Karl von Thüngen: Geradliniger Offizier ging in den Tod

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Generalleutnant Karl von Thüngen gehörte zwar nicht zum engsten Kreis der Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944, wurde wegen seines Verhaltens aber zwei Wochen später verhaftet und im Oktober 1944 hingerichtet.
Generalleutnant Karl von Thüngen gehörte zwar nicht zum engsten Kreis der Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944, wurde wegen seines Verhaltens aber zwei Wochen später verhaftet und im Oktober 1944 hingerichtet.
Dieses Kreuz in der Detterer Kirche hat Marie von Thüngen am 24. November 1963 zum Gedenken an ihren ermordeten Mann Karl anbringen lassen. Fotos: Ruppert/Archiv
Dieses Kreuz in der Detterer Kirche hat Marie von Thüngen am 24. November 1963 zum Gedenken an ihren ermordeten Mann Karl anbringen lassen.   Fotos: Ruppert/Archiv
 
Spurensuche: Diese Grabplatte auf dem Roßbacher Friedhof erinnert an Karl von Thüngen, seine zweite Frau Marie, Stiefsohn Albrecht Renz und Sohn Karl-Wendt.
Spurensuche: Diese Grabplatte auf dem Roßbacher Friedhof erinnert an Karl von Thüngen, seine zweite Frau Marie, Stiefsohn Albrecht Renz und Sohn Karl-Wendt.
 
Im Roßbacher Schloss (hier ein Luftbild) verbrachte Karl von Thüngen einen Teil seiner Jugend, im Dorf war er auch wegen seiner bürgerlichen Mutter sehr beliebt.
Im Roßbacher Schloss (hier ein Luftbild) verbrachte Karl von Thüngen einen Teil seiner Jugend, im Dorf war er auch wegen seiner bürgerlichen Mutter sehr beliebt.
 
Eine Gedenktafel im Bamberger Dom erinnert an die Widerstandskämpfer im Bamberger Reiter-Regiment, unten Karl von Thüngen.
Eine Gedenktafel im Bamberger Dom erinnert an die Widerstandskämpfer im Bamberger Reiter-Regiment, unten Karl von Thüngen.
 

Generalleutnant Karl von Thüngen wurden sein Verhalten am 20. Juli 1944, die Freundschaft zu Stauffenberg und die eigene Überzeugung zum Verhängnis.

Für Hans-Karl von Thüngen ist der 1944 hingerichtete Generalleutnant Karl von Thüngen mehr als nur der "entfernte Großonkel" in der Ahnentafel: "Ich versuche, die Erinnerung an ihn aufrecht zu erhalten", sagt der 63-Jährige, der heute das Freiherrlich von Thüngensche Domänenamt leitet. Zudem vertritt er die Adelsfamilie im Vorstand einer Stiftung zur Erinnerung an die Widerstandskämpfer aus dem Bamberger Reiterregiment 17.

"Ich habe selbst noch erlebt, dass die Attentäter des 20. Juli als Verräter beschimpft wurden", erzählt von Thüngen. Umso wichtiger ist ihm, dass möglichst viele Menschen erfahren, "dass es auch in dieser dunklen Zeit sehr mutige Frauen und Männer gab, die ihr Leben geopfert haben". Der Widerstand des Generalleutnants sei auch für die Familiengeschichte wichtig: "Es gab auch andere in der Familie", gibt Hans-Karl freimütig zu.
Allerdings sei der größte Teil der Familie spätestens 1936 auf Distanz zum Nazi-Regime gegangen: Damals wurden mehr als 500 Hektar Thüngensche Hofgüter in Weißenbach und Roßbach enteignet, um Bauernhöfe für Einwohner der abgesiedelten Orte im Truppenübungsplatz zu schaffen. Rund um das Attentat sei auch sein eigener Vater Wolf-Hartmann von Thüngen, der Neffe des Generalleutnants, wegen seines Namens verhaftet worden: "Dabei war er schwer verwundet auf der Heimreise von Frankreich." Die Sache ging gut aus: "Er wurde freigelassen, weil sie ihm nichts nachweisen konnten."
Nach der Hinrichtung des Großonkels gab es zum Glück weder Sippenhaft noch Enteignungen. Das dürfte zum einen an den militärischen Verdiensten gelegen haben. Zum anderen wurde das Familien-Vermögen vor Einführung der Realteilung 1958 gemeinsam verwaltet.
Für Hans-Karl von Thüngen war sein Großonkel "ein geradliniger Offizier". Die wichtigste Frage laute deshalb: Was kann man von ihm lernen? Die Antwort von Thüngens: "Es gibt Situationen im Leben, in denen man sagen muss: ,Da mache ich nicht mit!'"
Generalleutnant Karl von Thüngen wurde für sein Verhalten rund um das Hitlerattentat zum Tod verurteilt: "So machte er gemeinsame Sache mit den Verrätern und half damit zugleich unseren Feinden. Er ist für immer ehrlos und wird mit dem Tode bestraft", begründete Roland Freisler, Präsident des Volksgerichtshofes, am 5. Oktober 1944 das Urteil, das am 24. Oktober 1944 gegen 15 Uhr im Zuchthaus Brandenburg-Görden vollstreckt wurde.

Pflichtbewusst und redlich

Karl von Thüngen wird als pflichtbewusst, ernst und redlich beschrieben. Diese Eigenschaften verhelfen ihm zu großer Anerkennung bei seinen Soldaten. "Der junge Karl war sehr beliebt, vielleicht auch, weil er bürgerliches Blut in sich trug", berichtete eine Roßbacherin, die ihn noch selbst kennengelernt hatte. Sein Tod 1944 habe die Bevölkerung sehr getroffen, wenn auch die Umstände damals durch nationalsozialistische Propaganda verfremdet wurden.
In Bamberg war von Thüngen im 17. Reiterregiment stationiert, wo er auch Claus Schenk von Stauffenberg kennenlernte - eine Freundschaft, die ihm nach dem 20. Juli 1944 angelastet wurde. Das Berliner Reichswehrersatzamt in der damaligen Bendlerstraße (heute Stauffenbergstraße) war das Zentrum des militärischen Widerstandes. Am 20. Juli traf von Thüngen gegen 16 Uhr bei General Friedrich Olbricht ein und erfuhr von Claus von Stauffenberg, der bereits zurück nach Berlin geflogen war, dass der Führer angeblich tot sei. Karl von Thüngen fuhr zunächst nach Hause und wurde um 19 Uhr erneut in die Bendlerstraße gerufen und erhielt im Zuge der "Operation Walküre" ein Generalkommando. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits Gerüchte, dass Hitler das Attentat überlebt habe. Trotz des Putschversuches blieb von Thüngen im Generalkommando, lehnte jedoch alles ab, was zu einem Blut-Vergießen geführt hätte. Wenige Stunden später haben die Nationalsozialisten die Lage wieder unter Kontrolle, Stauffenberg, Olbricht und andere werden im Hof an der Bendlerstraße erschossen.

Haft zwei Wochen später

Von Thüngen kehrt am nächsten Tag in sein altes Kommando zurück. In den folgenden Tagen fühlt er sich zunächst sicher, fährt zu seiner Frau nach Bamberg. Doch die Gestapo ermittelt: Am 3. August wird Karl von Thüngen verhaftet. Kurz vor seiner Hinrichtung schreibt Karl von Thüngen an seine Frau: "Heute früh bin ich geholt worden, in 20 Minuten geht es zu Ende... Mein einziger Wunsch ist, dass Du und Ihr durch mich keinen Schaden erleidet." Der Brief endet mit dem Satz: "So leb denn zum letzten Mal wohl."

Herkunft Karl von Thüngen wurde am 26. Juni 1893 in Mainz geboren. Sein Vater war der Gutsbesitzer Karl Ernst Reichsfreiherr von Thüngen und Roßbach (1839-1927), der unter anderem die Roßbacher Kapelle hat erbauen lassen. Seine Mutter war die damals 18-jährige Bürgerliche Eva Elisabeth Maier. Karl von Thüngen wuchs zunächst in Wiesbaden und später in Roßbach bei seinen beiden Stiefschwestern und seinem Stiefbruder Wendt aus der ersten Ehe des Vaters auf.

Militär Im Jahr 1910 trat Karl von Thüngen dem 5. Cheveauxlegers-Regiment in Saargemünd bei, 1911 wurde er Fähnrich, 1912 Leutnant. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er im französischen Verdun und in Russland, 1917 wurde er zum Oberleutnant befördert. Das Kriegsende erlebte er im Kaukasus. Von Thüngen stieg 1925 zum Rittmeister auf und wurde laut Historikern wegen seines Organisationstalents und seines Weitblicks 1933 ins Reichswehrministerium nach Berlin berufen. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Oberst Karl von Thüngen zunächst an die Westfront und im Herbst 1940 nach Polen abkommandiert. 1941 muss er in den Winterkampf nach Russland. 1943 wechselt er nach mehreren Schicksalsschlägen und Erkrankungen ins Reichswehrersatzamt III in Berlin.

Familie Im Dezember 1919 heiratete der evangelische Karl von Thüngen die katholische Margarethe (Margit) Edle von Schultes in München. Sie wohnten zunächst in Landshut, dann in Bamberg, wo die beiden Kinder Brigitte (1920) und Karl-Wendt (1921) geboren wurden. Am Neujahrstag 1932 starb seine erste Frau Margit von Thüngen. Im April 1934 heiratet Karl von Thüngen die geschiedene Marie Renz, geborene Freiin von Michel-Raulino (1893-1978). Die wohlhabende Erbin einer Tabakfabrik und einer Druckerei bringt einen Sohn und drei Töchter mit in die Ehe. Am 23. September 1941 stirbt Karl von Thüngens leiblicher Sohn Karl Wendt mit 19 Jahren, 1942 dann Stiefsohn Albrecht Renz und im Dezember noch die leibliche Tochter Brigitte nach einer mehrmonatigen Krankheit. Die zweite Frau Marie von Thüngen blieb dem Landkreis Bad Kissingen bis zu ihrem Tod am 25. September 1978 eng verbunden, unter anderem baute sie ein Anwesen am Haghof bei Modlos neu auf und spendete ein Kreuz aus dem Familienbesitz für die Kirche im Zeitlofser Ortsteil Detter.

Prozess Die Gerichtsverhandlung begann am 28. September 1944, bereits am zweiten Verhandlungstag, dem 29. September, werden alle Mitangeklagten zum Tode verurteilt und sofort in Plötzensee hingerichtet. Die Verteidiger von Karl von Thüngen können immerhin eine Aufschiebung des Urteils bis 5. Oktober erwirken. Danach versuchen sie noch, die Hinrichtung abzuwenden, indem sie sich direkt an Joseph Goebbels wenden, dessen Verhaftung Karl von Thüngen angeblich abgelehnt hatte. Ein Gutachten der Gestapo fällt jedoch gegen von Thüngen aus.