"Nicht den Therapeuten ersetzen"

Arpad Grec ist seit einem halben Jahr neuer Chefarzt der Psychosomatik in der Rehaklinik Bad Bocklet. Mit der Krankheit Depression beschäftigt er sich seit bald 30 Jahren. Wir haben mit ihm anlässlich des Europäischen Tags der Depression über die Rolle der Angehörigen von depressiven Menschen geredet.
Wie erkennt man als Angehöriger, dass ein geliebter Mensch Depressionen hat und nicht nur schlechte Laune?
Wie sollten Angehörige konkret am Anfang reagieren?
Man sollte sich auf jeden Fall erstmal gut informieren. Dazu gibt es eine Fülle von sehr guten Ratgebern und Information im deutschsprachigen Raum, in Buchform und digital. Ich meine, Depression ist die digital am besten erfasste Krankheit in Deutschland. Es gibt sehr gute und konkrete Webseiten auch speziell für Angehörige mit Tipps, Hilfsangeboten, Selbsthilfegruppen und Foren. Dann sollte man das Gespräch mit der betroffenen Person suchen.
Wie kann man dann den Betroffenen dazu animieren, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen?
Es liegt in der Natur der Erkrankung, dass der betroffenen Person einfach die Kraft fehlt, sich Hilfe zu holen. Sie weiß gar nicht, wie ihr geschieht, kann sich nicht konzentrieren und hat keinen Antrieb - der ist aber wichtig, um medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich vergleiche das immer mit einer Handy-Batterie, die nach dem Aufladen über Nacht am nächsten Morgen einen grünen Balken hat. Bei depressiv Erkrankten ist der Balken immer noch rot.Was man tun kann, nachdem man sich gut informiert hat, ist, mit dem Betroffenen offen zu reden. Wichtig dabei: keine Bevormundung. Nicht: "Das musst Du jetzt machen!" Sonst baut sich innerer Widerstand auf und es wird noch schwerer. Sondern offen kommunizieren und auch die eigenen Sorgen widerspiegeln. Dabei sollte man nicht wochenlang abwarten, bis man zum Arzt geht. Häufig ist der Gang zum Hausarzt leichter und kann ein erster Schritt sein. Auch er kann Depressionen erkennen.
Was tun, wenn sich die betroffene Person partout dagegen sträubt?
Ja, das ist die Gretchenfrage des Psychiaters, dazu gibt es keine gute Antwort. Wir leben ja in einer freien Demokratie, in der jeder das Recht hat, über sein Leiden selbst zu entscheiden. Da gibt es nicht so viele Möglichkeiten, außer immer wieder das offene Gespräch zu suchen, auch andere Familienmitglieder und gute Freunde miteinzubinden und sie um Mithilfe zu bitten.Wie soll man sich als Angehörige konkret im Verlauf der Krankheit verhalten?
Wichtig ist, man muss verstehen, dass es eine Krankheit ist. Das ist keine klare Sache, weil Depression als Krankheit bei uns Menschen nicht im Denkmuster verankert ist und oft klein geredet wird. Aber es ist genauso eine Krankheit wie ein Herzinfarkt - der wird ernst genommen und wird als Krankheit hoch gewertet. Depressionen sollte man genauso ernst nehmen und keine Faktoren suchen, die begründen, dass der Betroffene gerade in einer Depression steckt. Das wären Vorhaltungen, die nichts bringen. Es ist einfach eine Hirnkrankheit, die passiert. Da ist niemand schuld. Man sollte nicht versuchen, der Therapeut des Angehörigen zu sein. Außerdem sollten keine lebensbewegenden Entscheidungen mit depressiven Menschen getroffen werden, also keine Weltreise, Kündigung des Job oder gar Trennung. Wenn Trennung von der erkrankten Person ins Spiel gebracht wird, ist das ein Symptom der Krankheit.Wie kann man sich selbst helfen und sich schützen, dass man nicht mit "runtergezogen" wird?
Das ist eine gute Frage, das ist sehr schwer. Ich kann nur sagen: Austausch, Austausch, Austausch. Egal ob mit der eigenen Familie, Freunden oder Kollegen. Aber auch mit anderen Angehörigen von depressiven Menschen austauschen zum Beispiel in Foren, Chats oder Selbsthilfegruppen. Auch online kann man sich gut Rat und Trost holen. Zudem muss man wohl sehr viel Geduld aufbringen für die Krankheit, für die lange Dauer der Erkrankung und für den Erkrankten selbst. Das ist nicht einfach, denn häufig gibt es Stimmungsschwankungen und die depressive Person ist verletzend gegenüber den nahestehenden Menschen, macht ihnen Vorwürfe. Das ist der Fingerabdruck der Depression. Es ist aber nicht der Mensch, der da redet, sondern die Krankheit. Aber das Gute ist, dass man die meisten depressiven Erkrankungen heilen kann. Wenn das gelingt, ist es, als ob die Sonne wieder aufgeht.Das Gespräch führte Angelika Despang.Tipps für Angehörige:
- Ärztliche Hilfe für den Betroffenen organisieren
- Dem Betroffenen zur Seite stehen und Mut machen
- Über Depressionen informieren z.B. Info-Telefon Depression
- Auf sich selbst achten - Unterstützung organisieren
- Austausch mit anderen Angehörigen
(Quelle: deutsche-depressionshilfe.de/forschungszentrum/deutschland-barometer-depression/2018)
Info-Telefon der Deutschen Depressionshilfe unter der kostenfreien Rufnummer: 0800 3344533
Empfohlene Quellen von Dr. Arpad Grec:
Buch: "Depression. Das Richtige tun: Ein Ratgeber für Angehörige und Freunde" von Dr. Christine Hutterer und Prof. Dr. Christine Rummel-Kluge. Verlag Stiftung Warentest 2020.
Webseiten:
- deutsche-depressionshilfe.de
- depression.aok.de