Neun Euro für die Entsorgung einer toten Kuh

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Mit tatkräftiger Hilfe von Landwirt Konrad Müller verlädt Wolfgang Kretzer (rechts) ein totes Rind. Alle zwei Tage ist er im Landkreis Bad Kissingen unterwegs und sammelt Kadaver ein. Foto: Carmen Schmitt
Mit tatkräftiger Hilfe von Landwirt Konrad Müller verlädt Wolfgang Kretzer (rechts) ein totes Rind. Alle zwei Tage ist er im Landkreis Bad Kissingen unterwegs und sammelt Kadaver ein.  Foto: Carmen Schmitt
Über mehrere solcher Brunnen wird das mit PER belastete Grundwasser im Talgrund bei Münnerstadt gesammelt und gereinigt. Es handelt sich um eine Altlast der früheren Tierkörperbeseitigungsanstalt. Foto: Archiv
Über mehrere solcher Brunnen wird das mit PER belastete Grundwasser im Talgrund bei Münnerstadt gesammelt und gereinigt. Es handelt sich um eine Altlast der früheren Tierkörperbeseitigungsanstalt.  Foto: Archiv
 
Insgesamt sechs Verbandsräte und 22 Stellvertreter schieden aus der Verbandsversammlung. Ein Teil davon verabschiedete Verbandsvorsitzender Thomas Bold (4. von rechts) gestern persönlich. Foto: Ralf Ruppert
Insgesamt sechs Verbandsräte und 22 Stellvertreter schieden aus der Verbandsversammlung. Ein Teil davon verabschiedete Verbandsvorsitzender Thomas Bold (4. von rechts) gestern persönlich.  Foto: Ralf Ruppert
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Auch tote Tiere kosten Geld. Sie müssen über den Zweckverband Tierkörperverwertung Unterfranken entsorgt werden. 2013 waren es 48 167. Ab August senkt er die Gebühren.

Landwirt Konrad Müller schiebt das hohe Holztor zur Seite. Auf dem Betonboden der Scheune liegt eine Kuh. Regungslos. Vor ihrem Maul eine Lache aus Speichel und Blut. Das Tier ist mit zweieinhalb Jahren auf dem Hof in Untergeiersnest gestorben. Nachdem es ein Kälbchen zur Welt gebracht hatte, habe sich am Becken ein Nerv eingeklemmt, erklärt Konrad Müller. "Ich hab noch gedacht, es wird wieder, aber gestern ist das Tier dann ruhig eingeschlafen und war tot", sagt der 59-Jährige.
Jetzt ist die Kuh ein Fall für Wolfgang Kretzer. Er sammelt tote Tiere aus dem Landkreis ein. Mit seinem Lastwagen fährt der 56-Jährige auf den Hof von Konrad Müller. Die beiden Männer legen eine Stahlkette um zwei Fußknöchel des Rinds. Mit seinem Traktor hievt der Landwirt die Kuh zum Verladen aus seiner Halle. Blut tropft auf die Pflastersteine. Es riecht nach der Mischung aus Kot und Tod.
Wolfgang Kretzer drückt einen Knopf, und der Kasten mit dem Kadaver hebt sich über den Laderaum seines Lkw. Als das leblose Rind hineinstürzt, knallt das Horn gegen eine Außenwand. Konrad Müller schaut zu, wie die Kuh, die sonst auf seiner Weide stand, abtransportiert wird. Es ist das erste Zuchtrind, von dem er sich so trennen muss. "Es tut einem schon leid. Man hat ja eine Verbindung zu den Tieren." Müller bewirtschaftet seit 40 Jahren seinen Hof im Nebenerwerb und ist froh, dass Kadaver so unkompliziert abgeholt werden: "Zum Glück gibt es die Tierkörperverwertung. Man wüsste sonst gar nicht, wohin mit dem toten Tier."
Wolfgang Kretzer von der Firma "Berndt Bio Energy" ist auch in den Regionen Bad Neustadt und Schweinfurt unterwegs und fährt alle zwei Tage Adressen im Landkreis an. 90 Prozent seiner Kundschaft sind Landwirte. Dazu kommen Schlachthöfe und Privatpersonen. "Die Leute freuen sich, dass ich komme, und noch mehr, wenn ich wieder wegfahre", sagt er. Für ihn ist es ein Job wie jeder andere. "Ich hab ja keine Beziehung zu den Tieren." An den Geruch der toten Tiere hat er sich längst gewöhnt. "Schlimm ist es nur, wenn sie zu lange herumliegen", sagt er.

53 280 Tonnen im Jahr 2013

Konrad Müller bekommt "für die Unterlagen" einen Beleg, dass das Rind abgeholt wurde. Damit ist für Wolfgang Kretzer der Auftrag erledigt. Für ihn geht es weiter zum nächsten toten Tier, das erst auf seiner Ladefläche und dann im "Verarbeitungsbetrieb Tierische Nebenprodukte" (kurz VTN) Walsdorf bei Bamberg landet. 53 280 Tonnen tierische Produkte wurden dort alleine im vergangenen Jahr verarbeitet.
6060 Tonnen Tierkörper oder Teile davon hat alleine der Zweckverband Tierkörperverwertung Unterfranken (TKVU) in Walsdorf abgeliefert. 41 Euro pro Tonne kostet die Entsorgung aktuell. Seit 2005 muss die TKVU einen Teil der Kosten als Gebühr auf die Landwirte umlegen. "Die EU hatte damals angemahnt, dass die Kostenfreiheit eine nicht gerechtfertigte Subvention darstellt", berichtet Peter Schläger, stellvertretender Geschäftsleiter der TKVU. Also wurden bislang zwei Cent je Kilogramm umgelegt, ab 1. August sind es noch 1,5 Cent. Für eine Kuh ab zwei Jahren macht das pauschal bisher zwölf und in Zukunft neun Euro. Hinzu kommt eine Verwaltungsgebühr.
1591 Kälber bis drei Monate wurden 2013 im Auftrag der TKVU abgeholt, zudem 2332 Rinder, 74 Fohlen, 303 Pferde, 10 676 Schweine, 2809 Lämmer, 2737 Schafe - alles in allem 48 167 Tiere. Und was passiert damit? In Walsdorf werden drei Produkte erzeugt: Häute, Tiermehl und Fette. Die rund 11 000 Tonnen Tiermehl jährlich müssen verbrannt werden, die 6700 Tonenn Fette werden in der Reifenherstellung oder als Biodiesel verwendet.

Einmal im Jahr treffen sich die 27 Verbandsräte des Zweckverbandes Tierkörperverwertung Unterfranken (TKVU), um Bilanz zu ziehen und die Weichen für die Zukunft zu stellen. Heuer gab es gleich mehrere Besonderheiten: Zum einen war es die erste Sitzung nach der Kommunalwahl in neuer Zusammensetzung, zum anderen gab es eine unangenehme Überraschung: Die Umlage auf die beteiligten Städte und Landkreise muss von 205 000 Euro im vergangenen Jahr auf 542 600 Euro im laufenden Jahr angehoben werden.
Dass es teurer wird, hatte der stellvertretende Geschäftsleiter und Kämmerer des Landkreises Bad Kissingen, Peter Schläger, bereits in vergangenen Jahr angekündigt. Damals war er von einer Verdopplung ausgegangen. "Wir haben die Rücklagen über Jahre abgeschmolzen", nannte der Bad Kissinger Landrat und Verbandsvorsitzende Thomas Bold einen Grund für die Erhöhung. Der Zweckverband hat also sein Erspartes aufgebraucht. Dass es nun sogar das zweieinhalbfache wurde, liegt laut Schläger an zu niedrigen Gebühren für die tierischen Nebenprodukte, aber steigenden Kosten für Transport und Entsorgung der Tierkörper.
In seinem Ausblick auf die kommenden Jahre konnte Schläger zwar einen kleinen Rückgang der Umlage auf 492 000 Euro 2015 und 459 000 Euro ab 2016 melden, aber: "Das wird der Betrag sein, den wir in Zukunft brauchen", zu den aktuell 205 000 Euro werde man also kaum wieder zurück kommen. Am TKVU sind zwei Städte und sieben Kreise beteiligt, in Unterfranken haben lediglich Stadt und Landkreis Aschaffenburg und der Landkreis Miltenberg eine andere Lösung (siehe Infokasten). Die Umlage wird nach Einwohner- und Tierzahlen aufgeteilt, der Kreis Bad Kissingen muss aktuell 11,4 Prozent zahlen. In der Satzung festgelegt ist, dass der Landkreis zudem die Verwaltung übernimmt und den Verbandsvorsitzenden stellt.

Anlage seit 2005 im Dauerbetrieb

Die herausragende Stellung des Landkreises Bad Kissingen stammt aus der Zeit, in der bei Münnerstadt die Tierkörperbeseitigungsanlage (TBA) Münnerstadt in Betrieb war. Die wurde zwar 1979 geschlossen, wird den Zweckverband aber noch lange beschäftigen: Im Boden steckt jede Menge Tetrachlorethen (PER). Seit 2005 läuft ständig eine Reinigungsanlage, die alleine im vergangenen Jahr 142 713 Kubikmeter Grundwasser filterte. Mit Hilfe von 8400 Liter Aktivkohle wurden 287 Kilogramm leichte Kohlenwasserstoffe entfernt.
Insgesamt wurden seit Inbetriebnahme der Anlage rund drei Tonnen PER aus 1,25 Millionen Kubikmeter Grundwasser gefiltert. Allein im vergangenen Jahr hat die Sanierung 91 041 Euro gekostet, dabei summieren sich etwa die Stromkosten laut Haushaltssatzung auf 28 000 Euro.

"Wir haben das Problem im Griff"

"Das wird uns vermutlich auch noch Jahrzehnte beschäftigen", kündigte Bold an und verwies darauf, dass die PER-Konzentration nicht abnehme: "Wenn wir mehr pumpen, holen wir auch mehr PER raus." Allerdings gab Bold auch eine Entwarnung: "Wir haben das Problem soweit im Griff, dass wir keine weiteren Schritte veranlassen müssen."
"Wir haben 2013 die Aufgabe der Beseitigung von Tierkörpern und tierischen nebenprodukten ordnungsgemäß erledigt", zog Geschäftsleiter Manfred Körber insgesamt Bilanz. Für die neuen Verbandsräte stellte er ausführlich die Jahresrechnung 2013 und den Haushalt 2014 vor. Beides wurde einstimmig abgesegnet.

Historie Der ursprüngliche Zweckverband entstand 1941 im Vollzug des Reichstierkörper-Beseitigungsgesetzes zum Bau einer Tierkörperbeseitigungsanstalt (TBA) in Münnerstadt. 1943 nahm die TBA ihren Betrieb auf. 1960 wurde auf die chemische Entfettung umgestellt, durch die es zur Verseuchung des Bodens durch Kohlenwasserstoffe kam. Bis 1976 gehörten dem Zweckverband nur die Landkreise Bad Kissingen, Rhön-Grabfeld, Schweinfurt und Haßberge sowie die Stadt Schweinfurt an, 1976 kamen die Stadt Würzburg und die Landkreise Würzburg, Main-Spessart und Kitzingen dazu.

Jahresrechnung Der Verwaltungshaushalt 2013 umfasst 1,07 Millionen Euro, im Vermögenshaushalt kamen 219 000 Euro dazu. Der Fehlbetrag liegt bei 18 769 Euro. Aus der Tierseuchenkasse erhielt der Zweckverband 420 000 Euro. Aus der allgemeinen Rücklage wurden 200 000 Euro entnommen, unter anderem um die Unterdeckung von 40 000 Euro bei der Beseitigung tierischer Nebenprodukte aufzufangen. Der Verband verfügte zum Jahresende über ein Geldvermögen von 64 405 Euro.

Haushalt Der Haushalt 2014 ist mit 1,37 Millionen Euro veranschlagt. Kalkuliert wurde mit 3960 Tonnen Tierkörpern, für die die Gebühren zum 1. August sinken (siehe Titelseite). Dagegen sind die Gebühren für die rund 2100 Tonnen tierischer Nebenprodukten seit Jahren gefallen und dürften 2015 steigen.

Verabschiedung 28 Verbandsräte und Stellvertreter schieden aus der Verbandsversammlung aus: Magdalena Dünisch, Lutz von Thüngen, Norbert Reiter, Paula Vogler, Sabine Dittmar und Diethard Dittmar aus dem Landkreis Bad Kissingen, Rudolf Handwerker, Jürgen Lutsch, Herbert Baum und Ludwig Bock aus dem Landkreis Haßberge, Markus Werner und Christof Herbert aus dem Landkreis Rhön-Grabfeld, Paul Heuler, Caroline Lauer, Hermann Ruß, Peter Zeißner und Hans-Georg Eichelbrönner aus dem Landkreis Schweinfurt, Klaus Rehberger, Kathi Petersen, Jochen Müller und Jürgen Mainka von der Stadt Schweinfurt, Wilhelm Sturm und Friedrich Haag aus dem Landkreis Kitzingen, Elisabeth Schäfer, Robert Geulich und Hermann Brell aus dem Landkreis Würzburg sowie Karl Adam und Renate Kleinhans von der Stadt Würzburg.