Bevölkerungs- und Berufsgruppen seien unterschiedlich betroffen.

Einsamkeit und Isolation gestiegen

Um circa 20 Prozent sind mit Beginn des ersten Lockdowns die Anrufzahlen bei der Telefonseelsorge gestiegen, wie Ruth Belzner berichtet. Die Diplompsychologin leitet die Telefonseelsorge Würzburg, welche auch für die Region Main-Rhön zuständig ist. Der Anstieg sei zum einen auf ein gesteigertes Gesprächsbedürfnis zurückzuführen, erklärt Belzner.

Und zum anderen darauf, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telefonseelsorge ihre Kapazitäten ausweiten konnten, etwa weil andere Termine und Verpflichtungen entfielen. In etwa zehn Prozent der Gespräche war Corona ein Thema, wie Belzner mit Blick auf die Daten aus dem vergangenen Jahr für die Telefonseelsorge in Bayern berichtet.

Deutlicher werden die Auswirkungen der Pandemie an anderer Stelle: Die Themen Einsamkeit und Isolation lagen vor Corona bei etwa 18, 19 Prozent. "Dieser Wert ist seitdem konstant gestiegen", berichtet Belzner. Die Themen kämen in jedem vierten Gespräch zur Sprache, der Wert liegt also bei 25 Prozent. "Das ist eine sehr bedeutsame Steigerung."

Unterstützungsangebote fielen weg

Insgesamt seien es weniger körperliche Befindlichkeiten als vielmehr psychosoziale Begleiterscheinungen, die in den Gesprächen von den Anrufenden thematisiert würden. Wie Belzner weiter berichtet, ist familiäre oder sexualisierte Gewalt weniger bei Telefonanrufen Thema, sondern eher in den Chats, die die Telefonseelsorge anbietet.

Diese würden vor allem von jungen Menschen zwischen 15 und 25 Jahren genutzt. "Hier zeigt sich, wie sich die Situation für Leute aus schwierigen, oft dysfunktionalen Familien verschlechtert hat", sagt Belzner und verweist unter anderem auf den pandemiebedingten Wegfall von Unterstützungsangeboten oder überlastete Kinder- und Jugendpsychiatrien.

Schwierige Lebenssituationen verschärft

"Es ist deprimierend, wie wenig geschehen ist", meint die Diplompsychologin mit Blick auf die Pandemiezeit. So sei es zum Beispiel immer noch nicht gelungen, den Unterricht coronasicher zu gestalten. Auch Unterstützungsangebote müssten eigentlich "auf allen Ebenen" hochgefahren werden.

Der Zehn-Prozent-Wert, nach dem Corona in Gesprächen der Telefonseelsorge Thema ist, spiegele nicht die Bedeutung des Ganzen wider, nämlich "dass die Pandemie mit allen Begleiterscheinungen massiv in jedes Leben eingegriffen hat". Corona treffe vor allem Leute, die ohnehin schon wenig Spielraum im Leben hätten. "Die Pandemie hat schon schwierige Lebenssituationen noch schwieriger gemacht."

Auch im für die Region Main-Rhön zuständigen Frauenhaus Schweinfurt hat sich seit Beginn der Corona-Pandemie die Anzahl der Telefonberatungen verdoppelt bis verdreifacht, wie die Fachliche Leitung des Frauenhauses, Sabine Dreibholz, berichtet. Im Frauenhaus selbst ist die Auslastung den internen Zahlen nach zurückgegangen. Was aber keineswegs an einem geringeren Bedarf gegenüber der Vor-Corona-Zeit liegt, im Gegenteil.

Drahtseilakt zwischen Infektionsschutz und Hilfe für Frauen

Die Gründe für den Rückgang sind vielschichtig: Die Infektionslage habe viele verunsichert, so dass Frauen mitunter gezögert oder länger überlegt hätten, ob sie sich ins Frauenhaus begeben, erklärt Dreibholz. Gleichzeitig sei es insbesondere in der Zeit der Lockdowns schwieriger gewesen, Kontakt aufzunehmen. "Manche Frauen haben während des Einkaufens bei uns angerufen, weil sich ihnen sonst keine Möglichkeit bot."

Auch musste das Team des Frauenhauses die persönliche Beratung zurückfahren, um das Infektionsrisiko für beide Seiten gering zu halten. "Es war ein Drahtseilakt, den Infektionsschutz innerhalb des Frauenhauses und extern zu beachten und gleichzeitig gewaltbetroffenen Frauen und Kindern zu helfen und Schutz zu bieten."

Bei Aufnahmeanfragen offenbare sich zunehmend eine soziale Verelendung, die Dreibholz auch im Zusammenhang mit der langen Zeit der pandemiebedingten Ausgangsbeschränkungen sieht. Es hätten vermehrt obdachlose sowie akut psychisch (sucht-)kranke Frauen nach Platz gefragt, für die die Einrichtung jedoch nicht die passende Anlaufstelle sei, berichtet sie. "Man hat gesamtgesellschaftlich gemerkt, dass der Bedarf nach Hilfe und Unterbringung gestiegen ist. Gleichzeitig war es mit viel mehr Schwierigkeiten verbunden zu helfen."

Dreibholz bestätigt, dass sich die Situation vieler Frauen und Kinder in der Region durch die Corona-Pandemie ihrer Einschätzung nach verschärft hat. "Das zeigt sich aber nicht immer unbedingt in den Statistiken", sagt sie. "Es kann auch sein, dass das erst in vielen Jahren offenbar wird." Die polizeilichen Daten beispielsweise würden nur das Hellfeld beleuchten, erklärt Dreibholz. "Wir gehen davon aus, dass die Corona-Pandemie bei vielen Frauen zu einem Rückzug in die unsicheren eigenen vier Wände geführt hat."

Fünf-Jahres-Vergleich der Polizei Unterfranken

Auch das Polizeipräsidium Unterfranken verweist darauf, dass etwa in den Zahlen zur Häuslichen Gewalt nur das Hellfeld, nicht aber das Dunkelfeld erfasst werde. "Im Fünf-Jahres-Vergleich befinden sich die Zahlen aktuell auf einem Tiefstand - sowohl in Unterfranken als auch im Landkreis Bad Kissingen", berichtet ein Sprecher hierzu weiterhin. Auch die Zahl der Suizide sei im Fünf-Jahres-Vergleich einigermaßen gleichbleibend.

Seit Oktober 2020 leitet Manfred Steigerwald die Außenstelle des Weißen Rings im Landkreis Bad Kissingen. Ihm fehle daher der Vergleichszeitraum für die Zeit vor Corona. "Ich kann bei den Opferfällen, die an uns herangetragen wurden, aber keinen unmittelbaren Zusammenhang zur Pandemie feststellen", berichtet er.

Auch Rainer Ziegler, Leiter des Kontaktpunkts Bad Kissingen der Diözese Würzburg, berichtet, dass Corona - anders als erwartet - nicht zu einem signifikanten Anstieg der Beratungsgespräche geführt habe und auch nicht der Auslöser für diese gewesen sei, aber die Grunderkrankungen oder Probleme verstärkt habe. Es mache sich jetzt gerade eine Art Nachschwung bemerkbar.

Wer Hilfe braucht, erreicht die Telefonseelsorge unter den Rufnummern 0800/111 01 11 oder 0800/111 02 22.